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„Es gibt ein arabisches Sprichwort, das besagt: Nicht die Kugel tötet, sondern das Schicksal… Und dein Schicksal ist es, die Freiheit zu symbolisieren!“

Dies ist die tragische Geschichte des jungen Bernard Sambre, der in einer Welt zwanghafter Konventionen und verlogener Moralvorstellungen lebt. Sein Vater, der alte Hugo Sambre, arbeitete bis zum seinem Freitod an dem Essay Der Krieg der Augen; er hatte die fixe Idee, dass niemand, der nicht braune oder schwarze Augen hat, den Herrensitz derer von Sambre betreten dürfe. Dies ist auch die Geschichte der verbotenen Liebe zwischen Bernard und Julie, der Wilddiebin mit den feuerroten Augen. Gemeinsam geraten sie in die Wirren der Pariser Februarrevolution von 1848 und stehen auf den Barrikaden den Gewehrläufen der Nationalgarde gegenüber…

Mit dem düster-romantischen Historien-Drama Sambre hat Yslaire einen modernen Klassiker des europäischen Comics geschaffen. Carlsen präsentiert den vielfach preisgekrönten ersten Zyklus in vollständig überarbeiteter Farbgebung und um bislang unveröffentlichte Comic-Seiten ergänzt.

 

 

Autor: Yslaire (Bernard Hislaire); teilweise Balac (Yann Lepennetier)
Illustrationen: Yslaire (Bernard Hislaire)
Verlag: Carlsen Comics
Erschienen: Juli 2009
ISBN: 978-3-551-77946-5
Seitenzahl: 225 Seiten
Altersgruppe: ab 16 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)

Hier geht's zur Leseprobe


Die Grundidee der Handlung
Vor einem düsteren familiären Hintergrund entspinnt sich die leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen dem jungen Bernard Sambre und der Hurentochter Julie, doch ihre Liebe steht unter keinem guten Stern. Das unvollendete Essay „Krieg der Augen“ von Bernards Vater Hugo Sambre schwebt wie ein Damoklesschwert über den Liebenden, in dem es heißt: „Unglück dem, der ein Wesen mit roten Augen liebt, denn er wird sein Leben lang Tränen aus Blut weinen.“ Er hätte die Beziehung zwischen seinem einzigen Sohn und der rotäugigen Julie niemals gutgeheißen, einschreiten kann er aber auch nicht mehr, begeht er doch kurz vor ihrer ersten heimlichen Begegnung Selbstmord.
In „Sambre“ scheint die Rolle jedes einzelnen vom Schicksal unabwendbar vorbestimmt zu sein, ein Entkommen gibt es nicht – für keinen von ihnen, diese Gewissheit manifestiert sich beim Leser schon nach wenigen Seiten, dennoch ist man völlig gebannt von der Dramatik und Tragik, die zuerst langsam und dann immer schneller werdend einen dunklen, alles verschlingenden Sog entwickelt. Die beiden Hauptelemente ‚tragische Liebe‘ und ‚düstere Familiengeschichte‘ verbinden sich vor einem geschichtsträchtigen Hintergrund zu einem grandiosen Erzählepos, das den Vergleich mit den Werken eines Victor Hugo oder Honoré de Balzac, die hierfür Pate standen, nicht zu scheuen braucht.

Bravo! Ich ziehe meinen Hut vor Bernard Hislaire, der vielen Widrigkeiten zum Trotz (u.a. der Bruch mit Yann Lepennetier kurz nach Fertigstellung des 1. Bandes), an seiner Idee für eine dramaturgisch fortlaufende, auf mehrere Bände verteilte Handlung stets festhielt und mit der er den europäischen Comic dann auch nachhaltig revolutionierte.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Die Optik in "Sambre" ist ungewöhnlich und außergewöhnlich zugleich, denn sie besticht – abgesehen von den roten Farbtupfern, auf die ich noch näher eingehen werde – mit einer monochromen Farbpalette, die sich in einem eng gesteckten Rahmen von Grau- und Brauntönen bewegt. Das Grau variiert von Schwarzgrau über Blaugrau bis Grüngrau, die Sepiatöne reichen von hellem Beige über Braun bis hin zu Rostrot, welche einem im Vergleich zum düsteren Grau schon fast farbenfroh erscheinen. Trotzdem gelingt es Yslaire, mit diesen „Nichtfarben“ das Maximum an Stimmungen und Ausdrucksmitteln herauszuholen, so dass man buntere Farben überhaupt nicht vermisst.
Die Farbe Rot spielt in „Sambre“ eine überaus wichtige, unheilverheißende Rolle, deshalb wird sie gezielt zu dramaturgischen Zwecken als hervorstechender Farbtupfer vor der grauen bzw. braunen Optik eingesetzt, sei es bei den Haaren der Sambres, Julies teuflischen Augen, ihrer Haarnadel mit rotem Kopf, die zur tödlichen Waffe mutiert, selbstverständlich auch beim Blut, das hier des Öfteren zum Fließen kommt oder bei der Flagge, die als Freiheitssymbol einer ganzen Nation dient.

Die Detailgenauigkeit und Authentizität der Zeichnungen sind ebenso beeindruckend wie die Farben. So hat man beispielsweise darauf geachtet, die Sambre-Mitglieder mit gleichen, familiencharakteristischen Gesichtszügen auszustatten, so dass jeder auf den ersten Blick als ein Sambre erkennbar ist. Aber auch sonst haben alle Figuren ein eigenes Gesicht, vom Hauptcharakter, über den Nebendarsteller bis zum namenlosen Statisten im Hintergrund. Die Mimik ist ebenfalls immer eindeutig und bringt die richtige Gefühlslage zum Ausdruck.
Auch Gebäude, Straßenzüge, Inneneinrichtung, Kleidung, Frisuren – einfach alles ist in „Sambre“ äußerst sorgfältig, detailgetreu und historisch authentisch wiedergegeben. Sogar bis in die tiefsten Hintergründe ist alles noch erkennbar: In den Zimmern ist es zum Beispiel das Motiv eines Gemäldes an der Wand, in den Straßen ist es jeder einzelne Pflasterstein oder der Name der Straße auf dem emaillierten Schild an der Gebäudefassade. Die Tiefen- und Schattendarstellung ist genauso vorbildlich, so dass eine hohe Plastizität entsteht, was in Kombination mit der monochromen Farbgebung und der Detailgenauigkeit beim Leser den Eindruck erwecken lässt, er würde alte Photographien betrachten statt Zeichnungen.
Gewaltdarstellungen ufern nie aus, sie bewegen sich im normalen Rahmen, genauso verhält es sich mit den Bettszenen oder allgemein bei Nacktdarstellungen, auch hier entsteht nie ein vulgärer, abstoßender Eindruck – ganz im Gegenteil, die nackten Körper sind sehr schön anzusehen, mit sinnlichen Rundungen, als hätte Yslaire sich von historischen Gemälden (z.B. Botticelli)  inspirieren lassen. Und um auch hier wieder auf die Details einzugehen: man hat sogar den einen oder anderen Pigmentfleck auf Rücken und Po berücksichtigt.

Das Verhältnis zwischen Text und Zeichnung ist sehr ausgeglichen, was ein flüssiges Lesen gewährleistet. Die Textblasen sind comictypisch eckig und mit einem gleichmäßigen Schriftbild in Großbuchstaben gefüllt. Bei lauten Ausrufen sind die Buchstaben entsprechend größer und fett gedruckt. Auf Geräuschbeschriftungen in den Bildern hat man ganz verzichtet.


Aufmachung des Comics
In der neu aufgelegten, sehr hochwertig gebundenen Gesamtausgabe im A4-Format sind die vier Bände des ersten Sambre-Zyklus, die ursprünglich zwischen 1987 und 1997 bei Carlsen erschienen, zusammengefasst. Die Seiten im Innenteil sind glatt, mattglänzend und ausreichend dick, um Langlebigkeit zu garantieren. Laut Verlag fügte man auch noch zusätzliche, bisher unveröffentlichte Seiten bei. Außerdem ist der Band mit graumarmorierten Vor- und Nachsatzblättern, jeweils einem Skizzenblatt vorne und hinten, einem schönen Titelblatt und vier illustrierten Kapiteldeckblättern ausgestattet. Und wie es sich für die neu aufgelegte Gesamtausgabe eines Klassikers gehört, befindet sich im Anhang ein umfangreiches Dossier über den Werdegang von Bernard Hislaire und Yann Lepennetier, die sich eigens für „Sambre“ Pseudonyme zulegten, um sich von ihren seitherigen Werken zu differenzieren, sowie natürlich viele interessante Informationen rund um das Sambre-Universum.
Die stimmungsvolle rotstichige Coverillustration zeigt Julie mit wehenden Haaren inmitten der revolutionären Barrikaden, in ihren Händen hält sie eine rote Flagge als Symbol für die ersehnte Freiheit. Autoren- und Titelnamen sind mit dezentem Spotlack aufgedruckt. Auf der ebenfalls rotstichigen Buchrückseite bildet das Gesicht Hugo Sambres den Untergrund für die Inhaltsangabe und die vier kleinen Coverillustrationen aller Bände dieses Zyklus.

Bei der gesamten Aufmachung dieser Neuauflage hat Carlsen nicht gegeizt sondern geklotzt – und das auch noch zu einem moderaten Preis (umgerechnet ca. 10 Euro pro Band). Sehr lobenswert!


Fazit
Mit dem ersten Zyklus der episch angelegten Familienchronik derer von Sambre ist Yslaire inhaltlich wie optisch ein Meisterwerk gelungen, das seinesgleichen sucht. Ein Muss für jede gutsortierte Comic-Sammlung!


5 Sterne


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