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Kategorie: Romane

In einem Slum an der Peripherie von Lissabon treffen sie aufeinander: eine Jugendgang, die hauptsächlich aus Schwarzen und Farbigen besteht, die Polizei, die der kriminellen Jugendlichen nicht mehr Herr wird, die Bewohner des Elendsviertels. In seinem neuen Roman fängt der weltberühmte und mit zahlreichen literarischen Preisen ausgezeichnete Schriftsteller António Lobo Antunes die sozialen Verwerfungen einer globalisierten Moderne ein und verleiht den Menschen am Rande der Gesellschaft starke, unverwechselbare Stimmen.

 

Originaltitel: O Meu Nome È Legiao
Autor: António Lobo Antunes
Übersetzer: Maralde Meyer-Minnemann
Verlag: Luchterhand Verlag
Erschienen: 25. Oktober 2010
ISBN: 978-3630872957
Seitenzahl: 448 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Lobo Antunes leiht den am Rande der Gesellschaft Stehenden seine Stimme und hat ihnen eine polyfone und vielschichtige Symphonie komponiert. Die Komplexität seines Romans erhebt sich aus der scheinbaren Frugalität des Lebens. Lobo Antunes klagt eindringlich und empathisch die Kolonialpoltik Salazars und deren Folgen bis in die heutige Zeit an. Er deutet mit seinem Roman präzise auf den Untergang Portugals hin, auf den Unwillen der Portugiesen, sich zu einer zukunftsorientierten und globalen Gesellschaft zu entwickeln.
Die Geschichte beginnt mit einem Bericht eines Polizisten, der einen Überfall einer Jugendgang im Elendsviertel Lissabons dokumentiert. Immer wieder schweifen seine Gedanken ab; er denkt an seine Frau, an seine gescheiterte Ehe, an seine Tochter. Seine Erinnerungen rücken näher, während sich fremde Stimmen plötzlich einmischen; es beginnt ein Mosaik aus Erzählungen und die bestenfalls angedeutete Handlung wird aufgehoben.


Stil und Sprache
Lobo Antunes wählt in seinem Roman nicht die Chronologie des epischen Erzählens, sondern er spielt mit den Zeitebenen und schickt den Leser in ein Labyrinth disparater Lebenswirklichkeiten. Der Schmerz der Vergangenheit trifft auf die Angst der Zukunft. Diese Thematik scheint bei Lobo Antunes omnipräsent zu sein. Die Berichte seiner Figuren erzählen keine stringente Geschichte, sie irren durch ihre unerträgliche Vergangenheit und streben nach einer achtenswerten Zukunft, obgleich sie genau wissen, sie kommen nie aus ihrem Sumpf heraus. Jeder dieser Erzählströme generiert sofort eine Kette an Assoziationen und porträtiert somit ein surreales und kaleidoskopisches Panorama. Die leidvolle Erinnerung mäandert durch kakophonische Karikaturen und verwegene Metaphern. Der Roman stellt weder Sinnzusammenhänge noch eine Ordnung dar, Motive der Lebensbeichten sind weder zu erkennen noch zu deuten, die Figuren ergehen sich in Anspielungen, plötzlichen Einfällen und Abschweifungen.

"Ich bitte diejenigen, die es angeht, zu entschuldigen, dass ich Dutzende Seiten damit verbracht habe, bis zum Ende zu kommen, aber wenn so viele Erinnerungen brodeln, entzieht sich einem der Kopf, ich höre, wie er alte Begebenheiten bewegt, Menschen und Dinge von ihrem Platz verrückt und Unglück wieder hervorholt, das ich vergessen glaubte" (Seite 57).

Mit diesem Satz erklärt Lobo Antunes seine progressive Art zu schreiben und setzt dabei jede Regel der Grammatik außer Kraft. Sätze und Wörter hören plötzlich mitten im Wort auf, Dialogfetzen erscheinen unvermutet und widersprechen. Es ist nicht einfach, dem Autor und seinen Stimmen zuzuhören und sie zu unterscheiden.


Figuren
Figuren, wie sie aus Romanen geläufig sind, gibt es hier nicht. Es gibt nur Stimmen, vom Polizisten, seiner Frau, seiner Tochter, den Kriminellen und deren Familienangehörigen, die dem Autor besonders am Herzen liegen. Die Stimmen gehören zu einer Jugendgang  und deren Eltern und Großeltern, die aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien Afrikas stammen und bei denen die Integrationspolitik versagt hat. Sie müssen sich als Prostituerite, als Drogendealer oder als Kleinkriminelle verdingen.
Die Figuren erzählen fragmentarisch aus ihrem Leben, ihrer Welt, die verwirrender denn je ist, nicht nur für den Erzähler, sondern auch für den Leser, kann er doch manchmal erst am Ende eines Kapitels schlussfolgern, ob es sich um einen Mann, eine Frau oder ein Kind handelt. Ihre Welt entzieht sich eindeutigen Begriffen, sie hat etwas Quälendes, und ihre Gedanken sind so flatterhaft, man wird ihrer nicht habhaft. Der Autor verweigert dem Leser ein klares Bild seiner Figuren. Er fordert volle Konzentration, damit man eine vage Vorstellung der Menschen hat, denen Lobo Antunes seine Stimme leiht. Nur eines ist klar: In Anlehnung an den Titel sollen diese Stimmen die wahren Dämonen der Gesellschaft sein.


Aufmachung des Buches
Das Hardcover-Buch enthält ganz im Sinne der Erzählung nicht nummerierte Kapitel. Der Schutzumschlag bildet in Anlehnung an den Titel als Antagonismus die Hand eines Erzengels mit Rosenkranz ab. Zudem hat das Buch erfreulicherweise ein Lesebändchen.


Fazit
Lobo Antunes macht es einem nicht leicht, sein Buch zu verstehen, Kenntnisse der Historie und der Politik Portugals sind beinahe unerlässlich. Sein unkonventioneller Schreibstil, die ungeschliffenen Facetten seiner Protagonisten und die Auseinandersetzung mit den Randexistenzen machen dieses Buch zwar nicht unbedingt zu einem Vergnügen, aber dennoch zu einem wichtigen Ereignis in der heutigen, von einer Rassen- und Nationalitätenhass geprägten, Welt.


5 Sterne


Hinweise
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