Burgund ist ein Wunder. Das mächtige Reich, das sich im 14. und 15. Jahrhundert zwischen Deutschland und Frankreich schob, vereinte spätmittelalterliche Hochkultur mit einer Blüte von Renaissance und Humanismus. Bart Van Loo erzählt die Geschichte des Reiches von der Antike bis zu seinem plötzlichen Untergang um 1500 so spannend, dass sich dem Leser die Welt der Ritterturniere und Stundenbücher, der Herzöge und Handelsstädte, die Welt Jan van Eycks und François Villons unvergesslich einprägt.
Bart Van Loo präsentiert die Geschichte Burgunds wie ein sich immer weiter zuspitzendes Drama in 1111 Jahren und einem Tag: Das «vergessene Millennium» reichte vom antiken Königreich Burgund bis zum mittelalterlichen Herzogtum, das durch seine Burgen und Klöster - nicht zuletzt Cluny und Cîteaux - weit über seine Grenzen hinaus ausstrahlte. Im "burgundischen Jahrhundert" entstand ein glanzvolles Reich von Dijon im Süden bis nach Brügge, Antwerpen und Amsterdam im Norden, das in einem "verhängnisvollen Jahrzehnt" beinahe zum Königreich wurde und bald darauf unterging. Mit dem letzten burgundischen Herzog Karl begann bereits eine neue Zeit: Als Kaiser Karl V. machte er die Habsburger zur Großmacht und beherrschte ein Weltreich. Bart Van Loos magistrale neue Geschichte Burgunds ist ein großer Wurf, der unwillkürlich an Barbara Tuchmans "Der ferne Spiegel" denken lässt.
Originaltitel: De Bourgondiërs |
Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Der belgische Historiker Bart Van Loo legt mit diesem Buch nicht nur die Geschichte Burgunds, sondern auch Frankreichs und Europas vor. Heute ist Burgund nur noch eine Landschaft im Zentrum Frankreichs, aber es war einmal ein Reich, mit dem zu rechnen war, auf Grund des Reichtums seiner Städte und der Macht seiner Herrscher.
In seinem Prolog berichtet der Autor, wie er durch die „Sammelbild-Bücher“, die er mit 14 Jahren las, erstmals von den Herren Burgunds im 15. Jahrhundert erfuhr. Dort wurde er mit dem Tod von Karl „dem Kühnen“ bei der Schlacht von Nancy im Winter 1477 konfrontiert, der durch seinen unersättlichen Ehrgeiz - sein Land wieder zu einem Königreich zu machen - alles riskierte und alles verlor. Dreißig Jahre später hat Bart Van Loo versucht, die Motive des letzten der vier „großen“ Herzöge von Burgund zu enträtseln, dessen tragisches Ende ein wichtiger Teil dieses Buches ist.
Um Karls Beweggründe wirklich zu verstehen, war es unerlässlich, sehr weit in der Entwicklungsgeschichte seines Reiches zurück zu gehen: Im Zuge der Völkerwanderung erschien das ostgermanische Volk der Burgunden - unter Führung seines Königs Gundahar - Anfang des 5. Jahrhunderts erstmals westlich des Rheins. Knapp 90 Jahre später heiratete eine burgundische Königstochter den Merowinger Chlodwig, den ersten Frankenkönig, der sich taufen ließ. Seither haben Burgunder immer - wie der Autor im ersten Teil des Buches „Das vergessene Jahrtausend“ darlegt - „In Schlüsselmomenten der europäischen Geschichte eine wichtige Rolle gespielt“ (S.19).
Burgund war lange Zeit ein „Flickenteppich“ aus vielen unterschiedlichen Staaten, die durch kluge Heiraten, Erbfälle, aber auch durch skupelloses Vorgehen gegen nahe Verwandte – wie es zum Beispiel Philipp „der Gute“ gegen seine Cousine Jakobäa von Bayern-Holland tat – zu einem zusammen hängenden Ganzen wurden.
Auch kulturgeschichtlich kommen die Leser hier voll auf ihre Kosten. Besonders Philipp der Gute war ein Freund und Förderer der Künste. Jan van Eyck und sein Genter Altar sind aus seiner Zeit besonders bekannt, aber schon sein gleichnamiger Großvater hat mit Claus Sluter einen außergewöhnlichen Künstler unterstützt. Die Werke der beiden sind auf einigen der Tafeln in diesem Buch zu bewundern.
Bart Van Loo ist ein großartiger Erzähler, dem es mühelos gelingt, seinem Publikum historische Zusammenhänge eindrücklich und nachvollziehbar - aber ohne zu belehren - nahe zu bringen. Seine Schilderung der Ereignisse ist sprachlich anspruchsvoll, aber gut verständlich, manche Szenen sind schon fast „romanhaft“ und halten das Interesse seiner Leser auf höchstem Niveau.
Aufmachung des Buches
Das grüne Hardcover trägt nur auf dem Buchrücken in Goldbuchstaben Autor, Titel und Verlag. Die beiden Innendeckel zeigen den „Tausendblumenteppich“ - den Philipp der Gute in Auftrag gab – vorn mit Symbolen der burgundischen Herrschaft, hinten mit einer Karte von Burgund in den Jahren 1363-1477 umrahmt von den Portraits der vier „großen“ Herzöge.
Zwischen Prolog und Epilog liegen fünf Hauptteile mit unterschiedlich vielen Kapiteln, die in weitere, betitelte Unterkapitel gegliedert sind. Der Anhang ist sehr umfangreich und enthält nach der Danksagung vier Karten von Europa zu verschiedenen Epochen, eine Zeittafel, die wichtigsten Personen in alphabetischer Reihenfolge mit ihren Lebensdaten und kurzen Erklärungen ihrer Funktion, fünf Stammbäume, Anmerkungen zu den Kapiteln, Literaturlisten und den Bildnachweis zu den 50 – im Buch verteilten – Abbildungen, sowie zwei alphabetische Register aller Personen und Orte, mit den entsprechenden Seitenzahlen. Auf dem Schutzumschlag ist ein Ausschnitt aus dem Genter Altar, gemalt von Jan van Eyck 1432. Ein dunkelgrünes Lesebändchen vervollständigt die gute Ausstattung.
Fazit
„Burgund ist ein Wunder“ hätte mir persönlich schon als Klappentext vollkommen gereicht, um mich für dieses Buch zu interessieren. Die folgende, sehr ausführliche Inhaltsangabe hat leider schon viel von den Eindrücken vorweg genommen, die ich in dieser Rezension gern selbst beschrieben hätte.
Ich beschäftige mich seit einem halben Jahrhundert mit französischer Geschichte und da gehören die „großen“ Herzöge von Burgund und ihre Zeit unbedingt dazu. Aber auch die Merowingerkönige des frühen Mittelalters sind mir nicht fremd.
Bart Van Loo schildert den Zeitraum von mehr als 1100 Jahren zwischen diesen beiden Familien, die das Frankenreich – aus dem dann Frankreich hervor ging – mit geprägt haben, so bildhaft, spannend und authentisch, dass ich davon überzeugt bin, dass er nicht nur mich, sondern auch andere Leser beeindrucken und begeistern wird.
Hinweise
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