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Jesper Lier, 20, ist voller Erwartungen nach Berlin gekommen: Er hofft auf ein aufregendes Leben in der Stadt der Verheißungen und auf einen fulminanten Start als Schriftsteller. Stattdessen haust er in einem Kellerloch am Prenzlauerberg, sein Roman "Der Leidensgenosse" ist zu einem Monstrum angeschwollen, und seine Aversion gegen die Gesellschaft und die sich selbst feierende Stadt hat ihm zum Einzelgänger gemacht. Jesper konsumiert im Wechsel Alkohol und Schlaftabletten und entwickelt bedrohliche Tagträume. Bis seine Freunde Gustav und Frank bei ihm aufkreuzen und ihn aus seiner Einsamkeit reißen. 

Eine verrückte Woche lang erleben die drei eine rauschhafte Odyssee durch Berlin, bei der Jesper nicht nur das Mädchen seiner Träume über den Weg läuft, sondern viele schräge Gestalten und sogar seine eigenen Romanfiguren. Und die meinen es nicht immer gut mit ihrem Autor.

 

  Autor: Benedict Wells
Verlag: Diogenes Verlag AG Zürich
Erschienen: 07/2009
ISBN: 978-3-257-06717-0
Seitenzahl: 307 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Der Münchner Jesper Lier kommt nach dem Abitur nach Berlin, um Schriftsteller zu werden. Am eigenen Leib erfährt er, dass es schwierig ist, sich als Schriftsteller zu behaupten und dass Erwachsen werden mitunter weh tun kann. Mit seinem Redaktionsjob beim Berliner Boten hält er sich mühsam über Wasser. Dabei ist Geldnot nicht das Schlimmste in seinem Leben, sondern die Einsamkeit, die Suche nach eigener Identität, nach Liebe und Geborgenheit in einer Stadt, in der schon manch anderer unter die Räder gekommen ist. Jesper flüchtet sich in eine Welt aus Lügen, hält verzweifelt an seinem missratenen Roman "Der Leidensgenosse" fest, der auch von ihm handeln könnte, und versucht nicht ganz im Alkohol- und Tablettenrausch unterzugehen. Seine Freunde Frank und Gustav sind dabei nicht immer große Hilfen. Und auch in der Liebe scheint Jesper zum Scheitern verurteilt.


Stil und Sprache
Die Story ist nicht überragend und es ist auch zweifelhaft, wie viel in einer Woche eines Zwanzigjährigen passieren kann. Dennoch dient diese Verdichtung auf diese eine Woche wohl eher dazu, einen schnellen Abstieg bis hin zu einem Totalzusammenbruch darzustellen und dadurch erhält die Geschichte einen Motor, der Langeweile verhindert. Die Umsetzung ist damit zwar etwas realitätsfremd, aber durchaus sinnvoll für die Gesamtkomposition.
Benedict Wells sieht man in diesem Roman an, dass er noch nicht ganz seine eigenen Stimme gefunden hat. Sein Sprachstil ist an manchen Stellen ganz hervorragend ausgefeilt, dann stimmt jedes Wort. An anderen Stellen wiederum klingt die Sprache unbeholfen. Zum Beispiel spricht der Erzähler des öfteren den Leser direkt an, was sich auf den Erzählfluss störend auswirkt. Auch seine bemüht klingenden Wechsel ins Jargon sind passagenweise deplaziert. Da gibt es einfach zu viel „fucking“ und „Alter“, dass stört die Stimmung und einiger Tiefgang geht verloren. Ansonsten ist das Buch eine solide Erzählleistung des Jungautors. Die Stimmung der Haupt- und Szenestadt Berlin ist von Wells realistisch eingefangen, auch die Dialoge sind gut formuliert und flüssig zu lesen.


Figuren
Mit Jesper Lier hat der junge Autor Benedict Wells eine Figur geschaffen, die einige Parallelen zu ihm selbst aufweist. Auch Wells hat seine Schreibversuche in einem Berliner "Loch" gestartet, bevor er bei Diogenes unter Vertrag kam. So verwundert es nicht, dass Wells es schafft, seinen Figuren viel Authenzität zu verleihen, insbesondere dem verzweifelten Jesper Lier. Seine jugendlichen Kämpfe mögen uns an eigene Taten auf dem Weg zum erwachsenen Menschen erinnern. Die Zweifel, die Liers kommen und der Wunsch nach einem Leben, für das es sich zu leben lohnt, sind nachvollziehbar dargestellt. Generell gibt es bei Wells Figuren nicht viel zu meckern. Der Hauptprotagonist Liers bleibt dem Leser im Gedächtnis, auch seine Freunde - der schwule Gustav und der zurückhaltende Frank - sind gut und lebendig gezeichnet.


Aufmachung des Buches
Die klassische Diogenes Aufmachung (cremefarbener Schutzumschlag, schwarze Schrift) ziert diesmal ein Bild von Peter Stanick. Ein Popart-Gemälde in blau, mit einer scharzhaarigen Frau im Vordergrund, die durch die Finger ihrer Hand sieht. Das Buch ist bislang nur in gebundener Form erhältlich.


Fazit
Für einen Erstling (Wells hat dieses Buch eigentlich vor "Beck`s letzter Sommer" geschrieben) ist dieser Roman nicht schlecht. Die Story beeindruckt nicht gerade durch ein revolutionäres Thema, ist aber sauber erzählt. Auf jeden Fall merkt man diesem Buch an, dass sein Autor ganz großes Erzähltalent besitzt. Hier hat sich der junge Wells mit Themen beschäftigt, die ihm sicher selbst sehr am Herzen liegen. Und dieses am "Herzen liegen" springt auch auf den Leser über. Dem Leser ein Thema nahe bringen ist schon eine Kunst. Raum zur Verbesserung gibt es allemal, mich haben aber große und bekannte Schriftsteller schon mehr gelangweilt als dieses Buch.

Daher gebe ich vier Sterne, in dem Glauben, dass hier ein deutsches Nachwuchstalent am Werk ist, von dem wir weiter hören werden, und zwar Erfreuliches.


4 Sterne


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