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Kategorie: Fantasy

„Ich denke an unsere Ahnen, Tifenn.

Dein Urgroßvater hat den Schnee auf diesen Bergen gesehen. Er hat die Zeit erlebt, wo die Menschen in Frieden lebten. Er herrschte über ein reiches Land. Das war, bevor diese verfluchten Kreaturen erschienen!
In jener Zeit musste sich niemand wie ein Hund hinter hohen Mauern verbergen. Dieser ganze Wall war von Mais- und Weizenfeldern umgeben, so weit das Auge reichte.

Heute ist alles nur noch Feuer und Finsternis."

 

Finsternis_01 

Originaltitel: Ténèbres: Ioen
Autor: Christophe Bec
Übersetzer: Tanja Krämling
Illustration: Iko
Verlag: Splitter Verlag
Erschienen: Oktober 2010
ISBN: 978-3-86869-200-6
Seitenzahl: 48 Seiten
Altersgruppe: ab 12 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)

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Grundidee der Handlung
Ein Land in einer fantastischen, mittelalterlichen Welt ist in arge Bedrängnis geraten: Drachenähnliche Wesen sind eingefallen und verwandeln alles, was ihnen in die Quere kommt, in Feuer und Asche. Nicht nur Ernten, sondern die ganze Umgebung um die Königsstadt sind vernichtet. Aus den entfernten Dörfern des Landes kommt eine Wagenladung mit verbrannten Leichen nach der nächsten. Und auch dem verbündeten König Ti-Harnog gelingt es nicht, mit seiner Armee durchzudringen, um den Verzweifelten zu helfen. Jetzt liegt die ganze Hoffnung auf einer Prophezeiung, die einen unbezwingbaren Krieger in einer Eisrüstung ankündigt, der den Wandel bringen soll …

Christophe Bec, den man sonst als Autor und Zeichner von Science-Fiction-Comicbänden kennt, legt mit „Ioen“ den Grundstein zu einer vierteiligen Fantasyserie. Der erste Teil beschränkt sich hauptsächlich darauf, die Hintergründe und Rahmenbedingungen für die Geschichte aufzubauen, sie liest sich dabei interessant und zieht direkt in die Fantasy-Welt hinein, auch wenn die Dynamik und Spannung, die in den nächsten Bänden zu erwarten ist, gerade erst anläuft.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Schon bei den ersten Blicken in den Comic fällt der hervorragende Zeichenstil von Iko auf. Ein solch feiner Stil ist mir schon länger nicht mehr begegnet. Er arbeitet die Figuren wirklichkeitsnah und sehr exakt aus und differenziert sie gekonnt. Die Menschen sind immer gut, als Portraits schon überaus genau und bei herausgegriffenen Ausschnitten beispielsweise der Augenpartien bis in die Reflexionen der Wimpern auf der Netzhaut umgesetzt. Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Wut oder Angst sind den Gesichtern deutlich zu entnehmen. Nicht nur die Figuren selbst, sondern auch ihre Kleidung sind bis ins feinste Detail zu erkennen. Die Rüstung von König Ti-Harnog ist bedrohlich und martialisch, während sie in mir Erinnerungen wachrief, die ich mit den alten Conan-Verfilmungen verbinde. Selbst Tiere wie Mäuse, Greifvögel oder Pferde sind astrein zu Papier gebracht und zeugen von Ikos hohem handwerklichem Können. Wirklich imposant und grausam ist der Auftritt der riesigen Drachenwesen, welche König Kirgräds so zusetzen.
Wunderschön und abwechslungsreich geht der Zeichner auf die Landschaften ein, stellt sie in vielen Nuancen dar und lässt mit der Genauigkeit erst in der Ferne nach, wo die Landschaft langsam in Dunst übergeht. Doch noch viel erstaunlicher sind seine Ansichten der Städte, die er herausragend erschafft, so reich an Einzelheiten, dass man sich Zeit nehmen muss und auch sollte, um sie gebührend zu genießen. Ob nun die Königsstadt oder andere Niederlassungen, sie sind überzeugend anzuschauen und einfallsreich aufgebaut – ein Blick auf die Architektur der Altvorderen. Mit der gleichen Hingabe beschreibt Iko in seinen Bildern die Häuser des Volkes und den Saal des Königs.

Finsternis“ hat – wohl nicht zufällig – gewisse Ähnlichkeiten zu Tolkiens „Der Herr der Ringe“. So erinnert die Ansicht, aber auch die Perspektive der Königsstadt auf der sechsten und siebten Seite sowie im letzten Drittel (S. 36/37) an „Minas Thirith“ Doch behält sich die namentlich nicht benannte Stadt architektonische Begebenheiten vor, die sie wiederum von der in der Verfilmung von Peter Jackson zu sehenden Feste abgrenzt. Auch (zunächst nur) zwei gigantische Steinfiguren, deren Gestalt denen der Argnonath gleichen, lassen jeden, der den „Herrn der Ringe“ kennt, interessiert aufhorchen. Doch dass es nicht die Gleichen sind, wird sofort in ihrer Anzahl sowie ihrer Position und Aufstellung zueinander klar und sie dienen auch einem anderen Zweck: als Plattform für ein Leuchtfeuer.

Die Farbpalette ist abwechslungsreich und wirklichkeitsnah, aber etwas gedeckt, d.h. knallige Farbtöne sucht man vergebens. Mit der Wahl der Farben unterstützt der Kolorist gezielt die Stimmungen in den Bildern: hell und friedlich in den von den Drachenwesen noch nicht betroffenen Gebieten, bläulich-kalt auf den Gipfeln des Passes, über den König Ti-Harnog heranzieht, düster-bedrohlich in den von Asche und Lava überzogenen Gebieten vor den Toren von König Kirgräds Stadt.

Spannende Perspektiven ermöglichen die Sicht aus den verschiedensten Blickwinkeln. Gepaart mit den für die entsprechenden Belange angepassten Panelgrößen und Formen unterstreichen sie damit gekonnt die Bildaussage, z.B. gewaltige Höhe. Dabei folgen die Panels mal klassischen Anordnungen, mal sind sie auch frei übereinandergestapelt und eröffnen damit die Flexibilität, die Iko brauchte, um seine Bilder jederzeit ins richtige Licht rücken zu können. Comictypisch ist die in Dauergroßschrift gedruckte Textdarstellung, auf Soundwords wird – charakteristisch für viele französische Comicserien – überwiegend verzichtet.


Aufmachung des Comic
Schon die hochglänzende Gestaltung des Umschlages des im typischen Verlagsformat aufgemachten und fest eingebundenen Comics hat sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Während einem im oberen Teil eine Horde düster dreinblickender und in martialische Rüstungen gekleidete Krieger begegnet, sieht man im unteren Teil die von Lava und Asche umgebene Stadt. Getrennt sind die beiden Szenen durch den schneeweiß gedruckten Schriftzug der Serie. Auf der mit schwarzem Hintergrund versehenen Rückseite des Comicbandes findet sich – neben der Inhaltszusammenfassung – noch einmal eine Grafik im Panoramaformat mit Blick auf die Stadt. Sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite kann man sich ein gutes Bild davon machen, welche hochwertige Zeichenqualität einen im Comic selbst erwartet.

Die Verarbeitungsqualität ist, wie man das vom Verlag nicht anders gewohnt ist, tadellos, auch bzw. insbesondere die Druckqualität ist hervorragend und überzeugt auch sehr anspruchsvolle Leser.


Fazit
Ein gelungener Auftakt zu einer spannenden Fantasyserie. Die Story baut von Anfang an eine bedrohliche Stimmung auf, auch wenn einen in diesem Teil noch nicht allzu viel Dynamik erwartet – man darf auf Band 2 gespannt sein. Der Zeichner Iko präsentiert hier sein ganzes handwerkliches Können, „Finsternis“ ist ein Augenschmaus, die Bilder sind herausragend.


4 5 Sterne


Hinweise
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