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Kategorie: Romane

Eine glänzende Komödie über das Erwachsenwerden eines Vierzigjährigen

Holm ist fast vierzig, lebt noch immer in seinem alten Kinderzimmer und hört Reinhard Mey. Und weil der Tag damit nicht ausgefüllt ist, geht er zu Kaufhauseröffnungen und -jubiläen, wo er hofft, auf ein Foto der anwesenden Presse zu geraten. So will Holm der Nachwelt einen bleibenden Beweis seines Schaffens hinterlassen. Beim 100. Geburtstag des KaDeWe kommt es allerdings zur Katastrophe. Just zur Ansprache des Regierenden Bürgermeisters zieht ein Mädchen eine Sektschale aus einer haushohen Gläserpyramide und bringt selbige zum Einsturz. Da Holm zufällig neben der Kleinen steht, wird er prompt für ihren Vater gehalten und vom Sicherheitsdienst abgeführt. Doch kurz bevor es richtig unangenehm für ihn wird, taucht zum Glück die Mutter der Übeltäterin auf: Es ist niemand anderes als Sylvia Röschmann, die Frau, die Holm vor einiger Zeit bei einem Reinhard-Mey-Konzert kennengelernt hat. Vom Zufall erneut zusammengeführt, kommen sich die beiden langsam näher. Und auf einmal beginnt Holm sich zu verändern. Er findet sogar einen neuen Job im Institut »Unterhaltung im Alter e. V.« als Unterhalter alter Menschen. Wird Holm am Ende gar erwachsen?

 

 

  Autor: Matthias Keidtel
Verlag: Manhattan
Erschienen: 08.02.2010
ISBN: 9783442546633
Seitenzahl: 384 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Herr Holm geht auf die vierzig zu, wohnt aber immer noch zu Hause bei seinen Eltern im beschaulichen Berliner Viertel Rudow und beginnt in diesem Buch eine sich andeutende Sinnkrise duch Besuche bei gesellschaftlichen Ereignissen wie Eröffnungen und Empfängen zu bekämpfen. Schließlich ist hier immer die Presse zugegen und vielleicht landet er ja auch mal in der Zeitung. Beim 100. Geburtstag des KaDeWe gerät er sogar auf dem roten Teppich in die Nähe des Bürgermeisters. Doch fast kommt es zum großen Fiasko. Ein Mädchen steht in seiner Nähe und bringt die kunstvoll aufgeschichtete Pyramide aus Sektgläsern zum Einsturz. Herr Holm wird plötzlich als verantwortliche Aufsichtsperson gehandelt. Alles ein bisschen viel für einen sonst eher zurückhaltenden Menschen. Doch die Mutter taucht auf und entpuppt sich als alte Bekannte vom Reinhard-Mey-Konzert aus dem letzten Holm-Buch ("Das Leben geht weiter"). Ganz vorsichtig beginnt hier eine Art Liebesgeschichte, der Herr Holm natürlich durch seine Gewohnheiten und Eigenarten etliche Steine in den Weg legt. Das ist aber nicht das einzige Ereignis, das Holm aus den gewohnten Bahnen zu werfen droht. Er gerät doch tatsächlich an einen handfesten Job bei einer "Seniorenbespaßungsagentur" und dann fangen seine Eltern auch noch an, an seiner Position zu Hause zu sägen ...

Richtige Verwicklungen entstehen nicht, trotzdem muss ein eingefahrener Alltag ganz neu koordiniert werden. Die Geschichte ist schlüssig und flüssig zu lesen. Der Inhalt kommt (auch wenn das in der Zusammenfassung vielleicht ein bisschen so klingt) nicht an den Haaren herbeigezogen rüber, sondern wirkt authentisch.


Stil und Sprache
Die Geschichte wird von einem übergeordneten Erzähler wiedergegeben. Im Mittelpunkt steht Holm, dessen Gedanken auch vielfach in die Erzählung einfließen und aus dessen Sicht stets berichtet wird - verschiedene Handlungsstränge existieren also nicht.
Das Buch ist angenehm zu lesen und überfordert nicht durch allzu lange Schachtelsätze, gespreizte Sprache o.ä. Es ist eine ideale Freizeitlektüre, was aber nicht heißen soll, dass hier nicht auch einige tieferschürfende Gedanken enthalten wären. Herr Holm ist (wie in den anderen beiden Büchern) auch immer ein Stück Philosophie und Lebenskunst, wenn er auch eher eine Art philosophischer Antiheld ist.
Viel wörtliche Rede und die oft krausen Gedankengänge Holms lassen das Buch lebendig erscheinen und es verfügt über eine freundliche Art von Humor - manchmal ein bisschen comedyhaft und gelegentlich auf Kalauer abzielend, aber gut dosiert, so dass es nicht auf die Nerven fällt.

Der Spannungsbogen knüpft sich vor allem an die Frage, ob Holm im Alter von fast 40 doch noch die Kurve kriegt und bei seinen Eltern auszieht und natürlich ist interessant, wie es mit Sylvia ausgeht. Der Leser fiebert hier in verschiedenen Situationen mit dem Helden mit, da er sich schon manchmal mit seinen Verhaltensweisen hart an der Grenze des Erlaubten bewegt, etwa wenn er unvermittelt einen strengen Ton anschlägt um sich bei Zarah Respekt zu verschaffen.


Figuren
Protagonist ist natürlich in allererster Linie Herr Holm, den man schon als eine Art Eulenspiegel oder Hans im Glück der modernen Ängste und Befindlichkeiten sehen kann. Auf ihn projizieren sich allerhand alltägliche Neurosen; er ist kontaktscheu, Hypochonder und zunächst noch ganz seinen Gewohnheiten, die pedantisch eingehalten werden müssen, verfangen. - Eine Mischung aus Elling und einer Gestalt von Heinz Strunk, ohne aber der galligen Strunkschen Misanthropie zu verfallen. Die Figur bleibt ihrem Bild nicht immer ganz treu, wenn ein guter Gag ansteht, kann Herr Holm doch erstaunlich schlagfertig oder auch mal recht sozial kompetent reagieren. Diesen Umstand finde ich aber gar nicht so verkehrt, weil er dem Lesespaß eher zuträglich ist. Das ewige Hadern und Zaudern, was einer solchen Person eher angemessen wäre und was vor "wichtigen Entscheidungen" auch angedeutet wird, wäre über 450 Seiten auch nicht auszuhalten. Herr Holm ist eine Figur, die sich tatsächlich weiterentwickelt, auch wenn das hier manchmal ein bisschen vorhersehbar ist.
Noch ein spannender Aspekt: Herr Holm, selbst bald 40 Jahre alt, kommt auch nicht drumherum, sich mit dem Alter auseinander zu setzten. Nicht nur, dass es sich bei seinen Eltern langsam bemerkbar macht - die Apotheken-Umschau gewinnt auch zunehmend an Lebensweltbezug. Auch beruflich geht es in diese Richtung: Eine Unterhaltungsagentur für Senioren. Man bekommt als Leser schon einiges über aktuelle Ängste und Befindlichkeiten in Bezug auf das Alter mit. Sehr schönes Zitat dazu auf Seite 296: "Schon jetzt spürte er, dass ihm das Alter guttun würde. Er würde sich ausschließlich mit den eigenen körperlichen Beschwerden befassen und hätte endlich ein sinnvolles Hobby, das ihn bis ins hohe Alter begleitete." 

Weitere wichtige Figuren sind Sylvia Röschmann, Rheumatologin und Mutter von Zarah, dem Mädchen, das die Geschichte ins Rollen brachte. Holm kennt sie natürlich vom Reinhard-Mey-Konzert aus dem zweiten Teil der Trilogie. Die Figur, finde ich, wirkt neben der ausgearbeiteten Hauptfigur recht farblos, liefert aber für Holm ein sehr wichtiges Entwicklungspotential, ebenso wie Zarah, die immer zum falschen Zeitpunkt die richtigen Fragen stellt. Dann noch Holms Eltern, die eine zunehmende Reibungsfläche für Holm abgeben und nachher zu regelrechten Hassobjekten mutieren. Weiterhin interessant sind die alten Leute, die Holm bei seiner Arbeit in der Agentur kennenlernt. -Alle in unterschiedlichen Graden geistiger Verwirrung, trotzdem kann Holm von ihnen auch noch etwas lernen..

Herr Holm bietet genug Gelegenheit, sich auch mit seiner Figur zu identifizieren. Er gerät oft in schwierige Alltagssituationen und weiß nicht so recht, wie er damit umgehen soll.


Aufmachung des Buches
Das Buch wirkt von außen betrachtet eher wie ein seichter Comedyroman (vielleicht auch wie eine Art Frauenroman für Männer). Ein Mann (man sieht seine Füße) steht unter der Dusche und wird von einem Spielzeugkrokodil in die Zehe gezwickt. Nicht sonderlich originell, hat auch mit der Geschichte nicht übertrieben viel zu tun - ganz unpassend ist das Cover aber auch nicht gewählt - nachdem die letzten beiden Teile der Trilogie durch retro-mäßige Möbel mit Lampenschirm schon eher die Macht der Gewohnheit beschworen haben, soll der neue Look offenbar den Wandel repräsentieren, was ja auch nicht ganz an den Haaren herbeigezogen ist.


Fazit
"Geht doch!", der dritte Teil der Holm-Trilogie, hat mich sehr gut unterhalten. Die Story konnte in puncto Spannung allerdings nicht mit ihrem Vorgänger mithalten (die erste Geschichte habe ich leider noch nicht gelesen). Ich hatte auch den Eindruck, dass das Comedyhafte doch etwas stärker in den Vordergrund geraten ist.
Das Buch kann man übrigens auch dann lesen, wenn man die ersten beiden Teile nicht kennt, aber ich denke, gerade beim letzten Teil wäre es schon schade und den sollte man sich tatsächlich für den Schluss des Holm-Universums aufbewahren.


4 Sterne


Hinweise
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