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Kategorie: Romane

Stell dir vor, auf dem Weg ins Jenseits gäbe es eine riesige Bibliothek, gefüllt mit all den Leben, die du hättest führen können. Alles, was du jemals bereut hast, könntest du ungeschehen machen. Genau dort findet sich Nora Seed wieder, nachdem sie aus lauter Verzweiflung beschlossen hat, sich das Leben zu nehmen. An diesem Ort zwischen Raum und Zeit, an dem die Uhrzeiger immer auf Mitternacht stehen, hat sie plötzlich die Möglichkeit, all das zu ändern, was sie aus der Bahn geworfen hat. Aber kann man in einem anderen Leben glücklich werden, wenn man weiß, dass es nicht das eigene ist?

 

Die Mitternachtsbibliothek 

Originaltitel: The Midnight Library
Autor: Matt Haig
Übersetzer: Sabine Hübner
Verlag: Droemer
Erschienen: 02/2021
ISBN: 978-3426282564
Seitenzahl: 320 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Nora Seed führt ein einsames, trauriges Leben und beschließt eines Tages, sich umzubringen. Das gelingt allerdings nicht so richtig und sie findet sich in einer Art Zwischenwelt wieder, auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Ihre alte Bibliothekarin Mrs. Elms zeigt ihr die Möglichkeiten der Mitternachtsbibliothek: Nora bekommt die Gelegenheit, ihr Leben zu verändern, indem sie in ein anderes schlüpft, eins, das sie geführt hätte, wenn sie irgendwann einmal eine andere Entscheidung getroffen hätte. Etwa die, gemeinsam mit ihrer Freundin nach Australien auszuwandern oder eine Einladung zum Kaffee von ihrem Nachbarn anzunehmen. Doch will Nora wirklich ein Leben führen, das ihr eigentlich nicht gehört? Oder will sie doch lieber sterben?

Matt Haig beschäftigt sich in seinen Büchern gern mit Dingen, die es eigentlich nicht geben dürfte, etwa Zeitreisen oder wie hier die Bibliothek zwischen den Welten. Die Idee dahinter ist wirklich schön und anrührend, dennoch hat die Geschichte auch ein paar kleine Schwächen.


Stil und Sprache
Alles beginnt mit einer Art Prolog und dieser zieht sich über ein paar kurze Kapitel, indem er eine Art Countdown bis zu Noras Selbstmordversuch abbildet, beginnend jeweils mit einem Satz wie „Siebenundzwanzig Stunden bevor sie beschloss zu sterben…“ (S. 15). Sehr eindringlich und doch leicht zu lesen schildert Matt Haig in diesen Kapiteln, wie es dazu kommt, dass Noras Leben sich für sie unerträglich schwer anfühlt und sie sich und alle anderen davon befreien möchte.

Danach geht es Schlag auf Schlag weiter mit den Leben, die Nora für sich in der Mitternachtsbibliothek auswählt. Diese Darstellungen sind sehr unterschiedlich in Länge und Qualität, in einigen Leben verweilt Nora nur wenige Stunden, in anderen etwas länger. Leider sind viele dieser Leben, durch die Nora reist, nicht sonderlich packend beschrieben, so dass es nach einer Weile etwas eintönig wird. Man ahnt als Leser schnell, worauf alles hinausläuft und ich zumindest habe mich an mancher Stelle dabei ertappt, einige Seiten nur zu überfliegen, weil ich mir schon vorstellen konnte, was am Ende des Kapitels passiert. Schade, denn die Grundidee des Buches ist faszinierend, hier wäre noch mehr drin gewesen!


Figuren
Nora Seed leidet an Depressionen (so wie auch ihr Schöpfer es tat) und sie ist der Meinung, dass ihr Leben vollkommen überflüssig ist. Diese Gemütslage ist wunderbar dargestellt und man merkt aus jeder Zeile, dass Matt Haig nur zu gut weiß, worüber er schreibt. Ihre Entwicklung über die Handlung hinweg ist authentisch dargestellt, der Weg von Selbstmordgedanken hin zum Lebenwollen macht Mut. Und noch eine Erkenntnis hat Nora am Ende des Buches: „Interessant, dachte sie, was für völlig neue Perspektiven einem das Leben manchmal schenkt, wenn man nur lange genug wartet.“ (S. 310)

Es gibt neben Nora noch eine Handvoll Nebenfiguren, sie tauchen in jedem von Noras Leben wieder auf und haben sich ebenfalls unterschiedlich entwickelt, je nachdem, wie Nora sich in ihrem jeweiligen Leben entschieden hat. Manchmal sind die Auswirkungen allerdings ziemlich krass, so lebt zum Beispiel plötzlich Noras Vater wieder, weil sie sich für eine Karriere als Schwimmerin entschieden hat, während er in Wahrheit quasi an gebrochenem Herzen gestorben ist, weil sie eben nicht weiter schwimmen wollte. Naja. Insgesamt ist die Figurendarstellung aber gut gelungen, so dass man sich alle Beteiligten gut vorstellen kann.


Aufmachung des Buches
Das Buch ist als Hardcover erschienen und zeigt auf dem Titel eine Art dreidimensionalen Scherenschnitt als Mitternachtsbibliothek vor einem dunkelblauen Sternenhimmel. Innen gibt es unterschiedlich lange Kapitel und ansonsten keine Besonderheiten. Ein hellgrünes Lesebändchen komplettiert die hochwertige Ausstattung.


Fazit
Eine faszinierende Idee liegt dieser Hommage an das Leben zugrunde, mit kleinen Schwächen eine sehr anregende Lektüre.


4 5 Sterne


Hinweise
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