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Sie sucht die Wahrheit. Und findet das Böse. Irenes Leben wird zum Albtraum, als ihr Sohn Jonas gewaltsam ums Leben kommt. Der Täter: ihr neunzehnjähriger Stiefsohn Martin. Die Tat: im Affekt. Angeblich wurde Martin Zeuge, wie Jonas einen kleinen Jungen ermordete. Zudem behauptet er plötzlich, von seinem eigenen Vater missbraucht worden zu sein. Das Gericht spricht Martin frei, doch Irene zweifelt. An Martins Aussage. Und an ihren eigenen Erinnerungen. Sie will die Wahrheit herausfinden, um jeden Preis. Erst recht, als Martin die Abiturientin Tina in seinen Bann zieht. Denn Irene ahnt, wozu ihr Stiefsohn fähig ist ...

 

 

Originaltitel: Die Stille nach dem Schrei 
Autor: Isolde Sammer
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag
Erschienen: September 2010
ISBN: 9783499253706
Seitenzahl: 399 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Der 19-jährige Martin wird beschuldigt, seinen 14-jährigen Halbbruder Jonas im Affekt erschlagen zu haben, nachdem dieser wiederum den Jungen Joey sexuell missbraucht und bestialisch ermordert haben soll. Doch schon noch den ersten Seiten ist dem Leser klar, dass Martin beide Morde begangen hat, er ein Psychopath ist. Noch in Untersuchungshaft, die Zelle mit einem wegen Raubüberfalls Verurteilten teilend, wird der Leser in die abstrusen Gedankengänge Martins eingeführt, seine sexuellen Neigungen und Abartigkeiten. Schon hier ahnt man, dass der Sohn seines Zellenmitinsassen sein nächstes Opfer werden könnte. Doch wie ergeht es dabei Irene, der Mutter der beiden, Mutter von Jonas, dem Opfer, der zunächst selbst als Täter beschuldigt wird und Mutter, wenn auch Stiefmutter, Martins, des wirklichen Täters, der ihren eigenen Sohn erschlagen hat? Vor Gericht sagt sie gegen Martin aus. Sie kann weder glauben, dass Jonas diesen kleinen Jungen so zugerichtet hat, noch dass ihr vor drei Jahren verstorbener Mann über Jahre hinweg Martin sexuell missbraucht haben soll, was Martin aber behauptet. Das Gericht glaubt den Aussagen Martins, spricht ihn des Mordes frei. Er wird aus der Haft entlassen und kehrt in das Haus seiner Eltern zurück, zurück zu Irene. 


Stil und Sprache
Isolde Sammer nutzt zwei Erzählebenen. Einmal führt sie den Leser durch die Gedankengänge und Handlungen ihrer Protagonisten, indem sie diese aus Sicht der dritten Person erzählt. Die zweite Ebene ist der Bericht Tinas an den ermittelnden Kommissar Schneider, erzählt in der Ich-Form, rückblickend.

Insgesamt geht es nicht wie sonst üblich um das Herausfinden des Täters, seine Überführung. Hier geht es vielmehr um die Gefühle und Verstrickungen, die psychologische Situation der Menschen um den Täter herum und des Täters selbst. Die Autorin lässt die Mutter zu Worte kommen, beschreibt aus ihrer Sicht die familiären Zusammenhänge, die Kindheit Martins, seine depressive Mutter, die ihn nach der Geburt nicht annehmen kann, Selbstmord begeht, der Vater Joachim und die Oma Gudrun, die nur das Beste für den Jungen wollen, ihn einerseits komplett verwöhnen, andererseits nicht die Grenzen aufzeigen, ihm keine Richtung im Leben geben. Sie als Stiefmutter, die versucht, den Part der Mutter zu übernehmen, aber nicht wirklich an den Jungen herankommt, erste Anzeichen von Absonderheiten in seinem Verhalten nicht wahrnimmt, wahrnehmen will.

Die Autorin beschreibt den verzweifelten Versuch der Mutter, die Wahrheit herauszufinden. Sie will nicht mehr wegschauen, setzt alle Hebel in Bewegung, um Martin zu überführen, ihn wenigstens für die Zukunft zu stoppen. Isolde Sammer führt den Leser in unglaublich fesselnde Situationen. Irene, als Mutter des Täters, spricht mit den Eltern des ermordeten Joey. Sie sucht die ehemalige Freundin Martins auf und dann auch Tina, die neue Freundin von Martin. Sie versucht sie zu warnen. Und später erfolgt das Gespräch mit der Mutter Tinas, als diese schon längst in die Horrortaten Martins mit verstrickt ist.

Auf der anderen Seite lässt die Autorin Martins jugendliche Freundin Tina zu Wort kommen, in schriftlicher Form. Tina schreibt dem damals ermittelnden Kommissar Schneider ihre Erlebnisse mit Martin. Erst nach und nach begreift der Leser, aus welcher Situation heraus sie schreibt und die Handlungsstränge fließen langsam zusammen. In der so naiven Sicht Tinas eröffnen sich dem Leser die Abgründe und Horrorszenarien. Mehr Spannung, Empathie und Zerrissenheit bei der Einschätzung der einzelnen Figuren kann man beim Leser kaum erzeugen.


Figuren

Neben dem Täter, Martin, und dessen neuer Freundin und späterer Komplizin Tina, spielt die Mutter Irene die zentrale Rolle in diesem Buch. Die Abartigkeit der Gefühlswelt Martins, seine sexuelle Ausgerichtetheit und sein Trieb, seine Planung bis hin zur Umsetzung der unglaublichen Horrorszenarien wird dem Leser direkt und ohne Schonung vor Augen geführt. Gleichzeitig richtet die Autorin den Blick auf seine schwierige Kindheit, seine daraus resultierende emotionale Gestörtheit, ein Gendeffekt, der seine Agressionen und Gefühlskälte mit erklärt.

Ebenso beeindruckt die Naivität und Hörigkeit Tinas. Ihre Schilderungen, im Rückblick geschrieben, sind so unglaublich, so aufwühlend und Emotionen weckend, dass man als Leser am liebsten in das Geschehen eingreifen würde. Wie kann es sein, dass sie erst agiert, als es fast schon zu spät ist? Warum ist sie so passiv, lässt dies alles mit sich und den Kindern geschehen? Und auch die Erlebniswelt der Mutter Irene fesselt unglaublich. Ihre Zerrissenheit zwischen ihrer Position als Mutter des Opfers wie auch des Täters, ihr verzweifelter Versuch, eine Erklärung zu finden, wie es zu Martins Verhalten kommen konnte, ihr Bemühen, ihre Umgebung von der Gefährlichkeit Martins zu überzeugen, ihn zu stoppen.

Die Figuren werden in allen ihren Facetten unglaublich detailliert und fesselnd, psychologisch faszinierend beschrieben. Es gibt keine Einteilung in schwarz-weiß, keine direkte Schuldzuweisung, aber auch keine Entlastung. Jede Figur hat ihre Dramatik, ihre Mitschuld am Geschehen, und doch bleibt ein gewisses Mitgefühl mit den Agierenden.


Aufmachung des Buches
Das Cover dieses Taschenbuches zeigt den Ausschnitt eines Frauengesichtes. In der Pupille des abgebildeten Auges sieht man eine dunkle Männergestalt im offenen Türrahmen stehen, der Blick der Frau auf den Täter. Die Buchstaben des Titels sind etwas verwischt, rote Farbe dazwischen. Es passt insgesamt sehr gut zur Geschichte.


Fazit
Dieses Buch verdient wirklich die Bezeichnung "Psychothriller". Im Zentrum des Geschehens steht nicht die Tat des Psychopathen an sich, sondern dessen psychologische Auswertung, die bis ins Detail ausgearbeitete Beschreibung der Umstände, die schonungslose Sicht auf alle Beteiligten, die Angehörigen, Freunde, Opfer. Ein Buch, das fesselt und zum Nachdenken anregt, das nicht vorverurteilt, aber auch niemanden aus seiner Verantwortung nimmt. Wer psychologische Gedankengänge und tiefergehende Auswertungen mag, dem ist dieses Buch unbedingt zu empfehlen!


4 5 Sterne 


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