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Kategorie: Sozialwissenschaft, Recht und Wirtschaft

Badeanzüge und Sonnebrillen, Fernseher und Handys, Flugzeuge und Kinderwagen: Wie die meisten Dinge unseres Alltags bestehen sie zu einem großen Teil aus Plastik - von Wegwerfprodukten wie PET-Flaschen und anderem Verpackungsmaterial ganz zu schweigen.

Die Menge an Kunststoffmüll wächst seit jahrzehnten in bedrohlichem Tempo. An Land wird vergraben und verbrannt, was nicht recyclet werden kann, in den Ozeanen treibt Plastik in riesigen Strudeln. Von der See zu kleinsten Partikeln zermahlen, finden gefährliche Substanzen wie Weichmacher und Bisphenol A über die Nahrungskette ihren Weg in unser Blut.

Journalist Gerhard Pretting und Regisseur Werner Boote wagen einen umfassenden Blick auf das Thema Kunststoff. Sie erzählen von seiner Faszination als ultraleichtes und frei gestaltbares Material ebenso wie von seinem Vermächtnis als nicht verrottender, giftiger Abfall, der die Umwelt und unsere Gesundheit in alarmierendem Ausmaß bedroht.

 

  Autor: Gerhard Pretting; Werner Boote
Verlag: Orange Press
Erschienen: 2010
ISBN: 9783936086478
Seitenzahl: 223 Seiten


Stil und Sprache
Beim Lesen des vorliegenden Buches habe ich mich öfter gefragt: Wie kann ein Sachbuch nur so spannend sein? Spannender als ein Krimi! Die Antwort ist ebenso einfach wie erschütternd: Pretting und Boote schreiben über etwas, das wir alle kennen und das uns alle angeht. Ein Alltagsthema wird behandelt. Etwas, worüber man sich sonst überhaupt keine Gedanken macht, wird in seiner ganzen Reichweite erörtert. Und dabei gehen die Autoren schonungslos und offen mit der Materie um.
Der promovierte Philologe Pretting schreibt u.a. für die ZEIT, Boote ist nicht nur Regisseur, sondern auch studierter Publizist, Theaterwissenschaftler und Soziologe. Schreiben können die beiden also auch auf alle Fälle - und zwar sehr klar und verständlich. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass hier jemand Fachchinesisch schreibt. Auch chemische Zusammenhänge etc. werden lebendig, packend und für jeden verständlich geschildert.


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Die Autoren gliedern das Buch in drei große Abschnitte: Träume, Alpträume und Aufwachen. Anschließend findet man noch ein Making-of-Kapitel über die Entstehung der Idee und schließlich des Films, sowie ein umfangreiches und informatives Glossar.

Im Abschnitt Träume geht es um die Geschichte und die Entwicklung des Plastiks. Innerhalb von nicht einmal 100 Jahren hat es die Welt komplett verändert. Es gibt keinen Lebensbereich mehr, in dem es nicht vorkommt. Unser Leben ist quasi "plastifiziert" - von der Geburt bis zum Tod. In mehreren Kapiteln wird lebendig erzählt, wie es zu den ersten Entdeckungen und Entwicklungen auf dem Gebiet kam (etwa Anfang des 20. Jahrhunderts) und welche immensen Vorteile Plastik nun mal einfach hat. Es ist leicht, es ist billig, es kann sogar aus einem Abfallprodukt aus der Industrie (Chlor) gewonnen werden, es ist problemlos abwaschbar und ungeheuer praktisch. So praktisch und nicht mehr wegzudenken aus unserem Leben, dass es sogar mittlerweile 3-D-Drucker gibt, mit deren Hilfe man kleine Plastikartikel, wie z.B. eine Zahnbürste o.ä. selbst "ausdrucken" kann - kein Witz!

Nach den "Plastikträumen" gehen Pretting und Boote auf die Schattenseiten des beliebten Kunststoffes ein. Die Hauptprobleme sind die unkalkulierbaren Risiken, die mit diesem neuen, künstlich hergestellten "Wunderstoff" verbunden sind (man hat so gut wie überhaupt keine Ahnung was gesundheitliche Gefahren - vor allem langfristig - angeht etc.) und die faktisch kaum vorhandene Möglichkeit, Plastik wieder loszuwerden. Hier wird das Märchen vom Recycling entzaubert, denn wenn überhaupt, kann man höchstens von "Downcycling" sprechen. Aus PET-Flaschen wird etwas minderwertigeres hergestellt, das sich dann wiederum nur noch zur Herstellung einer Parkbank o.ä. eignet - und die ist dann, wenn sie kaputt ist, endgültig Weltraumschrott. Was geschieht also mit dem ganzen Plastik, denn es wird in ungeheuren Mengen produziert, die unser Planet eigentlich nicht verkraftet. Der risikoreiche Kunststoff gelangt in die Natur, wird von verschiedenen Organismen aufgenommen und die können ihn nicht abbauen. So gelangt der Stoff in unsere Nahrungskette und vergiftet langfristig Tier und Mensch. Es jagt einem wirklich kalte Schauer den Rücken hinunter, wenn man vom gigantischen Müllstrudel im Ozean liest oder von den Skandalen, die es auf dem Kunststoffsektor zu verzeichnen gibt. Da bleiben finstere Machenschaften des organisierten Verbrechens (Camorra) natürlich auch nicht aus.

Im Abschnitt "Aufwachen" widmen sich die Autoren schließlich der Zukunft. Was wird es geben? Wird es evtl. einen Ausweg aus dem Dilemma geben? Wie könnte er aussehen? Leider macht sich die Industrie hier viel zu wenig Gedanken. Ein Handlungsbedarf wird viel zu selten gesehen. Das ist einfach schlimm. Versöhnlich ist der Ausklang dann doch, wenn man von einer österreichischen Familie liest, die versucht, der "World of plastic" zu widerstehen. Zum Einkauf werden Behälter mitgenommen, die an den Theken befüllt werden sollen, auf unwichtige Artikel, die entbehrlich sind, wird verzichtet - aber ein Leben völlig ohne Plastik, so das Fazit - ist in der heutigen Zeit überhaupt nicht mehr möglich.

Das Buch ist durch seinen Alltagsbezug sehr gut verständlich. Die lebendige Erzählweise und das spannende Thema machen es zu einer spannenden Lektüre, die ich nicht aus der Hand legen konnte. Die Gliederung ist sinnvoll, so dass der Leser beide Seiten präsentiert bekommt und sich eine eigene Meinung bilden kann. Man muss den Film übrigens nicht gesehen haben, um in das Thema hineinzufinden. Das Buch ist also auch völlig unabhängig vom Film hervorragend lesbar.
Zur Zielgruppe: Das Buch ist eigentlich für jeden etwas, weil unser aller Welt von Plastik geprägt wird. Dafür wollen die Autoren auch sensibilisieren. Besonders wird es natürlich all jene Menschen interessieren, die sich für investigative Sachbücher erwärmen können. Wer sich für Umwelt- und Wirtschaftsthemen interessiert, ist hier auf alle Fälle auch richtig.


Aufmachung des Buches
Bei diesem Buch ist schon die Aufmachung Programm. Gleich zu Beginn stellen die Autoren nämlich die Frage, wieviel Plastik eigentlich in einem normalen (!) Buch steckt. Und es ist eine ganze Menge ... Ich war total überrascht! Dieses Buch ist anders. Es ist wohl plastikfrei (Bindung?) produziert und erhält dadurch einen gewissen "Öko-Look", der mir aber sehr gefällt, weil man sieht, dass hier auch konsequent gehandelt wurde. Das Buch kommt in Klappenbroschur (Softcover). Auf dem Cover sieht man eine Familie, die "Inventur" gemacht hat. Alle möglichen Plastikartikel des täglichen Bedarfs sind vor dem Haus aufgebaut. Das Cover finde ich gut gewählt, weil es schon gleich darauf aufmerksam macht, wie beherrschend die "World of Plastic" für unseren Alltag ist. Im Buch selbst findet sich ein 32-seitiger Bildteil mit farbigen Standbildern aus dem Film. Hier sieht man Forscher, Müllsammler, den Plastikglobus, mit dem alles angefangen hat u.v.m.


Fazit
Plastic Planet war das spannendste Sachbuch, das ich in letzter Zeit gelesen habe. Es ist ein wichtiges Buch, das einen wachrütteln kann und muss. Es geht uns alle an. Deswegen wäre es so wichtig, dass wir Bescheid wissen. Ich achte jetzt jedenfalls verstärkt auf mein Konsumverhalten - und merke jetzt erst, wie sehr unser Leben tatsächlich vom "Stoff, aus dem die Träume sind" beherrscht wird.


5 Sterne


Hinweise
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