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Kategorie: Interviews mit Autoren


Thomas_Willmann_klein

Herr Willmann, Sie sind Kulturjournalist und Filmkritiker und Ihr Leben scheint rund um die Musik gezeichnet. Wie kommt man dazu, sich hinzusetzen und ein Buch zu schreiben? Wollten Sie das schon immer machen oder folgten Sie einer plötzlichen „Eingebung“?

Musik, Film und Literatur sind seit ich denken kann gleichermaßen Leidenschaften für mich. Dass ich meinen Lebensunterhalt jetzt seit geraumer Zeit als freier Kulturjournalist und Kritiker bestreite, war letztlich nichts anderes als der Versuch, die Leidenschaften zu so etwas Ähnlichem wie einem Beruf zu machen. Es erlaubt mir, mich den Großteil meiner Zeit mit jenen Dingen zu beschäftigen, die mir ohnehin am wichtigsten sind.
Meine ersten Schreibversuche in fiktionaler Hinsicht reichen bis in die Kindheit zurück. Ich erinnere mich, dass ich noch zu Grundschulzeiten auf der Schreibmaschine meiner Mutter mühsam eine Geschichte zusammengetippt und mit Heftklammern und einem selbstgemalten Cover zu einem "Buch" gebunden habe. Seither hat mich das "kreative" Schreiben stets begleitet, auch wenn das meiste davon nur in meinem Kopf stattgefunden und selten den Weg auf Papier/Festplatte, geschweige zur Vollendung oder gar an die Öffentlichkeit gefunden hat. Mein Standardspruch zu diesem Thema: "Anfänge habe ich ohne Ende."
Es stellt sich also eher die Frage, wie ich dazu kam, endlich einmal etwas fertig zu schreiben. Und da habe ich auch keine bessere Antwort, als dass die Welt, die Geschichte dieses Buchs einfach nicht verschwinden wollten.


Ihr Erstling “Das finstere Tal” gehört ja weder richtig zu den historischen Romanen noch zu den gewöhnlichen Thrillern, sie betreten mit diesem Buch einen ganz eigenen Weg und schaffen quasi ein neues Genre. Was hat Sie dazu inspiriert?

Das war sozusagen das Zusammenwirken eines entzündlichen Gemischs und eines Zündfunkens. Das entzündliche Gemisch ergab sich aus meiner langjährigen Begeisterung für Western (und Italo-Western) einerseits, meiner überraschenden Entdeckung des unterschätzten Ludwig Ganghofer andererseits. Und dann war da irgendwann der eher abstrakte Funke des Gedankens: "Der Western ist ja im Grunde nichts anderes als der Heimatroman/-film der USA."
Darüber kam ich ins Nachdenken, wie es wäre, wenn man diese beiden Genres wirklich einmal zusammenbringen würde. Und dann standen auf einmal sehr schnell eben die Welt, die Geschichte, die Figuren des "finsteren Tals" vor meinem inneren Auge - und sorgten dafür, dass daraus für mein Gefühl eine Synthese mit Eigenleben und -dynamik wurde.


Aufbau, Schauplatz und Thematik sind in der Kombination wie in Ihrem Buch sehr ungewöhnlich und innovativ. Ludwig Ganghofer und Sergio Leone (die Sie als Ihre Schutzheiligen betrachten) zu vereinen, wirkt auf den ersten Blick gewagt bis unmöglich. Dennoch ist Ihnen das mit Bravour gelungen. Ebenso haben Sie eine Figur, nämlich den Richter Holden, aus einem Roman von Cormac McCarthy quasi „entliehen“. Wie lange kursierte die Geschichte in Ihrem Kopf bevor Sie diese zu Papier brachten und hat sich diese vom ersten Grundgedanken bis zur Vollendung geändert?

Ich kann nicht mehr sagen, wie lange es gedauert hat, bis ich mich nach der Initialzündung wirklich zum ersten Mal an den Computer gesetzt habe. Ein paar Wochen, Monate vielleicht? Aber insgesamt hat sich die Arbeit über mehr als zehn Jahre hingezogen - nicht, weil das Schreiben selbst so langsam vorangegangen wäre, sondern weil ich es so selten getan, so lange Pausen eingelegt habe. Noch ein Standardspruch: "Das Schreiben geht schnell - das Nichtschreiben kostet so viel Zeit!"
Die Grundzüge der Geschichte sind dabei eigentlich stets unverändert geblieben. Das wäre auch gar nicht anders gegangen. Es musste ein dramaturgischer Bogen stehen, der die Richtung und den Rhythmus vorgab. Zumal ich auf etwas hinauswollte, das möglichst klar, fast archaisch-rituell in seinen Konturen ist, das nicht durch Plot-Schnörkel punktet, sondern durch schiere Kraft überzeugt. Dazu muss man von Anfang an wissen, wo man hinwill.
Was mich beim Schreiben aber durchaus überrascht hat, war die Füllung des Gerüsts, die Färbung vieler Dinge. So sehr die Figuren mehr Archetypen als Charaktere sind, so sehr hatte doch vor allem der Protagonist, Greider, unerwartete psychologische Tiefen in petto, die sich mir selbst erst langsam offenbart haben. Und auch die ganze Stimmung des Schlusskapitels hätte ich früher nie vorhergesehen, vielleicht auch so noch gar nicht schreiben können. Und die gehört nun zu dem, was ich am allermeisten an dem Buch mag.


Ihr Buch ist aber nicht nur von der Thematik her interessant und außergewöhnlich, sondern auch sprachlich sehr bildhaft, ja, cineastisch und authentisch. Durch Ihre Tätigkeit als Journalist sind Sie es ja gewohnt sich schriftlich auszudrücken, aber dennoch ist ein Roman etwas gänzlich anderes, als einen Artikel zu verfassen. Sind Sie ein Naturtalent oder wie lernt man es, so mit Wörtern zu jonglieren und zu spielen, dass sie das Innerste des Lesers treffen?

Das ist schwer zu beantworten. Es gehört gewiss eine Veranlagung dazu - wie gesagt, ich habe schon als Kind Lust am Schreiben verspürt. Und seit jeher enorm viel gelesen.
Was womöglich auch hilft ist, dass Kritiker für mich nicht nur ein Brotberuf ist, sondern ich tatsächlich auch schon immer eine Neigung dazu hatte, mir als Publikum Rechenschaft darüber abzugeben, wie und warum Dinge funktionieren, die mich begeistern oder verärgern. Eine Deutschlehrerin, der ich überhaupt viel verdanke, hatte dafür mal die schöne Formel: "Begreifen, was uns ergreift."
Und was womöglich bei dem Buch zusammengekommen ist: Ein wirklich für mich auch sehr starkes Eigenleben, eine echte Präsenz dieser fiktionalen Welt. Die mir die dafür einzig passende Sprache fast eher aufgezwungen hat, als dass ich diese spielerisch inszeniert hätte. Dazu ein sehr großes Repertoire an Angelesenem, an aus anderen Büchern vertrauten Tonfällen, Stimmen. (Und es mag auch die musikalische Ader sein, die mir hilft, für so etwas "ein Ohr" zu haben.) Und schließlich eine gewisse Kritikfähigkeit auch gegenüber dem eigenen Text - die einigermaßen wachsam bleibt gegenüber eben Sätzen, die nichts treffen.
Oder anders gesagt: Ich hatte meist sehr starke Bilder, Stimmungen, Szenen, Sinneseindrücke vor mir, und ich habe mein Möglichstes versucht, diese durch das Medium der Sprache so kraftvoll und präzise wie möglich einzufangen und weiterzugeben. Wenn das gelungen ist, freut es mich sehr!


Haben Sie so etwas wie ein „Schreibritual“? Also, dass Sie nur zu festgelegten Zeiten schreiben oder einfach nur dann, wenn Sie sich inspiriert fühlen?

Ich wünschte, ich hätte eins! Der Hauptgrund, warum das Buch so lange gebraucht hat, war eben, dass ich es so selten geschafft habe, mich dranzusetzen. Was ein höchst eigenartiges Phänomen war: Denn der Widerwillen vor dem Schreibtisch war meist ebenso riesig wie die schiere Lust, wenn ich dann mal am Schreiben war. Keine Ahnung, woher diese psychologischen Abwehrmechanismen kommen gegen etwas, das sich so schön und richtig anfühlt, dass man eigentlich gar nichts anderes tun möchte.
Das hat auch wenig mit der vermeintlichen Präsenz von Inspiration zu tun. Meine Erfahrung war meist, dass die Inspiration schon kommt, wenn man sich nur hinsetzt und ihr Gelegenheit gibt. Und oft entstehen die schönsten Überraschungen grade in Momenten, wo man vorher meint, dass gar nichts gehen würde.
Was in der Endphase sehr geholfen hat: Ich bin mehrmals in Schreibklausur gegangen. Bin irgendwo in die Provinz gefahren, habe Housesitting im Allgäu oder Blumensitting an den Osterseen gemacht. Wo's keine Termine, höchstens eingeschränkten Internetzugang und kein ablenkendes Kulturangebot gab. Weil's tatsächlich ein Problem ist, dass man als freiberuflicher Lohnschreiber selten echten Feierabend machen und den Kopf freibekommen kann. Es gibt immer noch irgendwas, was gelesen, gehört, geschaut werden will, noch irgendwelche Texte, die halbfertig im Hinterkopf schwirren und geschrieben werden müssen. Und in diesen Auszeiten habe ich dann tatsächlich zwar kein richtiges Ritual, aber doch eine Regelmäßigkeit des Schreibens an dem Buch entwickelt.
Ich hoffe, dass mir das beim möglichen nächsten Projekt öfter vergönnt ist.
Denn es gibt ein schönes Zitat, dass ich, glaube ich, bei Stephen King gelesen habe: "To be a writer, you not only need to write today. You need to have written yesterday, and you need to write tomorrow." - "Wenn du ein echter Schriftsteller sein willst, dann reicht es nicht, wenn du nur heute schreibst. Dann musst du auch gestern geschrieben haben, und musst morgen wieder schreiben."


Ihr Roman hat ja richtig „eingeschlagen“ und auf sämtlichen Literaturportalen im Internet und in den verschiedensten Printmedien findet man nur positive Rezensionen. Sogar in der Sendung „Lesezeichen“ waren Sie zu Gast. Wie fühlt man sich, wenn man mit einem Debütroman plötzlich so viel Aufmerksamkeit erregt?

Kurze Antwort: Richtig gut!
Ausführlichere Antwort: Es hat eine Weile gebraucht, Tempo und Ausmaß des Erfolgs überhaupt zu glauben und zu realisieren. Und es hat auch eine irreale, ja manchmal fast beunruhigende Komponente. Was auch damit zusammenhängt, dass es zu dem langen Abnabelungsprozess eines solchen Texts gehört, mit dem man sich so lange allein und im Stillen schwanger getragen hat. Jetzt ist er so richtig in der Welt - und es gibt Momente, da fühle ich mich eher als Geburtshelfer denn als Schöpfer dieses Texts.
Aber nach einer gewissen Gewöhnungs- und Verarbeitungszeit freue ich mich inzwischen einfach darüber, dass ich mit dieser Geschichte schon so viele Menschen erreichen - und soweit ich mitbekomme einen Gutteil davon auch begeistern - konnte.


Wie waren die Reaktionen Ihrer Familienangehörigen und Freunde auf Ihr Buch? Durften oder mussten viele von ihnen „Testlesen“ und waren sie vorab ebenso begeistert von dem Buch wie all Ihre Leser?

In den Danksagungen findet sich ja die Liste all derjenigen, die ich als Testleser rekrutiert habe - ein gutes Dutzend. Deren Reaktionen waren für mich enorm wichtig, da ich nach Abschluss des langjährigen Schreibprozesses erstmal selbst keinen Maßstab dafür hatte, ob das Resultat irgendwas taugt. Da fehlte mir die nötige Distanz zum Text. Und es gab Tage, da war ich überzeugt, es müsse sich um unglaublichen Unsinn handeln, den ich da fabriziert hatte.
Als dann die ersten Freiwilligen das Ganze durchweg zumindest für lesbar befanden, war ich schon sehr erleichtert. Und es gab auch schon einige ziemlich enthusiastische Rückmeldungen, die ahnen ließen, dass da noch mehr gelungen sein könnte. Wobei es mich besonders gefreut und überrascht hat, dass der Roman auch bei Leuten Anklang fand, bei denen ich eher skeptisch war, ob sie mit dem Genre und auch der Gewalthaltigkeit überhaupt etwas würden anfangen können.
Freilich war die erste Manuskriptfassung noch ein gutes Stück ausgepolsterter und hatte die eine oder andere Schwäche, die es nun so nicht mehr gibt. Und auch da waren die Testleser hilfreich - vor allem, um das Vertrauen zu finden, beim Überarbeiten dem nachzugehen, was mein eigenes Gefühl mir insgeheim eh schon zugeflüstert hatte.


Wie schwer war es für Sie einen Verlag zu finden und wie lange dauerte es vom fertigen Manuskript zum gedruckten Buch?

Entgegen allem, was ich vorher gelesen und worauf ich mich einzustellen versucht hatte, war die Verlagssuche erstaunlich schnell erfolgreich.
Von dem Moment, wo ich den letzten Satz hingeschrieben hatte, habe ich nochmal ein gutes halbes Jahr gebraucht, bis ich die allererste Manuskriptfassung soweit überarbeitet hatte, dass ich die ersten Testleser damit behelligen wollte. Und dann war's circa ein knappes halbes Jahr, bis ich mich getraut habe, die nächste Fassung an Verlage rumzuschicken.
Wobei ich von Anfang an den Gedanken im Kopf hatte, dass der Liebeskind Verlag dafür passen könnte: Ich mochte die Vorstellung eines unabhängigen Verlags aus meiner Heimatstadt München, ich mochte die Bücher, die die machen, fand viele der dort vertretenen Autoren toll (Leute wie David Peace, James Sallis, Pete Dexter, Ryu Murakami). Fand das einen der wenigen Verlage, für die "Genre" und "Literatur" keine Gegensätze sind. Und wusste, dass Liebeskind auch in der Branche einen guten Ruf hat. Nur: Auf deren Webseite stand, dass sie keine unverlangt eingesandten Manuskripte wollen.
Da München ja aber ein Dorf ist, konnte ich dann über eine gemeinsame Bekannte Kontakt zu dem Verleger aufnehmen und bekam seine Bereitschaft signalisiert, sich wenigstens mal die ersten 30 Seiten anzuschauen. Und daraufhin kam ziemlich bald eine Mail, ich solle auch den Rest schicken, er wolle "wissen, wie's weitergeht". Was ich schon eine unheimlich schöne Reaktion fand. Na ja, und dann hat ihn auch der Rest nicht abgeschreckt, und wir sind uns doch recht schnell handelseinig geworden. (Parallel dazu habe ich schon auch ein paar Absagen von anderen Verlagen kassiert, aber die haben mich nicht so getroffen, weil darunter nur ein echter "Wunschverlag" war.).
Mit Vertragsverhandlung, Lektorat, Verlagsvertreterkonferenz, Buchgestaltung, Korrekturlesen, Vorab-Leseexemplar und so weiter hat es dann nochmal etwa ein Jahr gedauert, bis das Buch wirklich in den Läden stand. Was eine seltsame Zeit des Wartens war - einerseits hatte sich der große Traum quasi schon erfüllt, andererseits schien er nur sehr langsam greifbar zu werden. Aber das Warten hat sich gelohnt!


Natürlich interessiert es uns nun auch, ob Sie bereits an einem weiteren Roman schreiben und wenn ja, ob Sie Ihrem – dem etwas neuem und ungewöhnlichem – Genre treu bleiben?

Im Kopf gärt schon etwas. Wobei ich dazu noch nichts Näheres verraten möchte und kann - in solch frühen Stadien scheinen mir Ideen einfach zu fragil, um sie schon an die Öffentlichkeit zu zerren. Nur soviel kann ich sagen: Es wird etwas ganz anderes. Greider und seine Welt sind für mich erstmal auserzählt. Und ich glaube sehr daran, dass man die wirklich guten Geschichten nicht herbeischleifen und auf Befehl konstruieren kann, sondern geschenkt bekommen muss.


Herr Willmann, ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich für das Interview bedanken! Für Ihren nächsten Roman wünsche ich Ihnen viel Erfolg, denn die Messlatte wurde ja durch Ihren Debütroman von Ihnen selbst sehr hoch gelegt. Ich freue mich schon jetzt auf Ihr nächstes Werk!

Ich danke! Und bin selbst sehr gespannt darauf, wie's weitergeht.