Ein Bergarbeiterdorf im Norden Frankreichs zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Während die Kumpel, die „gueules noires“, Tag für Tag unter immer gefährlicheren Bedingungen in die Mine hinabsteigen müssen, sorgt eines Morgens das Auftauchen einer Zigeunersippe im Dorf für Aufsehen und weckt alte Ängste und Feindseligkeiten unter der ansässigen Dorfbevölkerung.
Antoine, ein junger Bergarbeiter, auf der Suche nach seiner Zukunft und Kheshalya, eine junge Zigeunerin auf der Suche nach der Wahrheit über ihre Vergangenheit.
Gemeinsam kommen sie einem dunklen Schatten auf die Spur, den man schon lange begraben glaubte.
Originaltitel: Quand souffle le vent |
Die Grundidee der Handlung
Wer Wind sät ist eine sozialkritische, historisch gut recherchierte Geschichte mit – angesichts der geringen Seitenzahl – erstaunlich viel Tiefgang. Der Szenarist Laurent Galandon verwebt geschickt viele verschiedene inhaltliche Elemente, ohne dass das Gefühl eines künstlich aufgeblähten oder bemühten Konstrukts entsteht. Die Handlung fließt zunächst in ruhigem Erzählton dahin, während sich im Hintergrund das Unheil für alle Beteiligten unausweichlich zusammenbraut. Nach dessen dramatischer Entladung ist die Luft dann gereinigt, jedoch wurden für die meisten unter ihnen die Weichen für die Zukunft ganz neu gestellt. Ein Ende, das statt glücklich, nachdenklich und melancholisch stimmt. Etwas anderes, gefälligeres hätte meiner Meinung nach sowieso nicht gepasst.
Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Sowohl die Zeichnungen selbst, als auch ihre Kolorierung kommen künstlerisch sehr individuell und deshalb ein wenig gewöhnungsbedürftig daher. Mir persönlich gefielen sie gut und ich fand sie zur inhaltlichen Konzeption passend.
Die Gesichter der Kumpels sind zerfurcht und zerknittert, ihnen sieht man die Schwerstarbeit im Bergwerk an, die sie tagtäglich leisten müssen. Sie tragen einheitliche Arbeitskluft, so dass auf den ersten Blick einer wie der andere aussieht. Auf den ersten Seiten gießt es in Strömen und es scheint, als würden die heimkehrenden Minenarbeiter in ihrer erd- und schlammfarbigen Einheitskluft mit der sich aufweichenden Landschaft verschmelzen. In den folgenden Szenen kommt mehr Detailarbeit in den Hintergründen auf. Pferde- und motorisierte Fuhrwerke sind genauso liebevoll und authentisch wiedergegeben wie die Amtsstuben des Bürgermeisters. Der Platz außerhalb der Ortschaft in der Nähe des alten Friedhofs, den man den Zigeunern zuweist, wirkt in seiner Kargheit unheimlich. Wiesen und Sträucher sind vage angedeutet, dafür ragen die knorrigen Stämme und Äste der alten Bäume immer wieder groß und dunkel ins Bild und schaffen eine bedrohliche, gespenstische Atmosphäre.
Bei der Kolorierung wendet Bonin lediglich zwei Farbschemen an. Tagsüber ist es ein homogener Mix aus Braun- und Grüntönen, abends und nachts setzt sich die eigenwillige Szenerie aus Violett- und Ockertönen zusammen. Die eingeschränkte Farbpalette wirkt fast schon monochrom, ist aber ohne Zweifel sehr stimmungsfördernd. Auffällig sind auch die oft überbetonten Licht-/Schatteneffekte hauptsächlich auf Gesichtern und Kleidung, die starke Kontraste schaffen.
Die Panels sind immer mit ein paar Millimetern Abstand auf den weißen Seiten angeordnet, außer in einer achtseitigen Erinnerungssequenz in die Vergangenheit, da ist der Seitenuntergrund zur besseren Unterscheidung dann schwarz. Auch in den Textdarstellungen ist der Comic ganz konventionell und comictypisch mit rechteckigen Sprechblasen, einem Schriftbild in Großbuchstaben und hin und wieder eingestreuten Soundwords in fetten Großbuchstaben direkt in den Bildern. Das Bild-Text-Verhältnis empfand ich als ausgewogen, so dass sich der Comic flüssig lesen ließ.
Aufmachung des Comics
In der Edition Solitaire erscheinen halbjährlich inhaltlich sehr erlesene Werke, die sich auch in ihrer Aufmachung sehen lassen können: Im Format etwas größer als A4, gute Bindung, beste Papier- und Druckqualität, stabile Buchdeckel mit Spotlackierung und sehr umfangreiches Bonusmaterial (Autoren-/Zeichnerportäts, alternative Covergalerie, historische Hintergrundinformationen zum Bergbau und der Volksgruppen Sinti und Roma, Skizzen).
Im Anhang sind in der Covergalerie insgesamt 8 Entwürfe zu sehen – und ich muss sagen, hier hatten die Verantwortlichen die Qual der Wahl, denn die verworfenen Titelbilder sind mindestens genauso schön wie das ausgewählte. Darauf ist im Vordergrund die stolze, anmutige Zigeunerin Kheshalya zu sehen und hinter ihr der Turm eines Kohlebergwerks, womit symbolisch die zwei Hauptelemente der Geschichte zum Ausdruck kommen. Farblich wirkt die Illustration zwar dezent und zurückhaltend, aber durchaus ansprechend. Auf dem weißgrundierten rückseitigen Buchdeckel befinden in der Mitte eine Illustration aus dem Comic und die Inhaltsangabe in schwarzer Schrift.
Fazit
Wer Wind sät richtet sich mit seinem tiefgründigen, dramatischen Inhalt, der künstlerisch individuellen Optik und der edlen Aufmachung an Comicleser, die das Besondere suchen. Wem Cyril Bonins eigenwillige Illustrierung gefällt (s. Leseprobe), sollte nicht lange zögern und zugreifen, denn mit einer limitieren Auflage von 1.500 Stück wird dieses Liebhaberstück schnell vergriffen sein!
Hinweise
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