Autor: Mark Terkessidis Verlag: Suhrkamp Erschienen: 2010 ISBN: 9783518125892 Seitenzahl: 220 Seiten |
Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Über das Thema Migration zu schreiben, ohne allzu polemisch zu werden, ist ein Kunststück, das nur wenigen gelingt. Was für ein Glücksfall ist da Mark Terkessidis' Buch. Der Autor aus Eschweiler hat Psychologie studiert und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Migration. Im vorliegenden Buch lässt er unter anderem zahlreiche Erfahrungen aus dem eigenen Umfeld einfließen, mit deren Hilfe er aufzeigt, wie es um die "Barrierefreiheit" in Deutschland bestellt ist. Freilich liegt der Fokus auf der Betrachtung der Situation von Menschen mit Migrationshintergrund, doch auch Arme, Menschen mit Behinderung, alte Mitbürger und Frauen werden in die Betrachtung einbezogen. In Deutschland herrscht immer noch die Vorstellung, es gebe so etwas wie einen Standardbürger, eine Art "Normdeutschen", dem im Idealfall möglichst alle Menschen im Lande entsprechen sollten - wenigstens annährungsweise. Man spricht von der sogenannten "Leitkultur" und blickt ständig auf die Defizite der Migranten, die möglichst bald ausgebügelt werden sollten. Dann - und nur dann - kann man von einer gelungenen Integration sprechen.
Terkessidis zeigt nun auf, wie die Situation in Deutschland aktuell ist. Was sind die Ziele? Wie wird vorgegangen? Und was wird eben nicht unternommen, obwohl es schon seit Jahrzehnten zwingend erforderlich wäre? Die Lektüre öffnet die Augen und man will oder kann es kaum glauben: Wir stecken institutionell noch mitten in den Siebzigern (oder auch noch in den Fünfzigern). Es findet einfach kein Umdenken statt. Kein Wunder, dass es da zu der vielzitierten "Krise" kommt. Doch anstatt sich über Auswege aus diesem Zustand Gedanken zu machen, bleibt man doch lieber bei den altbekannten Vorstellungen und versucht eben den Status Quo zu konservieren.
Der Autor plädiert nun dafür, sich weg von den Vorstellungen einer "Einheit" hin zur "Vielheit" zu begeben. Was eigentlich schon lange Realität ist (Deutschland ist ein Einwanderungsland und fast jeder Dritte hat einen Migrationshintergrund) soll endlich akzeptiert und konstruktiv genutzt werden. Nur so ist es möglich, das volle Potenzial, das in einer Gesellschaft schlummert, zu nutzen. Hier liefert Terkessidis auch ganz konkrete Vorschläge. Es nützt nicht viel, den "Deutschen" zu predigen, dass Rassismus "pfui" und Völkerverständigung "toll" ist. Das dürfte eigentlich allen klar sein. Viel eher muss man direkt bei den Institutionen ansetzen. Die Schule ist hier ein gutes Beispiel. Man kann darüber klagen, wie schlimm die Situation ist, weil der Migrantenanteil wächst und man mit der Situation überfordert ist - oder man kann das Schulsystem mal ordentlich reformieren. Nur bleibt es meist beim Klagen und Reformen werden dann in einer völlig blödsinnigen Richtung vom Zaun gebrochen (vgl. G 8).
Terkessidis Stil ist kein bisschen langweilig. Er berichtet lebendig und mit vielen Beispielen aus dem Alltag (oft bleibt einem das Lachen im Halse stecken) von der gegenwärtigen Situation und zeigt Alternativen für die Zukunft auf. Hier schreibt jemand, der selbst über reichhaltige Erfahrungen mit dem Thema verfügt.
Das Buch eignet sich für alle Menschen, die sich mit den Themen Migration, Politik und Kultur auseinandersetzen. Eigentlich für alle Bundesbürger!
Aufmachung des Buches
"Interkultur" ist ein orangefarbenes Taschenbuch in der klassischen "edition Suhrkamp"-Aufmachung. Im Buch findet man einige s-w-Fotografien, die in deutschen Städten aufgenommen wurden und dokumentieren, wie sich die Vielfalt der Kulturen schon im urbanen Raum spiegelt. Man sieht z.B. Dönerbuden, ein türkisches Haribo-Goldbären-Plakat u.v.m.
Fazit
Mark Terkessidis' Buch hat mich absolut beeindruckt. Ich habe viele Erfahrungen selbst (so oder ähnlich gemacht), da ich ebenfalls aus dem Ausland komme. Das Buch könnte vielen Menschen die Augen öffnen und vor allem dazu beitragen, das zukunftsfähige Ansätze in die Tat umgesetzt werden. Ich wünsche ihm viele aufmerksame Leser!
Hinweise
Rezension von Sigrid Grün
Herzlichen Dank an den Suhrkamp-Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
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