Smaller Default Larger

Vom Mädchen das auszog, die Träume zu retten

„Mitten in der Stadt aus Sand erhob sich ein Palast mit mächtigen Mauern. Wie jedes andere Haus in der Stadt war auch er aus Sand gebaut, doch war er zehnmal höher als die höchsten Gebäude. In diesem Palast lebte nur ein einziger Herrscher: der Fürst der Stadt aus Sand. Sein eigentlicher Name war seit langer Zeit vergessen. Und die wenigen, die ihn noch nicht vergessen hatte, versuchten es zumindest – denn es hieß, es genüge schon, zu fest an den Namen zu denken, damit der Fürst erschien, um einem die Seele zu rauben.“

 

  Autor: P.Baccalario, E. D’Alò, G. Kaboré
Verlag: Fischer
Erschienen: 11.02.2010
ISBN: 978-3-596-85391-5
Seitenzahl: 464 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Der Fürst der Stadt aus Sand, der von allen gefürchtet wird, raubt den Menschen ihre Seelen. Dabei hat er es vor allem auf die Seelen der Geschichtensänger abgesehen, denn diese hasst er wie nichts sonst auf der Welt. Geschichtensänger wecken Träume, etwas, dass er verabscheut. Um dem Träumen zu entkommen, hat der Fürst der Stadt aus Sand vor langer Zeit aufgehört zu schlafen.
Seit Jahrzehnten sucht er die Zwillinge Matuké und Setuké, die Kinder des Geschichtensängers, der ihn vor vielen Jahren herausgefordert hat – erfolglos. Er beraubte ihn seiner Seele. Matuké selbst ist der Geschichtensänger eines Dorfes, Setuké ist der Hogon, der Priester, geworden.
Eines Tages gelingt es dem Fürsten der Stadt aus Sand, der Seele Matukés habhaft zu werden. Zurück bleibt eine leere Hülle, die jedoch noch atmet. Rokia, die Enkelin Matukés, will die Seele ihres geliebten Großvaters wieder zurück holen und macht sich auf die Reise zur Stadt aus Sand, um dem Fürsten entgegenzutreten …


Stil und Sprache
„Ein literarisches Märchen – magisch und dabei lebensnah, originell, poetisch und weise.“ So heißt es auf der vorderen Innenklappe des Schutzumschlags. Und genau darauf darf der Leser sich freuen! Der mysteriöse Anfang, der eine Art Prolog darstellt, macht sogleich neugierig. Man trifft auf die Kinder Matuké und Setuké und sieht mit ihnen gemeinsam den Tod ihres Vaters durch Sanagó an. Wer ist Sanagó? Was hat er vor? Und was hat es mit den Geschichtensängern auf sich? Es werden viele Fragen aufgeworfen, die einer Antwort dürsten. Und so blättert man Seite um Seite weiter, um hinter das Geheimnis der Ereignisse und Andeutungen zu kommen. Die nun folgende Geschichte spielt viele Jahrzehnte später, als Matuké selbst ein Geschichtensänger, Setuké ein Hogon, der Priester des Dorfes, geworden ist. Dabei betritt der Leser ein erfrischend neues Setting. Die Figuren haben ungewohnte, aber sehr melodische und einprägsame Namen. Der Schreibstil ist flüssig – trotz der ungewohnten Begriffe, auf die der Leser immer wieder trifft. Diese sind kursiv gedruckt und werden meist direkt erklärt. So heißt es beispielsweise auf Seite 43: „Sie trug die Haare mit einem blauen Stirnband im Ku tari, einer traditionellen Dogon-Frisur, zurückgenommen […]“; oder auf Seite 68: „Dann steckte er eine Hand unter sein gelbes Gewand und band sein Gris-gris ab, ein Ledersäckchen, das er seit Jahren um den Hals trug“. Diese Begriffe, die immer geschickt in den Text eingeflochten sind, verleihen der Geschichte nicht nur Authentizität, sondern auch eine ganz eigene, unverwechselbare Atmosphäre. Auch die vielen herrlichen, unverbrauchten Vergleiche tragen zum besonderen Flair dieses Romans bei: „Hinter ihm war schleichend wie eine Krankheit der Priester des Dorfes aufgetaucht.“ (S. 40). Gut gelungen sind ebenfalls die Wechsel zwischen Schlichtheit und detaillierten Beschreibungen, sodass der Leser sich alles gut vorstellen kann, aber auch genügend Platz für seine eigene Fantasie verbleibt. Sehr schön sind die flotten Dialoge zwischen Rokia und ihren Brüdern, aber auch die eher ruhigen, weisen Dialoge zwischen Rokia und ihrem Großvater. Auch wenn für den Fortgang der Geschichte wichtige Informationen vermittelt werden, wirken die Dialoge nie gekünstelt, sondern jederzeit glaubhaft. Genau so würden sich diese Figuren unterhalten!

Wiedergegeben wird das Geschehen aus der Sicht der verschiedensten Figuren: Ob nun aus Rokias Sicht (die meiste Zeit über) oder aus Sicht Matukés, Setukés oder Ayads. Selbst auf die Sichtweise von Tieren wird ab und an zurückgegriffen. So erfährt der Leser, was an den verschieden Schauplätzen geschieht und weiß mehr, als jede einzelne Figur für sich genommen. Dadurch geht der Geschichte jedoch nichts an Spannung verloren, eher im Gegenteil, denn es wird nie zu viel verraten. Überhaupt gelingt es den Autoren, die Spannung die ganze Geschichte über aufrecht zu erhalten. Mal ist es eher eine neugierige Erwartung, dann fiebert man wieder mit den Figuren mit, bis man am Höhepunkt das Gefühl hat, sich selbst mitten im Geschehen zu befinden und mit Rokia gegen den Fürsten zu anzutreten.


Figuren
Um es mit den Worten Setukés auszudrücken: „Große Menschen tun wichtige Dinge, ohne groß darüber zu reden. Das unterscheidet sie von ihren Mitmenschen.“ (S: 433). Und auf solche Menschen trifft der Leser in diesem Roman – allen voran die elfjährige Rokia. Sie ist ein sehr wissbegieriges Mädchen, das scheinbar ohne Ende Fragen stellen kann. An Mut und Entschlossenheit mangelt es ihr ebenfalls nicht, dennoch gesteht sie sich durchaus auch Angst ein. Man muss Rokia einfach ins Herz schließen!
Ihr zur Seite steht der schlitzohrige und nicht immer vertrauenerweckende Ayad, ein Tablier, der gemeinsam mit Raogo, einem Fennek (Wüstenfuchs) umherzieht. Er ist undurchsichtig und alles andere als ehrlich und doch hat er seine guten Seiten, die ihn sympathisch machen. Er ist eine Figur mit Tiefgang, die man bis zum Schluss nicht so recht einschätzen kann.
Es gibt noch viele weitere Figuren, wie Matuké und Setuké, und alle sind sie sehr farbig gezeichnet und liebevoll dargestellt. Keine Figur kommt blass daher oder ist gar überflüssig. Sie haben alle ihren Platz in der Geschichte und verstehen es, diesen glaubhaft zu füllen. Doch um den Rahmen dieser Rezension nicht zu sprengen, möchte ich lediglich noch auf Sanagó, den Fürst der Stadt aus Sand, ein wenig genauer eingehen: Er hasst Geschichtensänger und die Träume, die diese heraufbeschwören, und hinter diesem Hass steckt eine Geschichte. Er ist nicht einfach böse auf die Welt gekommen, sondern erst durch verschiedene Ereignisse geworden, was er ist. Und doch ist er in seiner Rolle als Antagonist perfekt. Man möchte ihm und seinen stummen Wachen nicht gerne gegenüber treten und bewundert Rokia daher umso mehr.


Aufmachung des Buches
Das Cover des Buches hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Auf einem in Gelbtönen gemusterten Hintergrund mit blauen Bordüren oben und unten, ist mit Spotlack in Schwarz ein Baum aufgetragen worden; um genau zu sein: ein Baobab, auch Affenbrotbaum genannt. Vor dem Lesen einfach nur eine wunderbare Grafik, entdeckt man, wenn man die Geschichte kennt, vieles in diesem Bild wieder: Die im Baum hängenden Fläschchen, die beiden Fenneks, die Geier … Eine schlichte, dennoch Aufmerksamkeit erregende und absolut passende Aufmachung dieses wunderbaren Buches.
Auch die Titel der einzelnen Kapitel und sogar die Seitenzahlen sind von Ornamenten umgeben und der erste Buchstabe jedes Kapitels ist liebevoll gestaltet.

Am Ende des Buches findet der Leser zudem ein Glossar, in dem die womöglich unbekannten Begriffe innerhalb der Geschichte erklärt werden.


Fazit
Lassen Sie sich entführen in eine bezaubernde, wunderschöne, aber auch abenteuerliche und bedrohliche Geschichte! Ein Märchen für Groß und Klein, dass lange Abende viel zu kurz erscheinen lässt.


5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo