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Kategorie: Interviews mit Autoren

Silvia_Kaffke_klein


Frau Kaffke, erzählen Sie doch unseren Leserinnen und Lesern etwas über sich selbst. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen und wie sieht ein Tag bei Ihnen aus?

 

Ich habe eigentlich schon immer geschrieben. Meine ersten Veröffentlichungen waren einzelne Gedichte als Teenager, später Kurzgeschichten und abgeschlossene Romane für die Yellow Press unter einem Pseudonym, das ich nicht verrate.
Bis vor zwei Monaten habe ich noch als Sekretärin gearbeitet, jetzt habe ich mir für ein Jahr eine Auszeit genommen und bin noch nicht so ganz in meinem neuen Alltag angekommen.


Sie schreiben ja schon seit vielen Jahren Krimis. Was hat Sie dazu bewogen, mit „Das rote Licht des Mondes“ Ihren ersten historischen Krimi zu verfassen?

2005 zog ich um nach Ruhrort, dem Hafenstadtteil Duisburgs, ein Quartier mit viel Geschichte, alter Bausubstanz und auch vielen Geschichten. Die Story um Lina und das alte Ruhrort hat sich mir förmlich aufgedrängt, weil die Vergangenheit hier noch ganz nah ist.


Auch im Folgeroman „Das dunkle Netz der Lügen“ sind die Figuren Lina und Robert Borghoff die Protagonisten. Die beiden sind ja alles andere als perfekt und alle Ihre Figuren zeigen Ecken und Kanten, was ich persönlich als Bereicherung im Buch empfinde. Woher nehmen Sie Ihre Figuren? Entstehen diese in Ihrer Phantasie oder kommen die aus dem wirklichen Leben?

Das ist natürlich alles Phantasie. Aber ich habe immer, auch schon in den früheren Büchern, sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Figuren nicht eindimensional sind. Viele Leser lieben Lina, gerade weil sie auch stur und dominant sein kann (man denke daran, wie sie ihrer Schwägerin jegliche Entscheidungsgewalt im Haushalt des Bruders abgesprochen hat), weil sie manchmal zu vernünftig und rational, dann aber wieder sträflich leichtsinnig ist und sich in Gefahr bringt. Und Robert kann einem manchmal Leid tun, aber er hat sich ja aus ganzem Herzen für diese und keine andere Frau entschieden.


Die beiden Bücher mit den Borghoffs sind ja nicht nur Krimis, sondern meines Erachtens auch eine Milieustudie, da sie wunderbaren Einblick in das Alltagsleben gewähren. Wie aufwändig ist eine Recherche, wenn man einen Roman im 19. Jahrhundert ansiedelt?

Es war sehr aufwändig beim ersten Buch. Die Schwierigkeit ist nicht unbedingt, herauszufinden, was damals gerade in Ruhrort und im Ruhrgebiet passiert ist, das lässt sich schnell herausfinden. Um ein möglichst echtes Milieu zu schildern, muss man sehr viel über die Alltagskultur dieser Zeit wissen und das ist alles andere als einfach, denn obwohl es erst 150 Jahr her ist, wurde das Alltagsleben kaum dokumentiert. Meine beiden Hauptquellen für diese Details waren zum einen die damaligen Zeitungsanzeigen, aus denen man vom Fahrplan der Eisenbahn über Lebensmittel und Kleidung bis hin zu Reinigungsmitteln und Kosmetik alles erfahren konnte. Zum anderen wurde ich fündig in einem alten Henriette-Davidis-Kochbuch, das neben Rezepten auch sehr viele Informationen über Haushaltsführung und Küchenorganisation enthält. Diese Informationen habe ich versucht, so dezent wie möglich, ohne ins Dozieren zu kommen, in der Handlung zu verarbeiten.
Für „Das dunkle Netz der Lügen“ musste ich nicht mehr so viel zum alltäglichen Leben erfahren, stattdessen wurde die Technik und die Arbeit in einem damaligen Stahlwerk wichtig und auch, wie die Arbeiter zu der Zeit wohnten.


Haben Sie das 19. Jahrhundert, in dem das Buch spielt, aus einem bestimmten Grund gewählt und wenn ja, warum?

Ich mochte dieses Jahrhundert schon immer. Literarisch hängt mein Herz allerdings an der Zeit vor Lina – ich liebe die Romantiker bis hin zum Vormärz und Heinrich Heine. Die Realisten liegen mir weniger. Aber es war eine aufregende Zeit, die 48er Revolution, die beginnende Industrialisierung. Und ich liebe die damalige Architektur bis in die Gründerzeit und den Jugendstil. Ich wohne jetzt in einem Haus aus den 1920ern, neuer dürfte es nicht sein, damit ich mich darin wohl fühle.


Sie leben ja erst seit ein paar Jahren in Ruhrort. In den Büchern spürt man aber die besondere Liebe, die Sie zu dieser Stadt bzw. zu diesem Stadtteil haben. Aus welchem Grund genau wählten Sie Ruhrort als Schauplatz Ihrer Bücher?

Ich habe ja schon geschildert, wie mich der Stadtteil inspiriert hat. Das Besondere an Ruhrort ist, dass seine verschiedenen Schichten seit Anfang des 19. Jahrhunderts (und nimmt man das hier ansässige Unternehmen Haniel seit Mitte des 18. Jahrhunderts) ganz lebendig sind. Und diese Liebe zur Vergangenheit, besonders zu der verlorenen Altstadt, die der Sanierungswut der 60er zum Opfer fiel, nachdem sie den Krieg fast unversehrt überlebt hatte, ist tief eingegraben in die Seelen der Ruhrorter. Das Hafenleben, mit den Tausenden von Binnenschiffern, deren „Hauptstadt“ Ruhrort gewesen ist, war dem von St. Pauli gar nicht unähnlich. Jetzt gerade wird Ruhrort wiederbelebt durch eine ganze Anzahl von Künstlern, die hier leben und arbeiten. Die Veranstaltungen zur Kulturhauptstadt Ruhr 2010, an denen ich auch beteiligt war, haben da noch weitere Impulse gesetzt und Netzwerke ins Leben gerufen. Ich habe mich in keinem Duisburger Stadtteil, in dem ich bisher lebte, so angekommen und angenommen gefühlt. Deshalb kämpfe ich auch darum, dass notwendige Veränderungen und Sanierungen mit dem nötigen Fingerspitzengefühl angegangen werden. Nicht Schicki-Micki, sondern die lebendige Vergangenheit macht Ruhrort zu dem In-Quartier, das es inzwischen ist. Duisburg sollte diesen Schatz sehr hüten, es hat nicht viele davon.


Einen historischen Roman zu schreiben heißt auch, sehr viel Zeit mit Recherche verbringen. Wie und wo haben recherchiert und wie lange haben Sie an Ihren Büchern geschrieben?

Die wichtigsten Quellen waren das Stadtarchiv, das Haniel Museum und das dazugehörige Archiv mit all den hilfreichen Menschen. Und natürlich die Ruhrorter, am wichtigsten war die Heimatforscherin Marlies Diepenbrock, die zum Beispiel etwas über die Schmugglergänge unter der Stadt wusste und sogar einmal einen gesehen hat.


Gibt es bei Ihren Figuren auch welche, mit denen Sie sich selbst identifizieren bzw.: Wie viel Silvia Kaffke steckt in den Figuren?

Mit Lina teile ich vielleicht den unbedingten Willen zur Unabhängigkeit, was heute leicht ist, damals aber unendlich schwer. Ansonsten kann ich sagen: Natürlich steckt in jeder Figur etwas von der Lebenserfahrung des Autors oder der Autorin, dahinter gleich Autobiographisches zu vermuten, wäre falsch.


Haben Sie beim Schreiben fixe Zeiten oder Vorlieben? Schreiben Sie jeden Tag oder je nach Gefühl und Freude?

Ich schreibe sehr viel aus dem Bauch heraus, einschließlich der Entwicklung der Ideen. Manchmal, wenn ich gerade eine Schreibblockade habe, verfluche ich mich dafür und bewundere die Kollegen, die mit eiserner Disziplin ihre Seiten produzieren. Aber wenn es dann soweit ist und alles fließt, dann weiß ich, wie glücklich ich damit bin. Dann kann ich auch äußerst diszipliniert sein.


Werden wir von den Borghoffs noch mehr lesen dürfen und schreiben Sie schon an einem neuen Buch?

Warten wir mal ab, ob „Das dunkle Netz der Lügen“ genauso gut aufgenommen wird, wie der Vorgänger. Ich kann mir schon vorstellen, einen weiteren Lina-Roman zu schreiben, aber möglicherweise mache ich erst einmal etwas ganz anderes.


Wenn Sie Ihr aktuelles Buch „Das dunkle Netz der Lügen“ mit drei prägnanten Wörtern beschreiben müssten, welche wären dies?

Das ist schwer, hier sind viele Handlungsstränge miteinander verwoben. Vielleicht: „Liebe, Lügen, Spannung“?


Frau Kaffke, ganz herzlichen Dank für das Interview! Ich wünsche Ihnen auch weiterhin viel Schaffenskraft und freue mich nach Ihrem spannenden neuen Werk schon wieder auf das nächste Buch!