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Guten Tag, Herr Uschmann. Sie sind Journalist für diverse Zeitschriften, Theorieadministrator im Haus der Künste, Dozent der Ruhr-Universität in Bochum, Seminarleiter, wissenschaftlicher Helfer, Texter, Übersetzer, Prüfer von Manuskripten, unterhalten mehrere Internet-Präsenzen und touren nach eigenen Worten „wie bekloppt“ – wie schaffen Sie es eigentlich, auch noch Bücher zu schreiben?

Durch meine Frau. Wir arbeiten als Kreativteam. Alles, was Sie genannt haben, sind Produktionen, deren „Workload“ wir uns teilen. Wir entwerfen Romanhandlungen, Figuren und Pointen, aber auch Seminarkonzepte gemeinsam. Die Webseiten sind sowieso von ihr als Grafik-Designerin und Künstlerin programmiert und gestaltet und weiß ich mal nicht weiter oder verlaufe mich in Nebenwegen, holt sie jede Story wieder auf Spur zurück. Wir erschaffen täglich neue Skizzen, Seiten und Ideen.
 Im Oktober erscheint das erste Mal eine Hartmut-und-ich-Geschichte unter unser beider Namen, eine satirische Politparabel namens „Ein Leben in Ocker“, von Oliver Uschmann & Sylvia Witt. Zu finden als 23. Türchen in der Adventsanthologie „Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier“ im Scherz Verlag und gesellschaftlich sehr aktuell.
Aber zur Frage zurück: Die Schriftsteller, die langsam sind, erklären das gerne damit, dass sie angeblich poetischer schreiben oder länger an den Texten feilen. Das ist Quatsch. Die arbeiten eben alleine. Oder deren Frau geht in der Zeit Schuhe kaufen. 


Wie gut kann man denn eigentlich vom Schreiben leben?

Anfangs gar nicht. Man liest gratis auf offenen Bühnen und Poetry Slams, schläft auf alten Matratzen und schreibt als „Journalist“ Plattenkritiken für 15 Euro das Stück. Zusätzlich geht man 14 Stunden am Tag als vollwertiger Werbetexter arbeiten, heißt aber „Praktikant“ und bekommt 400 Euro.
So war das bei mir noch vor fünf Jahren in Berlin. Da habe ich mittags teilweise absichtlich von einem Becher    Aufgussnudeln und einem Billigjoghurt gelebt. Weil kein Geld da war, aber auch, weil sich das heute in Interviews gut anhört. In der Mittelphase, wenn bei einem Publikumsverlag wie S.Fischer ein Debüt erscheint und man als Journalist womöglich eine Festanstellung bekommt, verdient man im Schnitt wie ein Krankenpfleger.
Hat man dann aber das Glück, dass eine Marke wie „Hartmut und ich“ Kult wird und die Disziplin, dranzubleiben, sie mit Leidenschaft auszubauen und sehr viel live aufzutreten (und dieses Mal für Gage), geht es stetig bergauf. Mittlerweile sind Nudeln und Joghurt aus dem Bioladen.
 

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen? Wie alt waren Sie, als Sie Ihr erstes „Werk“ verfasst haben? Was fasziniert Sie bis heute am Schreiben?

Mit 12 Jahren habe ich begonnen, auf einer alten Schreibmaschine Rezensionen zu tippen. Zu Singles im Radio und Alben im Plattenladen. Zu Filmen, Romanen und Videospielen. Dazu schrieb ich Tagebuch, Jahresrückblicke, Gesellschaftskommentare. Nichts war für mich abgehakt und „verdaut“, ehe ich nicht darüber geschrieben hatte. Mit 14 verfasste ich ein Fantasy-Krimi-Fragment namens „Das Dorf“ im Wohnwagen meiner Oma und meines Opas auf dem Campingplatz in Holland. Mit 17 fiel ich das erste und einzige Mal auf einen Zuschussverlag rein, der Kurzgeschichten und Gedichte von mir in seinen Anthologien druckte und dafür rund 500 DM einsackte.
Das Schreiben versiegte fast vollständig in der ersten Hälfte meines Literaturstudiums. Zum einen, weil ich - durch die Literaturtheorie verbildet – vollkommen verkrampfte und zum anderen, weil es mir zu jener Zeit nicht so gut ging und ich mehr trank als Texte verfasste, was nur bei Bukowski funktioniert. Wenn ich zu der Zeit noch schrieb, dann um Professoren zu beeindrucken oder politische Programme zu predigen.
Aus diesem Tief holte mich Sylvia heraus und erinnerte mich daran, warum man schreibt: Um sich selber eine Freude zu machen. Und der eigenen Freundin. Das klappt nicht ohne Plot und Pointen und die Lust am Erzählstoff selbst. 


Wie haben Sie Ihren eigenen Stil entwickelt und Ihr Genre  entdeckt?

Der Stil kam wieder, nachdem mich Sylvia daran erinnert hatte, was mir eigentlich liegt: Humor. Und wenn Tragik, wenn Zorn, wenn Politik, dann auch immer: mit Humor. Meine Idole als Jugendlicher hießen schließlich auch Loriot, Gerhard Polt oder Kafka, der im übrigen sehr viel Humor hatte.
Rein handwerklich lernte ich die Reduktion schätzen, das Weniger-Sagen und Mehr-Zeigen. Hier war auch die Hamburger Autorenszene um Männer wie Michael Weins und Sven Amtsberg wegweisend, die ich damals noch selbst als Veranstalter an der Uni zu Lesungen eingeladen hatte. Deren Schreibvereinigung „Macht e.V.“ hatte damals das „Hamburger Dogma“ entworfen, ein Programm kompromissloser Sprachvereinfachung.
Sylvia und ich raten das heute auch allen Autorinnen und Autoren, die uns über wortguru.de um Rat bitten: Räumt eure Texte auf, erklärt nicht alles drei Mal, findet einen Rhythmus, entdeckt die Schönheit der Andeutung. Lest „Krill“ von Michael Weins oder auch mal eine Runde Hemingway.
Einige antworten dann: Ja ja, „Krill“, komm, was soll das? Stephenie Meyer haut uns pro Seite zwei Dutzend wertende Adjektive und unnötig deutliche Erklärungen um die Ohren und verkauft mit „Twilight“ 100 Trilliarden Bücher.
Dann antworten wir: Erst mal einen solchen Plot und solche Figuren erfinden, dann dürft ihr das auch wieder machen.


Wie sieht Ihre Schreibroutine aus? Haben Sie ein besonderes Schreibritual? Stehen Sie besonders früh auf, um zu schreiben? Schreiben Sie eine bestimmte Anzahl an Wörtern pro Tag?

Ideen kommen uns als Kreativteam jederzeit und überall, auch wenn man’s gerade nicht erwartet. Keine Autofahrt ohne Notizblöcke; selbst beim Schwimmsport liegen die im Spint oder nebenan auf der Plastikliege.
Beim Verfassen der Werke an sich ist es eher wie in der Produktion großer Videospiele. Dort nennen die Entwicklerstudios die letzten 3-6 Monate bis zur Deadline die „Crunch Time“. In dieser Zeit gibt es nichts anderes mehr als die Arbeit, nur Klogang und gelegentliche Nahrungsaufnahme. Ansonsten verschwimmen Tag und Nacht, Woche und Wochenende sowieso. So ist das auch bei uns daheim, wenn die „Crunch Time“ eines Buches ansteht.
Gut, dass wir selbst nicht unsere eigene Gewerkschaft sind und keine Arbeitsschutzgesetze einhalten müssen, sonst hätte  die SPD den Laden schon wegen „unmenschlicher Härte“ dichtgemacht.


Wenn Sie einen neuen Roman beginnen, wie gehen Sie da vor? Skizzieren Sie zuerst die Figuren, entwerfen Sie erst den groben Plot oder recherchieren Sie notwendige Fakten?

Das greift nonlinear ineinander. Nehmen wir als Beispiel mal den neuesten Roman „Das Gegenteil von oben“.
Hier war der Ablauf wie folgt. Zunächst mal meldete sich bei mir der Loewe Verlag und sagte: „Tag, Herr Uschmann, wir erfinden gerade ein neues Imprint namens Script 5, mit dem wir in Deutschland das Genre der ‚Young Adult Fiction’ etablieren wollen, also Belletristik für Junge Erwachsene von 15-25. Wir suchen einen Autor, der einen Roman schreiben kann, der gerade junge Männer wieder ans Lesen bringt und der nicht Fantasy oder Science-Fiction ist. Da dachten wir an sie.“
Ich hatte in der Tat ein altes, unveröffentlichtes Manuskript in der Schublade über einen Teenager, der viel gemobbt wird, kaum mit Menschen spricht und sich dafür nur durch Beobachtung zielgenau in ihr Leben eindenken kann.
Ferner lag in der Schublade eine Short Story namens „Code Red“ über einen Jungen, der ohne Vater mit seiner Mutter in den Hochhäusern am Bahnhof lebt, die Nachbarn mit dem Fernglas beobachtet und ihr Leben durch den Einwurf anonymer Briefe beeinflusst und durcheinanderbringt.
Mit dem Rohstoff im Hinterkopf sind Sylvia und ich dann ca. 18 Stunden spazieren gegangen; es ist genug Platz, wir leben bewusst auf dem Land. So entwickelte sich der Plot. Der Junge lebt ein „Ersatzleben“, indem er die intakte Familie des Hausmeisters im 14. Stock observiert. Deren Sohn verschwindet eines Tages, der Vater beginnt zu trinken, die Struktur bricht zusammen. Das Fernsehen berichtet täglich über Kindesentführer in Kellern und Dennis (so heißt der Erzähler) macht sich noch zusätzlich selbst verrückt, indem er nächtelang Survival-Horror-Games auf der Playstation spielt.
Ein zweiter Beobachter taucht auf dem Dach gegenüber auf und ein Fund im Keller gegenüber lässt den Verdacht aufkommen, dass das Böse auch im Haus gegenüber hockt. Dazu Mobbing, dazu Straßengangs, dazu eine Lovestory, alles gespeist aus eigenen Erfahrungen und Dingen, die ich längst mal verarbeiten wollte. Die Figuren entfalten sich beim Schreiben und recherchiert werden vor allem die Details. Wie genau sehen die Games aus, die er spielt? Welche Verschwörungstheorien bringt seine Ur-Oma als skurille Nebenfigur auf den Tisch? Oder der Videothekar Ingo aus dem Erdgeschoss – ein Experte für theoretische Physik und Existenzphilosophie. Die ist auch im Buch, leichtfüßig im Dialog erklärt, Erkenntnis für jedermann. Damit sie leicht klingt, muss sie besonders hart recherchiert werden.


Philosophie findet sich auch in Ihrer „Hartmut & ich“-Reihe. Wie viel Oliver Uschmann steckt denn eigentlich in Ihren Figuren? Sehen Sie sich eher als Philosoph Hartmut oder steckt mehr UPS-Fahrer in Ihnen?

Beides. Mit dem Kopf im Himmel und die Füße fest am Boden. Es hat mir gut getan, nicht nur bei UPS zu arbeiten, sondern mit den Jahren (und der Frau, mal wieder!) zu lernen, wie man Häuser restauriert, Bäume pflanzt und begreift, was jetzt wieder am Auto kaputt ist. Das geht den Philosophen und vielen Männern meiner Generation leider ab.
Wenn ich vom „echten Leben“ schreibe, muss das nicht erst recherchiert werden. Meine Charaktere haben Geldsorgen oder die Steuerfahndung am Hals. Sie hören auf dem Balkon Peter Maffay. Ihnen platzt die Heizung oder reißt der Gaszug am Auto, ein sehr gefährliches Unterfangen, das ich auch schon erlebt habe.
Hartmut philosophiert über Heidegger und Stockhausen, aber zugleich weiß man in den Büchern, dass allein damit im Lande kein einziges Paket ankommen und kein Brötchen mehr gebacken würde. Das macht für viele den Charme der Sache aus und ist mir sehr wichtig.


Wie lange arbeiten Sie durchschnittlich an einem Roman?

Von der ersten gemeinsamen Spaziergangs- und Schwimmbadidee bis zur finalen Lektoratsrunde vergeht brutto ein Jahr. Brutto, weil meistens auch noch 2-3 Projekte parallel laufen. Wenn der Beruf auch die Berufung ist, kann so was keiner stoppen.


Wie gehen Sie mit Kritik an Ihren Werken um?

Es gibt zwei Arten von Kritik, die konstruktive und die gehässige. Die Konstruktive schätzt das Werk als das, was es ist, vergleicht nicht Äpfel mit Birnen und macht sozusagen „systemintern“ gute Vorschläge. Die Gehässige lässt das Werk an vorgefertigten Schemata abprallen, die es gar nicht erfüllen wollte oder kotzt sich einfach nur aus, weil ihr Verfasser sehr kleine Hoden hat.
Erstere nehme ich ernst, letztere amüsiert mich lediglich.
Ach ja, dann gibt es noch die ideologische. Die findet etwas „misslungen“, wenn es nicht dem Katechismus des Verfassers entspricht und „gelungen“, wenn die Parteilinie befolgt wird. Die amüsiert mich am meisten. 


Rein hypothetisch: Was würden Sie machen, wenn Sie nicht schreiben könnten?

Wenn ich nicht schreiben könnte, würde ich sprechen. Ich würde auf jedem erdenklichen Wege versuchen, mich auszudrücken.
Oder meinen Sie die Frage so, was ich geworden wäre, wäre ich kein Schriftsteller? Ich würde gerne antworten „Punkrocksänger“ oder „Wrestler in den USA“, aber dann wäre es wohl eher Beta-Tester für Videospiele, Friedhofsgärtner oder Punkrocksänger. Alle wollen im Prinzip nur in Ruhe gelassen werden.


Suchen also auch Autoren und Schriftsteller nur ihre Ruhe, ihren Seelenfrieden?

Ich will damit ausdrücken, dass Schriftsteller ebenso wie Beta-Tester, Friedhofsgärtner oder Punkrocker oftmals keine "sozialen" Wesen im klassischen Sinne sind. Ich kann Small Talk, aber ich mag ihn nicht. Wer es da mit mir übertreibt, findet sich irgendwann als Satire wieder. Ich sage viele Einladungen ab. Nachbarschaftsfeste oder bürgerliche Ritualzusammenkünfte sind mir ein Gräuel. Der öffentliche Diskurs durch die Nachrichten oder "des Volkes Stimme" rollen mir oft die Fußnägel auf. Schreibe ich oder denke ich mir mit meiner Frau neue Sachen aus, bin ich friedlich und ruhig. Zieht mein Mailprogramm wieder 78 neue Anfragen, bekomme ich Schnappatmung und muss erst mal eine Tafel Schokolade essen, um nicht aggressiv zu werden.


Neben Ihrer Arbeit als Autor geben Sie auch Seminare und Workshops. Warum sind Ihnen das Schreiben und die Weitergabe Ihres Wissens darüber so wichtig?

Weil ich ein Förder-Gen in mir habe. Ein Förder-Gen und ein Kommunikations-Gen. Habe ich etwas begriffen, will ich es sofort weitervermitteln. Habe ich etwas Komplexes verstanden, will ich es populär machen.
In der Unizeitung oder beim Rockmagazin VISIONS habe ich stets die Newcomer-Ecke verwaltet. Heute vermittle ich die besten Teilnehmer meiner Seminare erfolgreich an Verlage oder Agenturen. In den meisten steckt Stoff, der rauswill, aber keine funktionierende Form finden kann, weil für diese reines Handwerk nötig ist. Vermittle ich das, bin ich wie ein lebendiger Zapfhahn, der ein längst brodelndes Fass aufschlägt, auf dass die Story fließen kann. 


Was sehen Sie als Schlüsselqualifikationen für erfolgreiches Schreiben?

Die tiefe Einsicht darin, dass es nicht genügt, der Welt in einem 350-seitigen Monolog sein Leid zu klagen oder große Reden zu schwingen, die man als Roman verkleidet hat. Man muss fähig werden, das ganze Feuer insofern zu zähmen, als dass man es in eine Form zu kleiden lernt. Hat diese Form möglichst viel Plot und packende Figuren, ist der Erfolg wahrscheinlicher als wenn sie experimentell und unnahbar ist.
Wichtig ist, überhaupt erst mal eine stringente Form zu finden und beizubehalten. Dafür muss man ab der 2. Fassung des Textes den kühlen Blick lernen. Man muss streichen können. Weglassen. Auf Lektoren hören. Will man einen Bestseller, muss mehr gehandelt als gedacht werden.
Der Markt der Publikumsverlage denkt zudem in Zielgruppen und in Schubladen. Programmchefs denken: „Kann ich mir zu diesem Manuskript einen Leserkreis vorstellen?“ Dieses Kalkül sollte einen als Autor weder deprimieren noch abschrecken, denn steckt in einer Story wirklich zutiefst dringliche Emotionalität und atmosphärische Tiefe, wird sie sich durchsetzen. Wer seine Persönlichkeit draußen lässt, kann keinen Bestseller schaffen.


Also müssen Schriftsteller unbedingt Persönlichkeit, Leidenschaft haben? Leidenschaftslose Autoren schreiben keine Bestseller?

Ich denke nicht. Stephen King als größter Bestseller-Autor unserer Zeit verarbeitet in allen Büchern immer wieder die gleichen Traumata. Den Tod seines Bruders, das Überfahrenwerden seiner Katze... es gab Momente in seinem Leben, welche die Saat für diesen intensiven Schauer gelegt haben, die man bei ihm - und NUR bei ihm - empfindet, weil der eben nicht handwerklich hergestellt werden kann, sondern schon in der Seele des Autors angelegt sein muss. Zugegeben: Ich kenne auch Autoren aus dem Bereich der Komödie sowie der Fließbandschriftstellerei, die jeden Morgen ins Büro gehen, gezielt auf Pointe oder auf Masse schreiben und ab 17 Uhr ihren "Job" vergessen. Die haben aber auch eine Leidenschaft: Die Leidenschaft, die noch effizientere Pointe und den noch knackigeren
Plot hinzukriegen. Das ist nicht dasselbe wie bei King, genügt aber auch. Es ist trotz des Kalküls dahinter immer noch viel mehr (handwerkliche) Leidenschaft als die genügsame Selbstherrlichkeit von Leuten, die einmal aufschreiben, was sie von der Welt halten und dann pampig werden, sobald irgendwer auch nur ein Wort darin ändern will.


Welche Bücher sollte Ihrer Meinung nach jeder Autor gelesen haben? Können Schreibratgeber überhaupt helfen?

Schreibratgeber helfen, weil sie den Kopf freimachen. Das „Unromantische“ und Handwerkliche hilft. Mich persönlich haben besonders Teil 1 und 2 von „How to write a damn good novel“ von James N. Frey sowie „Das Leben und das Schreiben“ von Stephen King beeinflusst. Wer die typisch amerikanische Polemik darin lässig überliest, wird wichtige Wahrheiten finden.
Ferner sollte man „Drehbuch“ von Christopher Keane wie eine Bibel aufsaugen. Das handelt zwar vom Drehbuchschreiben, aber wer das drauf hat, hat auch alles drauf, was er als Romancier benötigt. Solange er irgendwie „erzählen“ will, freilich. 


Was ist wichtiger in einem Roman oder einer Kurzgeschichte? Plot oder Figuren?

50:50. Der beste Plot säuft mit schwachen Charakteren ab. Der beste Charakter hilft wenig, wenn nichts passiert.
Das Schlimme ist ja, dass die meisten Manuskripte beides nicht haben. Sie haben halbgare, verzweifelte Gedanken des Autors selbst, der sich mühsam als Figur verkleidet und in den Arm genommen werden will. Oder sie wollen einen erziehen.


Sollte man sich als Anfänger an einem Vorbild orientieren? Wer ist Ihr Vorbild?

Vorbilder inspirieren und bringen einen dazu, anzufangen, aber sie hemmen auch und verhindern, sein wahres Talent zu entdecken.
Mein Lieblingsautor ist und bleibt Franz Kafka; diese Synthese aus äußerster Sprachpräzision, numinosem Wirken vieldeutiger Mächte und verzweifelt-lakonischem Humor ist unerreicht. Meine derzeitigen deutschen Lieblingsautoren lauten Michael Weins und Sven Regener. Ferner schätze ich aus verschiedenen Gründen Terry Pratchett, Douglas Adams, Paul Auster, Stephen King, Thomas Mann, den alten Nietzsche und die neuen großen Mythen, die Tolkien und Rowling erschaffen haben.
Mein Vorbild ist meine Frau, weil sie es in allem schafft, einen messerscharfen naturwissenschaftlichen Verstand mit genau der Portion Spiritualismus zu verknüpfen, ohne die wir nicht mal Storys und Fantasiewelten bräuchten.    


Welche Hilfsmittel benutzen Sie zur Recherche für den Hintergrund Ihrer Geschichten?

Den reichhaltigsten Pool an Erfahrungen bildet die eigene Biografie. Die Millionen von Bildern im Kopf, die Orte, die man besucht hat, die Menschen, die man kennen lernte.
Draußen in der Wirklichkeit hinsehen ist ohnehin immer am besten. Ansonsten reale wie digitale Bibliotheken und die Angewohnheit, grundsätzlich an ALLEM interessiert zu sein. Wem viel auffällt, fällt viel ein.
Reisen. Fliegen. Ist dazu keine Zeit: Stunden und Tage mit Google Earth verbringen. Was Sie da entdecken und wie sehr man sich allein dadurch in andere Orte einfühlen kann, ist Wahnsinn.


Wie sind Sie vorgegangen, als Sie für Ihren ersten Roman einen Verlag gesucht haben?

Beim allerersten Mal habe ich wie eine Streubombe alle Verlage bemustert, ohne überhaupt nachzusehen, was die machen. Da kamen dann Absagen wie: „Danke für die heiteren Geschichten, aber wir sind ein Verlag für orthodoxe katholische Theologie.“
Die zweite Runde bestand darin, mit meiner Frau (damals Freundin) die Frankfurter Buchmesse abzugrasen und Exposés zu hinterlassen. Bringt auch nichts, da Lektoren auf Messen keinen Kopf für so was haben.
Bei der dritten Runde beschickte ich nur noch gezielt die Verlage, deren Programm zu meiner Gegenwartsliteratur passte. Kurz, bevor ich den besten Weg gehen wollte – nur noch Agenturen zu bemustern und zu hoffen, dass mich eine vertritt – rief mich Holger Kuntze von Argon/Fischer an und sagte: „Herr Uschmann, ihre Hartmut-Geschichten sind der Hammer. Nur die Rahmenhandlung, die sie drumherum gestrickt haben, ist bemühter Mist.“
Ich hatte damals ca. 7-8 Hartmut-Storys mit einer betroffenen Rahmenhandlung versehen, in der Hartmut in der Psychiatrie sitzt und die Geschichten rückblickend begründen sollten, wie es dazu kam. Das war in der Tat Quatsch, also sagte ich: „Da haben Sie Recht, Herr Kuntze. Das habe ich nur gemacht, weil deutsche Verlage keine Short Storys als Debüt verlegen.“ Daraufhin Herr Kuntze: „Schreiben Sie noch 10 solcher Storys, ziehen Sie ein paar rote Fäden ein und wir schreiben Roman drauf.“ So kam es dann ja auch. Heute hat sich allein „Hartmut und ich“ eine halbe Millionen Mal verkauft und Herr Kuntze ist nicht mehr mein Lektor, sondern mein Agent. 


Haben Sie noch einen Tipp für werdende Erfolgsautoren?

Um es mal in der Sprache der Kunst zu sagen: Bevor man Fettecken und Filzobjekte ausstellt, sollte man fehlerlos einen Kreis malen können. Oder eine Landschaft.


Sie schreiben unter anderem auch für das Computerspielmagazin GEE. Wo sehen Sie Verbindungen zwischen einem Roman und Computerspielen mit Storyline? Gibt es da überhaupt Gemeinsamkeiten?

Jede Menge. Gute Spiele folgen in Plot, Charakterentwicklung und Konfliktstrukturen den gleichen Regeln wie Filme oder Romane. Mit dem Unterschied, das man sie als Spieler aktiv beeinflusst und somit im Zweifel noch intensiver erlebt.
Ich habe nach einem Spiel niemals das Gefühl, meine Zeit vergeudet zu haben. Nach 90% des Fernsehprogramms abseits exzellenter Serien oder Filme schon. 


Sie nutzen intensiv das Internet mit eigenen Internetpräsenzen und Social Networking. Wie wichtig ist dies für das Customer Relationship Management mit Ihren Leser?

Sehr wichtig. Wobei es wirklich darauf ankommt, wie man es macht. Wir machen es ja tatsächlich sehr familiär. Will sagen: Jeder bekommt Antwort.
Wer uns zum Beispiel im Forum von http://www.hartmut-und-ich.de/ als Erster auf Fehler in Romanen aufmerksam macht, bekommt ein Dankeschönpaket in seinen realen Briefkasten. Wünsche für kommende Handlungen werden entgegengenommen und teilweise umgesetzt.
Autoren bekommen bei http://www.wortguru.de/ Feedback, in seiner knappsten Form sogar fast gratis, also nur gegen eine kleine Spende an eine der wohltätigen Organisationen, die auf der Seite angegeben sind.
Über MySpace haben mich schon Schüler informiert, dass sie „Hartmut und ich“ bereits an der Schule lesen oder ein Referat darüber halten.
Gerade eben führe ich als Autor eine Diskussionsrunde über „Das Gegenteil von oben“ bei http://www.lovelybooks.de/.
Das ist alles viel Arbeit, aber das direkte Feedback von real existierenden, ganz „normalen“ Lesern ist zigtausend Mal wichtiger als die Reaktionen von Profikritikern, für die jedes Buch meistens nur eine abzuhakende Aufgabe auf der To-Do-Liste ist. 


Am 01.September 2009 ist Ihr neues Buch „Das Gegenteil von oben“ erschienen. In drei Sätzen: Warum muss man es gelesen haben?

Weil es tief in die Seele eines männlichen Teenagers von heute hinabtaucht, der von seiner Lebenssituation her eigentlich Amokläufer werden müsste, aber vollkommen anders ist. Weil es Angst macht. Weil es Spaß macht.


Herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben, Herr Uschmann.

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