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Frau Kammerer, erstmal ganz herzlichen Dank, dass Sie sich für dieses Interview bereit erklärt haben.
Als erstes natürlich die obligatorische Frage: Wie sind Sie zum Schreiben gekommen? War dies immer Ihr Berufswunsch oder hat sich das zufällig ergeben?

Ich würde lügen, wenn ich behauptete, es wäre schon immer mein sehnlichster Wunsch gewesen, Bücher zu schreiben. Als Kind hatte ich die unterschiedlichsten Zukunftsträume, von einer Farm im „Wilden Westen“ bis hin zur Archäologie.
Allerdings hatte ich immer schon eine Neigung, Geschichten zu erzählen – oft zum Leidwesen meiner Eltern, denen ich so manche Räuberpistole vorsetzte, wenn es etwas zu erklären galt.
Um diese Geschichten allerdings niederzuschreiben, mangelte es mir damals einfach an Geduld und Disziplin. Ich war zwar eine ausgemachte Leseratte, die schon als Kind ganze Nächte mit Buch und Taschenlampe unter der Bettdecke zubrachte; aber da ich ebenso gern draußen herumtollte, wäre es für mich eine Form der Folter gewesen, mehr Zeit am Tisch verbringen zu müssen, als für Essen und Hausaufgaben zwingend erforderlich war.


Sie haben Altertumswissenschaften, Literatur, Philosophie, Geschichte und Philologie studiert. Unschwer zu erraten, dass Sie für das Geschriebene und die Vergangenheit eine besondere Liebe haben. Vier Ihrer Bücher umfassen die Ereignisse um die Varusschlacht, nur „Der Pfaffenkönig“ spielt 1200 Jahre später. Haben Sie zu dieser Epoche einen besonderen Bezug oder könnten Sie sich vorstellen, Ihre Bücher in einer anderen Epoche anzusiedeln?

Vier meiner Roman befassen sich mit dem, was zwischen den Jahren 9 und 16 n.Chr. auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands abgespielt hat – es geht nicht ausschließlich um die Varusschlacht, sondern um die Ereignisse in einem langen Krieg zwischen 12 v. Chr. und 16 n.Chr.
Aber ich bin nicht auf diese Zeit und diese Gegend festgelegt – im Gegenteil! Ich sehe mich nicht einmal beschränkt auf historische Sujets, auch wenn man als Autor vom Buchmarkt inzwischen auf ganz enge Themenkreise festgenagelt wird, als könne man nur entweder historische Geschichten erzählen oder Krimis.
Ich habe diese Fächer nicht studiert, weil ich die Vergangenheit mehr Liebe als die Gegenwart, sondern weil ich darin eine starke Relevanz für die Gegenwart erkenne. Wenn wir nicht wissen, woher wir kommen und was uns mit der Vergangenheit, und sei sie noch so fern, verbindet, haben wir keine Möglichkeit, zu begreifen, wo wir jetzt stehen, und können noch weniger erkennen, wohin wir wollen und welchen Weg wir dazu nehmen sollten.
Mit den Menschen der Vergangenheit haben wir weit mehr gemeinsam, als uns lieb ist. Das schöne alte Wort „Ahnen“, das aus der Mode gekommen ist, transportiert genau das, weil es ganz allgemein die Menschen der fernen Vergangenheit bezeichnet und zugleich die Bedeutung von Verwandtschaft umfasst.
Diese Menschen haben anders gedacht als wir, sie hatten andere Auffassungen von der Welt und was sie „im Innersten zusammenhält“. Aber sie haben wie wir geliebt und gehasst, zusammengehalten und einander bekämpft, Kinder geboren und großgezogen, ihre Alten in den Tod begleitet und begraben, sie kämpften ums tägliche Brot und glaubten an Mächte, die ihre eigene Kraft weit überstiegen. Wir finden uns in ihrer Kunst, Musik und Literatur durchaus wieder, auch wenn wir nicht alles nachvollziehen können.
Wer bestreitet, dass wir unsere Ahnen nicht verstehen können, weil uns das zu fremd sei, der kapituliert auch vor der Möglichkeit, dass wir andere Kulturen und Religionen verstehen können – ja eigentlich sogar, dass wir einander verstehen können.


2009 hatten wir 2000 Jahre Varus-Schlacht. Sie haben passend zu diesem Ereignis Ihren Roman „Varus“ veröffentlicht. Meist wird die Schlacht ja aus Sicht des Arminius dargestellt. Was hat Sie dazu bewogen, die Schlacht aus Varus´ Perspektive zu schreiben?

Immer wenn dieses Thema angesprochen wird, neige ich dazu, stundenlang zu referieren. Ich werde versuchen, das zu vermeiden, indem ich nur den allerwichtigsten Punkt herausarbeite:
Die Folgen dieser Schlacht werden entgegen der Quellenlage noch immer hochgespielt, weil sie im „nation-building“ des deutschen Volkes, seit ihrer „Entdeckung“ im 16. Jh. eine gewaltige Rolle spielte. Wie die Deutschen seit der Reformation mit dieser Zeit umgegangen sind, wie die historische Überlieferung bis zur völligen Entstellung umgeformt wurde, damit sie der Bildung eines Geburtsmythos der deutschen Nation dienen konnte – eines Mythos, der erst in den letzten Jahren allmählich seine Durchschlagskraft verliert –, das fasziniert mich ungemein!
Die Sachbuchpublikationen zum Jubiläumsjahr transportierten endlich den aktuellen Forschungsstand, der bis dahin sehr mühsam gegen den Mythos ankämpfte.
Ich für meinen Teil wollte seit meinem ersten Roman diesen Sachstand vermitteln – zugleich mit Aspekten dieser Ereignisse, die allgemeinmenschlich und damit auch heute aktuell sind. Das ist schließlich das einzige, was historische Themen wirklich interessant macht: Wie viel von dem, was Menschen damals erlebten, kann für uns noch eine Bedeutung haben.
Die Erfahrung, Opfer eines Hinterhalts, Ziel eines Vernichtungskampfes zu sein, erschien mir weitaus interessanter und wichtiger, als mir auszudenken, wie böse die Römer wohl gewesen seien, dass der edle Recke Hermann/Armin/Arminius sich gezwungen gesehen habe, etwas so Schreckliches zu tun, obwohl es ihm selbstredend wider die Natur gegangen sei. Diese Darstellung ist seit der ersten Umsetzung dieses Stoffes schlicht Standard – aber deswegen muss das noch lange nicht die einzig wahre Darstellung sein.
Zumal es auch bei dieser Schlacht keineswegs nur Opfer gab, die es schon nicht besser verdient hätten, sondern zahllose Unschuldige – man denke nur an die Familien und Angehörigen im Tross.
Letztendlich trieb mich die Frage um, wie es denjenigen ging, die binnen drei Tagen von einem sicheren Dasein in den drohenden Untergang gestürzt wurden. Wie gingen sie damit um? Wie bewahrten sie sich – sofern es ihnen gelang – ihre Menschlichkeit? Wie retteten sie sich selbst? Und wie andere? Was bleibt in einer derartigen Situation von unserer Menschlichkeit übrig, und wie machen wir uns daran, die Scherben wieder zusammenzufügen?


Liest man mit Vorliebe historische Romane – oder schreibt solche sogar – wird man doch oft etwas belächelt. Haben Sie eine Ahnung warum das so ist? Oft wird dieses Genre von Menschen abgewertet, die noch nie einen historischen Roman gelesen haben. Wie schwer ist es, sich am Büchermarkt in diesem Genre zu behaupten?

Es ist grundsätzlich schwierig, sich am Büchermarkt zu behaupten – ganz unabhängig vom Genre. Sooft ich die Frankfurter Buchmesse besuche, ist angesichts himmelstürmender Bücherregale mein allererster Gedanke: „Wer soll das alles lesen?“ – oder schlimmer noch: „Wer soll das alles kaufen?“
Im Grunde wird jedes Genre von den einen oder anderen Bücherfreunden belächelt, was daran liegt, dass eine grundsätzliche Gleichung aufgestellt wird, der zufolge Genreliteratur immer Trivialliteratur ist.
Tatsächlich ist eine Genreeinteilung eine rein inhaltliche bzw. sachliche Einteilung, keineswegs eine qualitative. Allerdings fördert ein überproportional großer Anteil an Büchern, die in ihrer oft etwas marktschreierischen Aufmachung ein eher triviales Lesevergnügen verspricht (ob’s in jedem Einzelfall nun zutrifft oder nicht, sei mal dahingestellt), die Auffassung, dass das eh alles trivial sei.
Trotzdem ist mir jemand, der nassforsch behauptet, historische Romane seien trivial und Triviales lese man nicht, genauso suspekt wie jemand, der das berühmte Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder“ kontextbefreit verabsolutiert.


Wie entstehen Ihre Bücher? Haben Sie fixe Zeiten zum Schreiben eingeplant oder gehen Sie ans Werk, wenn Sie Lust zum Schreiben spüren?

Ich habe keine absolut festen Arbeitszeiten, aber es hilft schon, sich einen Rahmen zu setzen. Da ich selbständig bin, muss ich das ohnehin tun. Allerdings stellt sich Kreativität nicht auf Knopfdruck ein, wenn man sich an den Text setzt. Da kann man dann von Glück reden, dass das Erstellen einer Erstfassung zwar die meiste Disziplin und Zeit erfordert, aber es noch viele Dinge gibt, die zwischendurch noch erledigt werden müssen: Nachrecherche, Überarbeitung und die Entwicklung neuer Projekte. Diese Abwechslung ist für mich wirklich nötig, um durchzuhalten.


Ihre Romane sind alle perfekt recherchiert, was zweifelsohne auch einen großen Zeitaufwand mit sich bringt. Wie gehen Sie da vor und wo beginnen Sie mit einer Recherche? Müssen Sie dafür auch Reisen unternehmen?

Perfektion möchte ich nicht in Anspruch nehmen. Ich tue mein Bestes, aber es gibt Dinge, die auch mir schlichtweg durch die Lappen gehen. Davon ist schließlich niemand frei. Wer arbeitet, macht nun einmal auch Fehler.
Meine Recherche beginnt üblicherweise mit einer Sondierung des Themas: Ich befrage meinen eigenen Buchbestand, suche im Internet nach Anhaltspunkten, konsultiere die örtliche Universitätsbibliothek und die diversen Online-Kataloge anderer wissenschaftlicher Bibliotheken.
Was historische Sujets angeht, versuche ich, mir einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand in den Geschichtswissenschaften, den Literaturwissenschaften, die sich mit den Verfassern der Quelltexte beschäftigen, und allen angrenzenden Wissenschaften (Archäologie, Medizingeschichte etc.) zu verschaffen. Wichtige Arbeiten, seien es Aufsätze oder Bücher, beschaffe ich mir, das eine oder andere lese ich in den Präsenzbibliotheken nach. Die Quellen verleibe ich nach Möglichkeit meinem Buchbestand ein.


Werden Sie auch in Zukunft dem Genre des historischen Romans treu bleiben oder haben Sie vor, einmal in einen anderen Bereich zu schnuppern?

Ich habe noch eine historische Veröffentlichung vor mir, danach werde ich hoffentlich auch den einen oder anderen Gegenwartsroman schreiben. Aber ich kann mir nicht vorstellen, historischen Themen auf ewig untreu zu werden. Man muss halt abwarten, was Verlage mit mir realisieren zu können glauben.


Schreiben Sie schon an einem neuen Buch und wenn ja, können oder dürfen Sie schon verraten wo und in welcher Zeit dieser spielen wird? Vielleicht können Sie uns auch etwas darüber erzählen?

Es handelt sich um eine Geschichte, die in Köln während der ersten Jahre des Dombaus spielt, einer ziemlich turbulenten Phase in der Historie der Stadt. Die reichen Handelsherren widersetzten sich dem erzbischöflichen Stadtherrn, und das Handwerk mauserte sich; zeitgleich entstand im dortigen Konvent der Dominikaner unter Albertus Magnus die Keimzelle der späteren Universität, die heute seinen Namen trägt. Aber das ist nur der Hintergrund.
Vorrangig geht es um einen jungen Burschen, der ausersehen ist, der Nachfolger des ersten Dombaumeisters zu werden, aber ganz andere Pläne hat, und um allerlei Machenschaften, die die Ständekämpfe vorantreiben und deren Dreh- und Angelpunkt die legendäre Blutsäule in Sankt Gereon ist.


Welche Romane und von welchen Autoren lesen Sie bevorzugt Bücher?

Ich bin ein großer Freund der Klassiker von Homer bis in die Gegenwart und lese gerne anspruchsvolle zeitgenössische Literatur wie Umberto Eco und Philipp Roth, Monika Maron und A.L. Kennedy, um einige der Bekannteren zu nennen.
Aber ich nehme auch gerne zeitgenössische Romane, die man zur Unterhaltungsliteratur zählt, zur Hand, sogar – wenn auch inzwischen sehr selektiv – historische Romane z.B. von Kirsten Schützhofer, Tilman Röhrig, Charlotte Lyne.
Das einzige, wozu ich absolut keinen Zugang finde, ist die „typische“ Frauenliteratur, in der sich alles um Liebe, Shopping und Zickigkeit dreht. Das ist schlicht nicht meine Welt.


Frau Kammerer, ich möchte mich ganz herzlich für dieses Interview bei Ihnen bedanken! Ich hoffe aufrichtig, noch vieles von Ihnen lesen zu können und wünsche weiterhin viel Erfolg!

Ich habe zu danken für das Interview und die guten Wünsche!

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