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Hier geht ein Verhaltensforscher an den Werkzeuggebrauch des Menschen heran. Das Motorrad steht dabei als Beispiel für Werkzeuge des Menschen schlechthin. Insofern geht das Buch weit über das Motorradfahren hinaus. Es betrifft ebenso den Autofahrer, aber nicht nur diesen, sondern auch den Golfspieler, den Skiläufer, den Segelflieger, den Pianisten, eigentlich alle, die mit einem Gerät umgehen, das sich immer vollkommener und schließlich virtuos handhaben lässt.

Freilich ist es gerade der Motorradfahrer, der hier zu ganz neuen Einsichten gelangen kann und dazu noch zu äußerst nützlichen Hinweisen für Training und Praxis. Dass der Autor in der Praxis ebenso zu Hause ist, hat ihm, dem Senior unter den Instruktoren des MOTORRAD-Perfektionstrainings auf dem Nürburgring, die amerikanische Motorradzeitschrift Cycle bescheinigt: „Bernt Spiegel, ein Universitätsprofessor, der eine wunderschöne Bimota fuhr, schnell und mit einer fast körperlosen Geschmeidigkeit, hielt einen Vortrag über die Einheit von Fahrer und Maschine.“ Über letzteres ist hier noch viel genauer nachzulesen.

Der Autor erhielt 2000 den renommierten Christophorus-Preis.

 

Die_obere_Haelfte_des_Motorrads  Autor: Bernt Spiegel
Verlag: Motorbuch Verlag - Paul Pietsch Verlag
Erschienen: 2006 (fünfte Auflage)
ISBN: 978-3-613-02268-3
Seitenzahl: 301 Seiten


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Die Zielgruppe scheint auf den ersten Blick eindeutig zu sein: natürlich der Motorradfahrer. Und tatsächlich gibt dieses Buch dem Motorradfahrer nicht nur einen gewaltigen Einblick in die physischen und psychischen Gesetzmäßigkeiten des Motorradfahrens, sondern auch ein Werk an die Hand, das ihn – egal ob Einsteiger oder passionierter Biker – bei konsequenter Umsetzung tatsächlich zu einem deutlich besseren und vor allem sichereren Fahrer werden lässt. Doch richtet sich das Buch bei weitem nicht nur an diese Gruppe. Bernt Spiegel ist nicht nur leidenschaftlicher Motorradfahrer, sondern vielmehr Verhaltensforscher, der sich dem Werkzeuggebrauch des Menschen, dem Einswerden des Menschen mit einem Werkzeug, zuwendet. Und dies erfasst eine gewaltige Zahl an potentiellen Lesern, auch wenn diese kein Motorrad fahren. Ein kleiner, aber nicht abschließender Kreis ist auf dem Buchrücken ja schon genannt. Dieses Buch richtet sich vom Studenten der Verhaltensforschung bis zu Trainern diverser Sportarten.

Bereits im Vorwort weist Bernt Spiegel darauf hin, dass sich nach dem Haupttext ein umfangreicher, ein Drittel des Umfanges ausmachender Anhang aus Anmerkungen und Exkursen besteht. Er macht zwar darauf aufmerksam, dass man den Haupt- und die Anhangtexte getrennt voneinander lesen kann, dennoch rate ich hiervon ab. Wie sich zeigt, nehmen viele der Anhänge einen direkten Bezug auf das Thema des Haupttextes, ohne es nochmal direkt anzusprechen  – liest man sie später, dürfte nicht immer klar sein, worauf sie sich überhaupt beziehen. Damit aber auch der Haupttext nicht laufend gestört wird, empfehle ich, immer jeweils einen Abschnitt und erst danach die hierzu gehörenden Erläuterungen im hinteren Teil nachzulesen. Allerdings fällt bei diesem System doch auf, dass das Lesetempo hierdurch verringert wird.

Der Autor verwendet im nötigen Rahmen Fachbegriffe und Fremdwörter, verzichtet aber auch darauf, wann immer es möglich ist. Stattdessen veranschaulicht Spiegel mit tollen Beispielen und – mentalen wie tatsächlichen – Bildern, die dem Leser helfen und unterstützen, das Gelesene zu behalten und zu verarbeiten. Muss er Fachbegriffe, besonders aus der Psychologie oder der Verhaltensforschung, verwenden, so erläutert er sie entweder umgehend oder verweist durch eine Bezifferung auf die umfangreichen Anhänge. Nicht selten ist es gut, dass er einen Gutteil der Erläuterungen aus dem Haupttext ausgliedert, da einerseits diejenigen über das Mensch-Maschine-System oder über den Mesokosmos – um nur wenige Beispiele zu nennen – durch ihre Komplexität die volle Konzentration des Lesers erfordern, andererseits die Exkurse, Anekdoten oder Erläuterungen teilweise Seitenzweige des Hauptthemas sind und den Haupttext beim sofortigen Nachschlagen ablenken würde. Merkt der Leser, dass ihm z.B. durch Müdigkeit die Konzentration schwindet, so sollte man dieses Buch beiseitelegen. Auch wenn es relativ locker und nicht zu klausuliert geschrieben ist, so bringt es keinen Lern- und Umsetzungseffekt mehr, wenn man die Inhalte nicht voll aufnehmen kann.

Das Verhältnis von der „Tiefenperson“ (ablaufende Automatismen) zur „Ichperson“ (Überprüfung und Kontrolle durch das Großhirn) veranschaulicht Spiegel mit vielen einfachen und bewusst nicht aus der Motorradwelt stammenden Beispielen wie dem Schluckauf, dem Vorgang des Schluckens, dem Arbeiten mit einer Schreibmaschine oder Merkmalen diverser anderer Sportarten. Mehr noch, er beschreibt anhand so simpel nachzuvollziehender Erläuterungen, was im Kopf eines Menschen, im Großhirn und im prozeduralen Gedächtnis vor sich geht.
Nicht gerade wenig Konzentration sollte man für den Teil „Die Frage Karls V.“ mitbringen, bei dem es um den Integrationsgrad von Werkzeugen geht, die Einbeziehung von Körperfremdem ins eigene Körperschema. Zwar versucht Spiegel auch hier möglichst einfach und nachvollziehbar zu schreiben und mit vielen Beispielen aufzulockern, trotzdem sind die Inhalte schon sehr wissenschaftlich und fordern die volle Aufmerksamkeit des Lesers. Um für das individuelle Verständnis eines jeden Lesers etwas zu bieten, betrachtet der Autor mehrere Annäherungswege genau, die alle darauf abzielen – nur aus verschiedenen Perspektiven – mit einem Werkzeug, einer Maschine „eins zu werden“ und sie „zu einem Teil, einer Verlängerung des eigenen Körpers“ werden zu lassen.
Anhand von etlichen Beispielen beschreibt Spiegel, wie man sich mental auf das Motorradfahren und auf gefährliche, auf schwierige Situationen vorbereiten kann und geht dann intensiv und praxisgerecht auf Mentaltrainings ein. Anschließend folgen – nun ebenfalls verstärkt auf das Motorradfahren ausgerichtet – Abschnitte über Vorsatzbildung und -einhaltung, Hilfsvorstellungen und Ratschlägen für das Training gegen Schreckanfälligkeit. Last but not least ergänzt er noch um ein Kapitel, in dem er abseits des Psychologischen massenhaft Empfehlungen für die Praxis mitgibt und einige Teile des Buches nochmal wiederholt und wachruft. Gegliedert wird dieses Kapitel in die fünf Bereiche Lockerheit (hierbei spricht er ausführlich das Thema Regenfahrt an), Fahrer und Strecke, Körperhaltung, Übungsvorsätze und allgemeine Vornahmen. Gerade Teile werden dafür sorgen, dass der Leser und ambitionierte Motorradfahrer immer wieder zum Buch greifen und nachschlagen wird.


Aufmachung des Buches
Die erste Auflage des Buches erschien 1999, seitdem hat es Bernt Spiegel immer wieder ergänzt und perfektioniert. Die mir vorliegende fünfte Fassung ist noch nicht die jüngste, die derzeit aktuellste Auflage erschien im Februar 2009. Das Buch wird fest gebunden und sauber verarbeitet in einem A5 großen, angenehm zu handhabenden Format geliefert. Auf das matt glänzende Papier im Innenteil wurden sämtliche Grafiken und Fotos zeitgemäß in hochwertigem Farbdruck dargestellt.

Nach dem Inhaltsverzeichnis und einem Vorwort kommt der Autor direkt zur Sache. Blau unterlegte Randnotizen gliedern im Inneren den Haupttext und helfen später dabei, bestimmte Stellen viel schneller wiederfinden zu können. Bestimmte Teile des Haupttextes werden immer wieder durch violette Kästchen hervorgehoben, die für sich gelesen werden können und keine Zusammenfassung des Vorherigen sind, sondern vielmehr wichtige Ergänzungen bieten, die beim schnelleren und zunächst nur auf diese Kästchen beschränkten Lesen (z.B. zur Auffrischung vor einem Motorradurlaub) bereits einen guten Überblick über die Inhalte bieten.
Ein Lesebändchen rundet das Ganze ab und hilft, insbesondere bei Hinzunahme eines Lesezeichens für den Haupttext, beim Wechseln zwischen Haupt- und Anhangext immer wieder schnell die aktuelle Position bei den Erläuterungen wiederzufinden.


Fazit
Auf dem Cover prangt der Aufdruck „eines der erfolgreichsten Motorradbücher“ – und wenn man das Werk gelesen hat, kann man dem nur zustimmen. Bernt Spiegel geht ins Detail - egal ob es die physischen oder psychischen Aspekte des Werkzeuggebrauchs, insbesondere des Motorrades, durch den Menschen betrifft - und hilft mit sehr vielen Ratschlägen, sich durch mentales und praktisches Training zu einem besseren, sichereren Motorradfahrer entwickeln zu können.


5 Sterne


Hinweise
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