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„Wie viel Zeit habe ich noch?“ Volker packte den Arzt an der Schulter.
„Einen halben Tag, wenn Sie ruhig bleiben.“
„Und wenn nicht?“

 

  Autor: Andreas Laudan
Verlag: dtv
Erschienen: 05/2009
ISBN: 978-3-423-21139-0
Seitenzahl: 254 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Deutschland 2019: Der Sozialstaat steht kurz vor dem Zusammenbruch; mehr als zehn Millionen Menschen sind arbeitslos, und ein großer Teil der Bevölkerung ist verarmt. Vor dem Hintergrund horrender Steuern und Sozialabgaben hat eine inoffizielle Organisation begonnen, Sozialhilfeempfänger bei Krankenhausaufenthalten durch Verabreichung eines Giftes zu töten. Volker Kühn, ein ehemals erfolgreicher Kundenberater, ist zum Sozialfall geworden und wird im städtischen Krankenhaus Opfer dieser „Behandlung“. Durch einen Zimmergenossen erfährt er, dass er das Gift bereits erhalten und nur noch wenigen Stunden zu leben hat. Er flieht aus der Klinik und versucht, verfolgt von den Agenten des mörderischen Systems, die ungeheuerliche Wahrheit publik zu machen. Ein schockierender Thriller, der hoffentlich niemals Wirklichkeit werden wird.


Stil und Sprache
Die Geschichte beginnt um 12 Uhr und legt direkt ein mörderisches Tempo vor. Kühn erfährt, gleich auf der ersten Seite, dass er um Mitternacht tot sein wird, vergiftet, um dem Sozialstaat nicht länger auf der Tasche zu liegen. Wir rasen nun zusammen mit ihm durch diese letzten Stunden seines Lebens, denn er ist nicht bereit, sich so einfach mit seinem Schicksaal abzufinden. In regelmäßigen Abständen taucht eine digitale Zeitanzeige über den Abschnitten auf, die zeigt, wie schnell die Zeit verrinnt und wie wenig Zeit Kühn noch bleibt, um vielleicht doch noch sein Leben zu retten. Volker Kühn und auch dem Leser bleibt keine Zeit zum Luftholen und Verschnaufen. Die Verfolger sind ihm dicht auf den Fersen. Das Tempo und die Spannung sind enorm.
In kurzen Rückblenden wird die Geschichte von Kühn bis zu seiner Flucht aus dem Krankenhaus geschildert. Es ist die Geschichte eines brutalen, sozialen Abstiegs, gestern noch erfolgreicher Kundenberater einer Softwarefirma, heute Sozialhilfeempfänger mit Kehlkopfkrebs.
Der Roman spielt im Jahre 2019 und im Vergleich zu heute hat es einige grundlegende Änderungen gegeben. Die Krankenkassen haben z.B. einen Selbstverantwortungskoeffizienten. Je höher dieser SVK, je niedriger die Kassenbeteiligung an den Krankheitskosten. Auch sind Angestellte verpflichtet, gesundheitliche Risiken dem Arbeitgeber anzugeben, dazu zählt u.a. das Rauchen. Selbstverschuldete Krankheiten sind ein Grund zur fristlosen Kündigung. Der Autor versteht es, ein glaubwürdiges aber doch erschreckendes Szenario entstehen zu lassen.
Das Ende ist für meine Begriffe etwas zu utopisch und bringt zu viel „heile-Welt“ in die ansonsten doch sehr düstere 2-Klassen-Gesellschaft.

Andreas Laudan erzählt seine Geschichte in der 3. Person, aus der Sicht von Volker Kühn. Der Leser erfährt nicht nur, wie Kühn handelt, sondern auch, was er in bestimmten Situationen denkt. Diese Gedanken sind kursiv gedruckt und somit klar erkennbar.
Die Sprache, in der der Roman geschrieben ist, ist klar verständlich. Die einzelnen Begebenheiten sind so beschrieben, dass der Leser sich diese gut vorstellen kann. Es bleibt aber immer genügend Raum für die eigene Phantasie.
Die Spannung steigt kontinuierlich an, bis es dann gegen 24 Uhr zum großen Finale kommt. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen können.


Figuren
Die Hauptfigur ist Volker Kühn, an Krebs erkrankt, arbeitslos, Sozialhilfeempfänger und vergiftet. Ihm bleiben im Höchstfall 12 Stunden bis zum Tod. Nach dem ersten Schock beschließt er jedoch, sich nicht seinem Schicksal zu ergeben, sondern zu kämpfen und die finsteren Machenschaften ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Verständlicherweise hat die Gegenseite etwas dagegen. Seine Verzweifelung und das tiefe Loch, in das er stürzt, sind glaubhaft dargestellt. Im Laufe seiner Flucht ist er zu Dingen fähig, an die er vorher nie im Traum gedacht hätte. Es kommt der Punkt, an dem ihm klar wird, dass er notfalls auch bereit wäre, jemanden zu verletzten. Er wäre bereit, die mitgeführte Waffe zu benutzen. Diese Erkenntnis macht ihm doch sehr zu schaffen. Diese schrittweise Wandlung, die er mitmacht, wird transparent dargestellt, auch dadurch, dass der Leser immer auch direkt Kühns Gedanken lesen kann.
Seine einzige Rettung ist eine Frau, die er nach dem Zufallsprinzip im Online-Telefonbuch unter „Zeitungen“ auswählt, die Reporterin Britta Reuschner. Sie ist zunächst von seiner Geschichte nicht überzeugt und denkt, Kühn wolle ihr nur Geld abschwatzen. Aber sie ist eben auch Reporterin. Dieses Hin und Her, glaube ich ihm oder erzählt der Typ völligen Blödsinn, hat der Autor gut und nachvollziehbar dargestellt. Ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass der Reporterinstinkt zunächst erstmal die Oberhand gewinnt.
Die Gegenseite, also die Organisation, die beschlossen hat, jene unliebsamen Subjekte zu entfernen, wird, mit einer Ausnahme, gar nicht namentlich genannt. Es gehört mit zu dem fiktiven Schreckensszenario, dass eigentlich niemand so genau weiß, wer alles an dieser Sache beteiligt ist. Lediglich eine Figur taucht auf, Mark. Er ist von der Rechtmäßigkeit seines Handelns überzeugt und wähnt die breite, arbeitende Öffentlichkeit hinter sich. Für sein Weltbild ist es unvermeidlich, „dass der Einzelne Opfer bringt, damit das Ganze überleben kann.“ (S. 215) Seine Gedankengänge sind klar formuliert und verständlich ausgedrückt, was natürlich nicht heißt, dass man als Leser diese Überlegungen teilen muss. Ich hoffe doch sehr, dass niemand diese Gedankengänge für gut heißt.
Es gibt noch einige Nebenfiguren, nicht zu viele. Sie alle sind glaubwürdig und dreidimensional. An dieser Stelle sei besonders der Professor erwähnt, der das Medikament ursprünglich entwickelt hat. Natürlich war der Zweck des Medikaments zunächst ein ganz anderer. Er entscheidet sich schlussendlich für die richtige Seite.


Aufmachung des Buches
Das Buch liegt als Taschenbuch vor, es ist ja auch im dtv erschienen. Das Cover zeigt den unteren Teil einer Spritze, die mit einer roten Flüssigkeit gefüllt ist. Im unteren Teil steht in roten Buchstaben der Titel „Pharmakos“, der Name des Autors darüber. Das ganze Cover glänzt matt silbern. Die Ränder wirken leicht angestoßen. Insgesamt sieht es interessant aus. Die Rückseite zeigt wieder diese Spritze und einen sehr kurzen Textausschnitt. Die inhaltliche Zusammenfassung findet sich dann auf der 2. Seite zusammen mit einem Kurzporträt des Autors.

Ein Wort zum Titel „Pharmakos“: Dieser Titel ist absolut passend. Ich habe hierbei direkt an Pharmazie, Apotheke, Medizin gedacht. Die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes „Pharmakos“ ist jedoch eine andere. Wer mag, kann vor dem Lesen schon nachschlagen, wenn er es nicht schon weiß, alle anderen warten bis Seite 178. Dort wird dieser Begriff ausführlich erklärt.
Der Text ist in 3 Teile und einen Epilog eingeteilt. Die drei Teile haben als Überschrift jeweils eine Zeitspanne angegeben. Innerhalb der Teile erscheint dann häufiger mal die Uhrzeit in Form einer digitalen Anzeige.
Vor dem Beginn des 1. Teiles steht ein Zitat aus der Bibel, genauer aus dem 2. Brief des Apostel Paulus an die Thessalonicher, Abschnitt 3, Vers 10. Dieser eine Satz ist die Zusammenfassung des ganzen Buches.


Fazit
„Pharmakos“ ist ein hochspannender Thriller mit einem genial erdachten Plot. Der Autor malt ein Schreckensszenario, das es hoffentlich so nie geben wird. Durch den Ablauf der Geschichte in nur 12 Stunden, immer schön die Zeitangabe im Blick, ist es von hohem Tempo und eigentlich schwer aus der Hand zu legen. Lediglich das Ende ist für meine Begriffe etwas zu happy.


4 5 Sterne


Hinweise
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