Smaller Default Larger


Hallo Herr Radtke,
vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Interview genommen haben.
Sie haben zunächst Ausbildungen als Einzelhandelskaufmann und als Krankenpfleger absolviert, um schließlich bei dem Beruf des Landschaftsgärtners zu landen.  Wie sind Sie da zum Schreiben gekommen?

Ehrlich gesagt: Das eine hat überhaupt nichts mit dem anderen zu tun. Zumindest nicht, was die Berufswahl betrifft. Es gab auch keinen Kindheitstraum, einmal Schriftsteller zu werden und schon in jungen Jahren mit dem Verfassen von Kurzgeschichten zu beginnen. Die Idee, zu schreiben, entsprang aus dem Hobby, viel zu lesen, mit der Überlegung: Das könnte ich vielleicht auch mal probieren... Den Rechner hochgefahren, eine Story überlegt, und drauf los geschrieben. Mit niederschmetterndem Erfolg. Konzeptlos hatte ich mich in eine Geschichte verirrt, die ich mit der abenteuerlichsten Logik nicht hätte erklären können. Aber es brachte Spaß und die Erkenntnis, sich vielleicht doch vorher den Ausgang eines Romans zu überlegen. ;) Und so kam dann eines zum anderen. Weitermachen, weiterschreiben, lernen, üben, verbessern, bis dann letztendlich das erste Werk nach zirka 3 Jahren lesbar verschiedenen Verlagen angeboten werden konnte! 


Wie schwierig war es für Sie als Jungautor, einen Verlag für Ihr Manuskript gewinnen zu können?

Ich bin zunächst die üblichen Wege gegangen. Die standardmäßigen 30 Seiten Leseprobe samt Exposé ins Format gebracht, ausgedruckt und an die hiesigen Verlage geschickt. Abwarten, Absage, weitersuchen. Literaturagenten angeschrieben und deren Absage hingenommen. An der Stelle wurde mir schon klar, nicht unbedingt ein salonfähiges Buch geschrieben zu haben, wonach sich die Literaturwelt die Beine ausreißt! ;) Aber ich machte weiter. Aus Überzeugung! Den Periplaneta-Verlag, der das Werk schließlich veröffentlicht hat, schrieb ich per e-Mail an. Eine Adresse von vielen, die mir noch vorlagen. Die Antwort kam prompt und völlig unerwartet, mit der Bitte, mehr lesen zu wollen. Innerhalb von einer Woche war das Ding in trockenen Tüchern. Ein Glücksgriff, wenn man ca. 90.000 Buchneuerscheinungen pro Jahr zu Grunde legt, bei knapp einer Million Einsendungen. Oder doch ein Hauch von Talent? Das mag der Leser beurteilen...


Was war das für ein Gefühl, zum ersten Mal das eigene Buch in Händen zu halten?

Ein Erhabenes! ;)) So ein Projekt zu Ende bringen zu können, gleicht einer Geburt, wonach ein Baby in Händen gehalten wird! Und noch immer nehme ich dieses Baby gerne in die Hand, lese ein paar Zeilen und freue mich darüber, dass es nicht schreit! ;)


Mit Ihrem Buch „Vernissage – Die Kunststücke des Edgar Tess“ feiern Sie ihr Debüt als Autor.  Worum geht es in diesem Buch?

Um den schizophrenen, stimmenhörenden Essenswagenfahrer Edgar Tess, der es sich zum Ziel gesetzt hat, perfekte Körperteile in einer einzigartigen Vernissage auszustellen, wodurch er sich Ruhm und Geld erhofft. Und das alles nur deshalb, weil er sein schwächelndes Ansehen bei seiner dementen Mutter aufbessern möchte, da er in ihren Augen seit seiner Kindheit ein Versager ist. Das er dazu brutale Morde in Kauf nehmen muss, kratzt ihn herzlich wenig. Er tut es für seine Mutter, und im Laufe der Geschichte verteidigt er sein Tun bis hin zu Anflügen von Größenwahn, in denen er die Realität als solche überhaupt nicht mehr wahr nimmt. Als dann auch noch Liebe mit ins Spiel kommt, dreht Edgar völlig ab, und löst die Probleme auf seine Art und Weise...  Das Buch strotzt nur so von schwarzem Humor, der, völlig überzogen, am Ende nur noch Lacher zulässt. Was den krankhaften Charakter bestätigt, aber auch gleichzeitig wieder ein wenig entschärft!


Wie sind Sie auf die Idee zu diesem skurrilen Thriller mit dem rabenschwarzen Humor gekommen?

Diese Geschichte war mein erster wackeliger Gehversuch in Sachen Schreiben, der erste Versuch überhaupt. Nach hundert Seiten dachte ich: Nein, das kannst du nicht bringen, und die Datei wurde schlichtweg gelöscht. Daraufhin folgten andere unbefriedigende Projekte, bis ich wieder DAS eine Thema vom Tess aufgriff und es erneut zu Papier brachte. Diesmal konsequent und nicht darum scherend, was andere darüber für ein Urteil fällen würden. Aber ich weiß nicht, woher die Idee stammt. Vielleicht der Drang, etwas Absurdes zu schreiben? Etwas anderes zu schreiben, als das, was der "Normalliteratur" entspricht? Das Konzept war relativ schnell erstellt, und den rabenschwarzen Humor trage ich wohl in mir, sodass ich mich nicht großartig verstellen musste. Die Story sprudelte einfach so aus mir heraus. Vielleicht war sie da schon sehr lange drin? Naja, jetzt ist sie weg! ;)


Welche Zielgruppe hatten Sie beim Schreiben vor Augen? Schreiben Sie überhaupt gezielt für eine Gruppe oder schreiben Sie in erster Linie für sich selbst?

Nein, ich hatte keine Zielgruppe vor Augen. Ich wollte etwas schreiben, was mir in erster Linie gefiel, in der Hoffnung, dann auch andere damit begeistern zu können. Ich denke, Zielgruppen sind schwer zu erfassen, da sich die Neigungen und Vorlieben von Lesern nicht erkennen lassen. Grob gesagt und auf mein Buch gemünzt. Vielleicht schmunzelt der konservative Pastor ganz heimlich in seinem Beichtstuhl über mein Werk... ;)  Nur vermutet, nicht behauptet, um Gottes Willen! Es basiert nur auf Erlebnissen mit Lesern, die zunächst "Iiiii!" sagten, und dann das Buch bestellten, weil sie mehr wollten.
 

Der Protagonist, Edgar Tess, arbeitet in einer Schönheitsklinik. Haben Sie hier Bezüge und Erfahrungen zu Ihrem eigenen Werdegang mit eingebracht?

Nein. Lediglich die Erfahrung des Krankenpflegers spielt ein wenig in die Geschichte hinein. Das Wissen um den Job des Essenswagenfahrers, sowie die Charaktere diverser Krankenschwestern und das Verhalten einzelner Ärzte. Wobei ich die Betonung auf Divers und vereinzelt forcieren möchte. Nicht alle sind so, wie in dem Buch beschrieben!


Dem Leser Ihres Romans fällt sofort die besondere Perspektive auf, mit der man den Protagonisten sehr nah durch das Buch begleitet und sich auf die Gedankenwelt von Edgar Tess einlässt, die abgedrehter kaum sein könnte. Wie kommt man auf so einen bizarren Charakter?

Wenn man genau hinschaut, wird die Welt von etlichen solcher bizarren Charaktere bevölkert. Die sind nicht aus der Luft gegriffen. Was mich letztendlich beflügelte, weiterzuschreiben. Anfangs dachte ich: Das kannst du nicht schreiben. Zu abgedreht, zu brutal, das gibt es nicht in der Realität. Doch, gibt es! Leider! Die Medien berichten über das, was ich geschrieben habe, wenn auch in einer abgewandelter Form. Aber diese Dinge passieren in der Realität. Niemand hätte eine Natascha Kampbusch in einem Verschlag vermutet. Niemand hätte die Existenz des Kannibalen von Rothenburg erwartet. Und niemand würde mit den Kunststücken des Edgar Tess rechnen... Die Welt ist schlimmer, als mein Buch, weil sie existiert, aber meine Worte nur Worte sind und bleiben werden. Sofern sie nicht irgendein Irrer als Leitfaden nutzt! ;)


Haben Sie in der Bedienung der Astsäge bereits praktische Erfahrungen sammeln können?

Natürlich! ;) Allerdings nur in der Ausübung des Berufes als Landschaftsgärtner! Zersägte Äste klingen vielleicht wie Knochen, wenn sie brechen... Letztere hab ich aber noch nicht probiert, sie zu zersägen! ;)


Musste für die Recherche Ihres Romans auch Ihr eigener Teppich leiden?

Nein. In die Richtung habe ich nicht recherchiert, auch wenn es manch einer, der das Buch gelesen hat, von mir erwartet hätte. Muss man großartig recherchieren, wenn man behauptet, der Teppich sei ruiniert, wenn ein Mensch darauf ausgeblutet ist? Ich glaube nicht! ;)


Bei Edgars Schandtaten greifen Sie, natürlich aus der Sichtweise von Edgar, mehr oder weniger stark  medizinische Fakten auf. Haben Sie bei der Recherche Hilfe gehabt?

Es gab einen Disput zwischen der Erstlektorin und mir, die behauptete, diverse, im Buch aufgeführte Amputationen könne ein Mensch nicht überleben, worauf ich einen Arzt einschalten musste, der diese Annahme fachlich widerlegte. Zum Glück! Ich hätte etliche Seiten umschreiben müssen! ;)


Wie haben Ihre Familie und Ihre Freunde auf die Veröffentlichung von „Vernissage“ reagiert?

Meine Mutter kriegt das Buch nicht zu lesen, mein Vater hätte es nie zu lesen gekriegt. Meine Frau steht der Sache skeptisch gegenüber und mein Sohn wünscht sich ein Kapitel als Gute-Nacht-Geschichte, wovon er mit seinen zehn Jahren noch weit entfernt ist! ;) Der Freundeskreis hat die Sache positiv aufgenommen: Sie hätten von mir nichts anderes als eine solche Nummer erwartet!


Was fasziniert Sie am Schreiben?

Die Einsamkeit! In eine Geschichte einzutauchen, die man nur alleine erlebt, durchlebt, und aufschreibt. Wo niemand im direkten Sinne helfen kann. Vor allem der Zeitraum spielt eine große Rolle, den man sich nimmt und sich widmet. Eine Erfahrung, die kaum in Worte zu fassen ist und vielleicht nur jemand versteht, der selber einmal geschrieben hat und um die auftauchenden Probleme, Selbstzweifel und dem Wunsch, alles in die Tonne zu treten, weiß. Es ist wie eine Sucht, warum auch immer.


Haben Sie bestimmte Rituale, wenn Sie schreiben – zum Beispiel eine vorgegebene Anzahl Seiten, die pro Tag fertig gestellt werden mussten? Oder schreiben Sie drauf los, wenn Sie die Muse zersägen… ich meinte natürlich, wenn die Muse Sie küsst?

Ja, manchmal zersägt mich die Muse, wenn ich an einem Kapitel festhänge, das herrlich ausgeschmückt im Kopf existiert, aber die Finger es nicht vermögen, in die Tastatur zu hacken. Und: Nein! Ich habe keine Rituale, außer vielleicht Unmengen an Zigaretten zu rauchen, was ich auch tue, wenn ich nicht schreibe! ;) Vielleicht stellt sich so was ja mal ein, wenn ich aufgrund unzähliger, verkaufter Bücher in Geld schwimme und nicht mehr anders kann, als mir Rituale in Form von Extravaganzen leisten zu müssen! Vielleicht lasse ich mir dann auch eine angewärmte Unterhose von meinem Butler bringen, bevor ich mich hinsetze, und den Rechner hochfahre!;) Oder ich zerschlage den Rechner im Anschluss, nur, um mir einen neuen kaufen zu müssen, den ich mit meinem edlen Werk entjungfer! ;)))


Arbeiten Sie bereits an einem weiteren Roman? Wenn ja, geben Sie uns einen kurzen Ausblick, was Ihre Leser demnächst erwartet?

Ich arbeite zurzeit an einem weiteren Thriller, der einen eher ernsten Hintergrund hat. Das Buch behandelt das Thema Amoklauf, was sich zu einem immer stärker werdenden Problem in unserer Gesellschaft auszuweiten scheint. Wer jetzt aber denkt: Jo, die darin abgehenden Szenen eignen sich hervorragend für einen umfangreichen Splatterroman, sei enttäuscht. Das Buch endet da, wo der eigentliche Amoklauf beginnt. Es berichtet über die Erlebnisse eines Jungen, der seit seiner frühen Kindheit schlimme, deprimierende Dinge erlebt, die ihn letztendlich am Sinn seines Lebens zweifeln lassen, worauf er keinen anderen Ausweg mehr sieht, als in einem Amoklauf seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Das Thema ist brisant, und ich möchte nicht unbedingt mit einem solchen Täter sympathisieren. Aber es gibt grundlegende Erlebnisse, die denjenigen zu einer solchen Verzweiflungstat treiben! Und damit sind keine Ballerspiele gemeint, die so gerne dafür in die Verantwortung gezogen werden. Ob das Buch veröffentlicht wird...? Darüber wird der Verlag zu entscheiden haben.


Was lesen Sie selbst gerne?

Oh, da bin ich breit gefächert! Natürlich Thriller, umso grotesker, umso besser. Zu meinen Favoriten zählen Paul Cleave, der mich mit seinem Werk "Der siebte Tod" überaus inspiriert hat, "Vernissage" in dem Stil zu schreiben, und in dessen viertem Buch (oh, ich darf nicht zu viel verraten) ebenfalls ein Edgar sein Unwesen treiben wird. Weiter hänge ich an Richard Laymon, der nach seinem Tod wohl noch mehr Bücher verkauft, als zuvor. Dean Koontz, klar. Aber auch ein bisschen King (wenn auch nicht alles), Stuart Mac Bride (hervorragend), oder mal eine Kurzgeschichte von Dirk Bernemann. Und natürlich gute Rezensionen über mein Buch! ;) Wobei ich mich an dieser Stelle für die Ihre offiziell bedanken möchte!


Gibt es etwas, dass Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben möchten?

Mein Buch! ;) Und mit diesem viel Spaß, sofern sie es nicht allzu ernst nehmend genießen! Und schmunzeln!!! ;)


Ich danke Ihnen für das Interview.

Gerne wieder, sofern das nächste erscheint!

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo