Warum die Juden? Avi Primor, ehemaliger Botschafter des Staates Israel in Deutschland legt offen, was eigentlich Antisemitismus ist – und was nicht. Offene Kritik an der Politik Israels ist keinesfalls antisemitisch, auch wenn sie oft dafür gehalten wird. Zusammen mit der Journalistin Christiane von Korff macht Primor klar, wie latente Vorurteile und falsche Rücksichtnahme noch immer zu Missverständnissen führen: ein starkes Plädoyer für mehr Freiheit im Umgang zwischen Deutschen und Juden.
Autor: Avi Primor Verlag: Piper Erschienen: März 2010 ISBN: 978-3-492-04698-5 Seitenzahl: 307 Seiten |
Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Die Einleitung beginnt mit einem Witz, dessen Pointe einen sehr nachdenklich macht und mit wenigen Worten ausdrückt, um was es dem ehemaligen israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, geht. Eleganter hätte er gar nicht ins Thema einsteigen können.
In seinem Buch mischt der Autor Biographisches mit Politik und widerlegt treffend gängige Vorurteile gegenüber Juden. Insgesamt 12 Vorurteile überprüft er auf ihren Wahrheitsgehalt hin. In sachlicher, aber nie distanzierter Weise, dennoch gut lesbar, führt er den Leser in die Geschichte des Judentums seit der römischen Besatzung ein. Dabei steht der Holocaust nie im Mittelpunkt, ist aber immer präsent, ohne instrumentalisiert zu werden. Anhand zahlreicher Fakten widerlegt er die Vorurteile und erklärt ihre Enstehung, hilfreich sind dabei die Interviews, die Frau von Korff am Ende jedes Kapitels mit ihm führt und die das Besprochene entweder vertiefen oder kritisch hinterfragen.
Ein Thema durchzieht das Buch wie ein roter Faden und mündet schließlich im Vorurteil Nummer 12: "Der antisemitische Phoenix steigt wieder aus der Asche". Der Autor zeigt auf, wie der Antijudaismus entstand und sich seit Beginn unserer Zeitrechnung verändert hat, sich anpasste und sich schließlich im 19. Jhd in den Antisemitismus verwandelte. Primor kann in Europa zur Zeit, entgegen gängiger Meinungen, keinen wiedererstarkenden Antisemitismus der Europäer entdecken und belegt dies anhand von Meinungsumfragen der letzten Jahrzehnte. Allerdings sieht er in den Zuwanderern nach Europa eine Gefahr, denn sie haben den Antisemitismus nur allzu häufig mit im Gepäck. Trotz aller notwendigen Wachsamkeit warnt Primor davor, den Antisemitimusvorwurf inflationär zu benutzen, weil er dadurch banalisiert werde. Er hat dabei vor allem sein Heimatland Israel im Blick, in dem sich die Israelis selbst oft genug gegenseitig des Antisemitismus bezichtigen. Außerdem stellt er mehrfach klar, dass Kritik am Staat (!) Israel, von welcher Seite auch immer, keinen Antisemitismus bedeutet. Anstatt die Kritiker pauschal zu verunglimpfen, sollte man sich sachlich mit deren Kritik auseinandersetzen und so berechtige Kritik von unberechtigter scheiden.
Im aktuell schwelenden Konflikt im Nahen Osten befürwortet er eine 2-Staatenlösung und auch die Räumung der Siedlungen in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten. In diesem Zusammenhang verweist er darauf, dass das eine durchaus erfolgreiche Lösung sein kann, wie die Friedensverträge mit Jordanien und Ägypten beweisen, sofern die Sicherheit Israels dabei gewährleistet bleibt.
Es gäbe noch einiges zu berichten, aber hier soll ja nicht alles verraten werden, weiterlesen lohnt sich, denn Primor und von Korff sind ein gutes Gespann, das Licht in das Dunkel des Krieges zwischen Israel und den Palästinensern bringt und auch so noch ein paar Überraschungen in petto hat.
In einem Epilog berichten beide von dem Versuch, die Menschen der Region einander näher zu bringen, in dem u.a. Avi Primor ein Projekt gestartet hat, das israelischen, jordanischen und palästinensischen Studenten ermöglicht, gemeinsam zu studieren und sich so näher kennen zu lernen. An der Heinrich-Heine-Universität studiert seit 2009 der erste Jahrgang. Primor schließt mit dem Satz:"Ohne das Beseitigen von Misstrauen wird jeder politische Frieden nur vorübergehend sein." Dem kann ich nur zustimmen.
Aufmachung des Buches
Das weinrote, gebundene Buch verfügt über ein gleichfarbiges Lesebändchen und einen der üblichen Schutzumschläge. Wenn ich üblich sage, dann meine ich das auch so, denn ich wundere mich schon ein wenig, warum man sich immer wieder bei der Gestaltung des Covers für ein Portraitfoto des Autors entscheidet. In diesem Fall lächelt den Betrachter ein sympathischer Herr an, der wirkt, als sei er gerade im Gespräch mit jemandem und höre aufmerksam zu.
Die Namen der Autoren und der Titel stehen in schnörkellosen Buchstaben im unteren Drittel. Ein bisschen mehr Fantasie hätte ich mir schon gewünscht, zumal der Titel des Buches doch ziemlich originell ist und neugierig auf den Inhalt macht.
Zahlreiche Anmerkungen und Hinweise auf verwendete oder zitierte Literatur vervollständigen das Buch.
Fazit
Ein Buch, dessen Lektüre noch lange nachwirkt, das den Leser zwingt, sich mit seinen eigenen Vorurteilen und seinem Nichtwissen auseinander zu setzen. Ein Buch, dem man viele Leser wünscht, in Deutschland und anderswo, damit wir einander besser verstehen lernen.
Hinweise
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