Smaller Default Larger

Rätselhafte Dinge geschehen im Gefängnis Isenbüttel. Während einer Theateraufführung verlassen Häftlinge ungehindert das Gelände. Und kurz darauf feiert ein idyllisches Städtchen talentierte Schauspieler - die gar keine sind. Mit dem Hereinbrechen der Kunst und angetrieben von Gefühl, Leidenschaft und Phantasie entdeckt ein ganzes Gemeinwesen seine Möglichkeiten zu Größerem.
Und niemand scheint Verdacht zu schöpfen. Oder sind alle - der Intendant der Landesbühne, der Gefängnisdirektor, der Bürgermeister und die Bürger von Grünau - Teil einer grandiosen Inszenierung? Die Ausreißer selbst scheinen keine Ahnung zu haben. Werden Sie zurückkehren in ihre Zellen?
Turbulent geht es zu auf der Bühne des Lebens. Siegfried Lenz läßt die Geschichten in dieser Novelle labyrinthisch ineinanderlaufen, nimmt die Leser mit in eine Welt voller Ideen, voller Phantasie und führt dabei alles kunstvoll und lebendig zusammen.

 

  Autor: Siegfried Lenz
Verlag: Hoffmann und Campe
Erschienen: 2009
ISBN: 978-3-455-04282-5
Seitenzahl: 120 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Die "Landesbühne", eine Truppe von Schauspielern, gastiert in der JVA Isenbüttel. Man gibt ein Stück mit dem Namen Labyrinth, das die "Ansässigen von Isenbüttel" - wie sich der Direktor des Gefängnisses taktvoll ausdrückt - gespannt verfolgen. Unter ihnen auch die Gefangenen Hannes und sein Zellengenosse, der von Hannes anerkennend der "Professor" genannt wird.
Der Schauspieler stellt das Bühnenbild, eben jenes Labyrinth mit den Worten vor: "ein Modell für kunstvolle Verirrung" ... in dem man "auf rätselhafte Weise abhanden kommen" kann. Auch etwa ein Dutzend Insassen der JVA gehen in der Pause des Stückes abhanden, an der Spitze Hannes, der den Professor in den Bus der Landesbühne schiebt. Der Bus rollt daraufhin mit dem Schiedsrichter Mumpert am Steuer vom Hof.
Unweit von Isenbüttel feiern die Bürger von Grünau ihr alljährliches Nelkenfest. Die Ankunft der "Schauspieler" von der Landesbühne wird frenetisch gefeiert und nach und nach fügen sich die Ex-Häftlinge in ihre Rolle als Chormitglieder oder Schauspieler.

Diese kurze Novelle von Siegfried Lenz ist ein Fundus an verwobenen Geschichten, eine ideenreiche Ansammlung kleiner Begebenheiten, die auf die Entflohenen außerhalb der Mauern der JVA wartet und nicht zuletzt die Geschichte einer eigentümlichen Männerfreundschaft.


Stil und Sprache
Die gesamte Geschichte entspannt sich aus der Perspektive des Professors, der als Ich-Erzähler auftritt, und dessen Vornamen Clemens der Leser erstmals auf Seite 12 erfährt. Der Nachnahme bleibt bis zum Schluss verborgen. Dieses distanzierte Erzählen, das sich bereits damit andeutet, wendet Lenz in der gesamten Novelle an, eigentlich recht eigentümlich für einen Ich-Erzähler. Man hat fast den Eindruck, der Professor trage dem Leser ganz unvoreingenommen und ohne weiteres Werturteil jene Ereignisse ans Ohr, die sich zugetragen haben.
Auch sprachlich schafft es der Autor, diese Distanz beizubehalten, Lenz‘ Ton ist dabei ironisch, stets mit unterschwelligem Humor. Mit folgendem Satz wird dem Leser zum Beispiel der Freitod Bolzahns, eines guten Freundes von Hannes, mitgeteilt: "Es war ihm gelungen, seinen Kopfkissenbezug in Streifen zu zerschneiden, die Streifen zu verknoten und diese so am Fenstergitter zu befestigen, daß sie seinem Vorhaben dienlich waren." Trotzdem gelingt es dem Autor, den Leser auf die Seite der Entflohenen zu ziehen, man möchte "unschuldig" schreien oder die verschiedenen Vergehen als Bagatelle abstempeln.
Lenz‘ Erzählstil ist routiniert, jedes Wort sitzt. Man hat stets das Gefühl, dass Lenz genau das richtige Wort - das einzig sinnvolle - benutzt. Seine Sätze bestechen durch große Klarheit, er ist einfach ein irrsinnig guter Erzähler.


Figuren
Tatsächlich handelt es sich bei der Gruppe der entflohenen Häftlinge nicht unbedingt um Großverbrecher. Der Inhaftierungsgrund des Professors ist seine Schwäche für das weibliche Geschlecht. Zuneigungsbekundungen seiner Studentinnen hat er gerne mit hervorragenden Noten belohnt. Zwei seiner vier Jahre hat er zum Zeitpunkt der Flucht bereits abgesessen. Hannes, sein Zellenkumpan, ist ein phantasievoller Bußgeldbetrüger, der in geklauter Polizeimontur gefälschte Knöllchen bar abkassiert hat und dessen Erfolgsrezept erst ein jähes Ende nahm, als er eine Zivilstreife angehalten hat. Auch hier zeigt sich Lenz‘ humorvolles Talent. Bolzahn ist ein Heiratsschwindler, den der Erzähler fast ein wenig bewundert, da er sagt, dass es Bolzahn "gelungen" sei, mehrere Frauen gleichzeitig zu ehelichen. Auch der Fahrer des Landesbühne-Bus ist kein Schwerverbrecher. Dem Schiedsrichter Mumpert wird Vorteilsnahme im Rahmen der von ihm geleiteten Spiele vorgeworfen.

Auch in der Figurenkonzeption sowie in der Darstellung der liebenswerten Charaktere beweist Lenz ein humorvolles, ein gutes Händchen.


Aufmachung des Buches
Die Novelle "Landesbühne" ist im Hoffmann und Campe-Verlag erschienen, zu einem handlichen Bändchen gebunden. Die Aufmachung des Covers ist ganz schlicht und schmucklos. Auffallend ist die große Schrift im Inneren des Buches. Der Preis von 17 Euro ist aus meiner Sicht zwar recht hoch, trotzdem meine ich, dass sich diese Investition lohnt. Ich kann mir die "Landesbühne" auch gut als Geschenk oder Mitbringsel vorstellen, da dieses Buch für Jung und Alt etwas zu bieten hat.


Fazit
Keine Frage, Siegfried Lenz ist ein Urgestein deutscher Erzählkunst, nicht erst seit der "Deutschstunde". Zudem ist er ein Meister kurzer Prosatexte, dies beweist auch seine 120 Seiten knappe Novelle "Landesbühne". Einziges Manko ist, dass man irgendwie das Gefühl hat, aus dieser guten, kurzen Erzählung hätte auch ein noch besserer Roman werden können.


4 5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo