Smaller Default Larger

Hoffen wir nicht alle immer wieder einmal auf eine Begegnung, die unser Leben verändert und zum Guten wendet?

Mathilde hält sich für eine starke Frau, tatkräftig und entschlossen. Sie ist alleinerziehende Mutter von drei wundervollen Jungen, und sie liebt ihre Arbeit. Wozu sollte sie sich eine Veränderung wünschen?
Doch die Veränderung kommt. Mathildes Chef beginnt sie zu mobben, immer stärker leidet sie unter der Situation im Büro. Da prophezeit ihr eine Wahrsagerin eine ganz besondere Begegnung, und Mathilde hofft. Doch worauf? Auf das befreiende Gespräch mit ihrem Chef? Auf die Rückkehr ihrer alten Stärke? Oder auf die Begegnung mit einem ganz besonderen Mann? Der prophezeite Tag bricht an …

 

 

Originaltitel: Les heures souterraines
Autor: Dephine de Vigan
Übersetzer: Doris Heinemann
Verlag: Droemer
Erschienen: September 2010
ISBN: 978-3-426-19886-5
Seitenzahl: 251 Seiten

Hier geht's zur Leseprobe

 

Die Grundidee der Handlung
Zwei Parallelhandlungen bilden das Grundgerüst des Romans. In der einen geht es um die alleinerziehende, verwitwete Mathilde und Mutter von 3 Söhnen, in der anderen um den kinderlosen, unverheirateten Notfallarzt Thibault, der gerade eine Beziehung beendet hat. Beide Hauptpersonen haben einiges gemeinsam: sie leben für ihren Beruf, sie sind sehr einsam und unglücklich, sie wünschen sich, aus ihrem unbefriedigenden Leben auszubrechen und hoffen auf einen Neuanfang – wie auch immer dieser aussehen mag. Da Mathilde von einer Wahrsagerin prophezeit wird, am 20. Mai würde sich ihr Leben durch eine bedeutsame Begegnung ändern, reimt man sich als Leser natürlich ein Aufeinandertreffen von Mathilde und Thibault zusammen. Ob es tatsächlich dazu kommt, wird von der Autorin bis zum Schluss offen gelassen.


Stil und Sprache
Erzählt wird abwechselnd jeweils aus Mathildes und Thibaults Sicht in der 3. Person. Der Gegenwartspart spielt sich in beiden Handlungssträngen am schicksalsträchtigen 20. Mai ab. Dazwischen sind zahlreiche Rückblenden eingeschoben, die in Mathildes Part sogar den Hauptanteil ausmachen. Gegenwart und Vergangenheit lassen sich leicht durch die Änderung der Zeitform erkennen. Delphine de Vigans Sprache ist sachlich und nüchtern, doch der Inhalt ihres Romans lässt einen alles andere als kalt. Gerade Mathildes und Thibaults realistische Sichtweise bzw. Schilderung der eigenen verfahrenen Situation ohne Pathos und Gefühlsduselei macht umso betroffener. Lesern, die unbeschwerte, positiv gestimmte Handlungen bevorzugen, sei von diesem Roman dringend abgeraten, denn er erzeugt eine bedrückende, depressive Stimmung, die einem auf den Magen schlagen kann.

In Mathildes Leben nahm der Beruf nach dem Tod ihres Mannes nicht nur wegen der Existenzsicherung ihrer Familie eine zentrale Rolle ein, sie blühte mit steigender Eigenverantwortung und Kompetenz richtig auf. Als ihr Chef sie aus heiterem Himmel zu mobben beginnt, bricht für Mathilde eine Welt zusammen. Ständig fragt sie sich, welchen Fehler sie wohl begangen hat, der den plötzlichen Sinneswandel ihres Chefs herbeiführte. Verunsicherung, Selbstzweifel, Antriebslosigkeit und schließlich schwere Depressionen halten Einzug in ihr Leben. Mathildes berufliche Situation ist etwas, das wohl keinem Berufstätigen von heute gänzlich fremd sein wird und selbst wenn man Mobbing noch nicht am eigenen Leibe erfahren hat, ist es doch unser aller Angst, einmal davon betroffen zu sein. Umso mehr hofft man natürlich, dass die Prophezeiung der Wahrsagerin für Mathilde eine positive Wende herbeiführen wird, etwa in Gestalt Thibaults?
Thibaults Part nimmt weit weniger Raum ein als Mathildes, was ich schade fand, denn ich hätte gerne mehr von ihm gelesen. Zum wiederholten Mal steht er vor einer gescheiterten Beziehung und kommt schließlich zu der Erkenntnis, dass es außer seinem Beruf nichts gibt, das sein Leben zufriedenstellend ausfüllt. Ja sogar dieser ist nur zweite Wahl, nachdem sein ursprünglicher Traum vom Chirurgen durch einen Unfall, bei dem er drei Finger verlor, platzte. Ist es seine eigene Schuld, dass er keine Frau an sich binden kann? Er will doch nur geliebt werden, ist das etwa zu viel verlangt?

Ich muss gestehen, die Hoffnung auf Thibaults und Mathildes Aufeinandertreffen und folglich eine positive Wende war meine einzige Antriebsfeder durch den bedrückenden Plot. Und tatsächlich kommt es zu einer Begegnung der beiden, jedoch viel später als erhofft, so dass sie keinen Einfluss auf das Grundgerüst des Romans nimmt. Der Schluss ist dennoch überraschend und ganz anders als gedacht, aber ob auch zufriedenstellend, soll jeder Leser für sich selbst entscheiden.


Figuren
Wie schon erwähnt, sind Wesen und Lebenssituation beider Hauptpersonen ähnlich gelagert. Eine gescheiterte Existenz und Einsamkeit prägen ihr Leben. Da Mathildes Erzählpart umfangreicher ausfällt, kann man sich mit ihr besser identifizieren. Bei Thibault fragt man sich lange, was es in seinem Leben außer dem Beruf sonst noch gibt und wünscht sich, mehr über ihn zu erfahren. Doch zum Schluss beantwortet er die Frage selbst, indem er zugibt, dass sein Leben sehr unspektakulär verlief und es tatsächlich nicht mehr über ihn zu berichten gibt. Verständnis und Sympathie konnte ich für beide Hauptfiguren aufbringen.
Nebenpersonen gibt es nicht viele. Bei Mathilde ist es natürlich der Chef, der ein Mysterium bleibt und den man schlichtweg hassen wird, dann sind da die drei Söhne, die sich um ihre einst tatkräftige Mutter sorgen und hilflos mit ansehen müssen, wie sie zunehmend depressiv wird und in Apathie verfällt. Eine kleine, dafür umso wichtigere Rolle spielt Mathildes Personalchefin. Als sie das volle Ausmaß des Mobbings begreift, versucht sie mit allen Mitteln Mathilde zu helfen. In Thibaults Erzählpart gibt es außer seiner Ex keine nennenswerten Nebenpersonen. Lila und Thibault führten nur auf körperlicher Ebene eine harmonische Beziehung. Im Bett schmolzen sie zusammen und bildeten eine perfekte Einheit, doch außerhalb wahrte Lila stets Distanz und blieb gefühlskalt. Und so hat Thibaults keine andere Wahl, als sich am 20. Mai von ihr zu trennen. „Danke. Danke für alles“, ist das Einzige, was sie auf seinen Trennungswunsch erwidert.


Aufmachung des Buches
Bei dem Buch handelt es sich um eine gebundene Ausgabe mit mattiertem Schutzumschlag. Das Titelbild finde ich sehr stimmungsvoll, es zeigt am rechten Rand eine junge Frau in einem türkisfarbenen schlichten Kleid, die dem Betrachter den Rücken zukehrt, ihr Gesicht ist abgeschnitten, nur der Hinterkopf und der lange schlanke Hals sind zu erkennen. Die linke untere Ecke ziert die Hälfte eines Blumenkübels, daneben steht ein Henkelbecher aus Metall. Titel und Autorenname in Türkis und Weiß fügen sich dazwischen harmonisch ein.
Auf der Rückseite ist die Inhaltsangabe in Weiß und Türkis aufgedruckt, darunter, in der linken unteren Ecke, ist nochmal das Tischchen mit den Blumen und dem Becher zu sehen.


Fazit
Eindringlich, ohne Pathos und Kitsch, wird hier von zwei einsamen, unglücklichen Menschen erzählt – die Eine gescheitert im Beruf, der Andere gescheitert in einer Beziehung. Man hofft inständig auf ihr Zusammentreffen und eine positive Wende, doch das Ende ist ganz anders als gedacht und mag den einen oder anderen Leser enttäuschen. Wer fröhliche bzw. positiv gestimmte Handlungen bevorzugt, sollte von diesem deprimierend-realistischen Roman mit zentralem Thema Mobbing die Finger lassen.


3 5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo