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Die Sehnsucht nach Freiheit –  Eine deutsche Familiengeschichte zwischen Mauerbau und Wiedervereinigung
Berlin 13. August 1961: Der Traum vom „Arbeiter- und Bauernparadies“ ist ausgeträumt, und wie viele andere haben Wolfgang Leipold und seine Frau nur ein Ziel: die DDR, zusammen mit ihrem kleinen Sohn Marcus, so schnell wie möglich zu verlassen. Doch ihr Entschluss kommt zu spät, denn mit der Errichtung der Mauer ist ihnen der Weg in die Freiheit versperrt und jeder Gedanke an eine Flucht aus der DDR so gut wie unmöglich.
Jahre später träumt Marcus, inzwischen verheiratet und Vater einer Tochter, ebenfalls davon, in den Westen zu gehen, doch zunächst gelingt es nur ihm, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Wie aber soll er es schaffen, seine Frau Imke und die kleine Jessica zu sich zu holen?
Beim Versuch, auch ihnen zur Flucht zu verhelfen, wird Marcus festgenommen, doch dann überschlagen sich die Ereignisse ...

 

Die geteilten Jahre 

Autor:  Matthias Lisse
Verlag: Droemer 
Erschienen: 2. September 2019 
ISBN: 978-3-426-28201-4 
Seitenzahl: 432 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
In „Die geteilten Jahre“ erzählt der Autor Matthias Lisse (Jahrgang 1957), der – nach eigener Aussage – dieses Buch eigentlich NIE schreiben wollte, die Geschichte seiner Familie, die im August 1961 mit dem gescheiterten Fluchtversuch seiner Eltern aus der DDR beginnt und am 3. Oktober 1990 mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten endet.
Dazwischen liegen Jahre der Bevormundung, Schikanen und Bespitzelung, weil Familie „Leipold“ sich weigert, in die SED einzutreten, bis der Druck zu groß wird und Marcus – mit dem Einverständnis seiner Frau Imke – von einem Besuch im Westen nicht zurück kommt. Dort setzt er alle Hebel in Bewegung, sie und Töchterchen Jessica so schnell wie möglich zu sich zu holen und riskiert dabei „Kopf und Kragen“.
Dieser Roman beruht auf wahren Ereignissen, die – für die ganze Welt am TV ersichtlich – mit dem Flüchtlingsdrama in der Deutschen Botschaft in Prag und dem Mauerfall im November 1989 ihren Höhepunkt fanden. Der Autor, seine Frau und seine Tochter waren unmittelbar dabei und deshalb ist dieses Buch so unglaublich spannend, authentisch und bewegend.


Stil und Sprache
Matthias Lisse hat für seinen Roman die Rolle eines Erzählers „von außen“ gewählt, obwohl es sich um seine eigene, persönliche Familiengeschichte handelt. Damit kann er dem Leser auch Einblicke vermitteln, die einem „Ich-Erzähler“ nicht möglich gewesen wären. So spielen sich einige Kapitel im Umfeld der Regierenden – im Staatsrat und Politbüro der DDR – ab und geben Aufschluss darüber, wie weit sich diese „Altherrenriege“ vom Volk – von dem doch angeblich alle Macht ausgehen sollte – entfernt hat. In der Siedlung Wandlitz führen die wahren Machthaber gut bewacht vor der Außenwelt ein luxuriöses Leben, mit Privilegien und Westwaren, von denen die „Normalbürger“ nur träumen können.
Das Land ist hochverschuldet, produziert wird für den Export, für die Menschen bleibt kaum etwas übrig. Darum verlassen viele die DDR, so lange das noch möglich ist und diese Kräfte fehlen natürlich in der Wirtschaft. Der Mauerbau ist die Folge, da es sich der Staat nicht leisten kann, noch mehr Bürger zu verlieren. Ein ganzes Volk wurde eingesperrt, eine Situation, die sich viele Menschen von heute, die diese Zeit nicht mehr miterlebt haben oder – ohne persönliche Verbindung nach „drüben“ nicht wirklich überblicken konnten, gar nicht vorstellen können.
Familie Leipold steht hier für tausende Familien, die mit dem Regime nichts anfangen konnten, oft auf Grund schlimmer Erlebnisse, Bedrohungen und Bespitzelungen. Wer sich auflehnte musste Repressalien im Beruf oder der Schule fürchten, wurde nicht befördert oder zum Studium zugelassen oder sogar verhaftet. Es erforderte viel Mut, sich zu widersetzen.

Meine Familie hatte keinerlei persönliche Beziehungen in der DDR, wir wussten eigentlich nur, was man im Fernsehen darüber sah und in der Zeitung las. Dieses Buch hat mich erschüttert, weil ich nicht geahnt habe, wie schlimm es dort wirklich zugegangen ist, wie sehr die Menschen schon von Kind an – bis in ihr Privatleben hinein bevormundet und überwacht, ja sogar dahingehend beeinflusst wurden, Familie, Nachbarn und Mitschüler zu beobachten und zu denunzieren. Wie schrecklich muss es sein, seinen nächsten Angehörigen und Freunden nicht vertrauen zu können ?
Matthias Lisse berichtet das alles ohne Effekthascherei. Es ist nichts reißerisches daran, einige Szenen sind sogar zum Schmunzeln, aber manche auch sehr beängstigend. Ich musste mir immer wieder sagen, dass das, was ich da las, wirklich passiert ist. So unglaublich vieles auch klingt, aber dass sich das alles SO abgespielt hat, haben tausende Flüchtlinge in der Prager Botschaft und die vielen hunderttausende Demonstranten bei den Montagsgebeten in Leipzig und überall in der DDR ja bewiesen. Das lässt sich nicht leugnen und schon gar nicht "schön reden" - wie es heute leider so oft geschieht.

 

Figuren
Matthias Lisse hat die Namen seiner Protagonisten leicht verändert, aber – so weit ich es beurteilen kann die Initialen beibehalten. Da es sich um eine wahre Geschichte handelt, sind die wirklich wichtigen Passagen tatsächlich authentisch und daher sehr glaubwürdig.
Für mich hat sich damit ein Einblick in das Leben der „normalen“ Bürger der DDR eröffnet, den ich so nicht kannte und der mich gefesselt, berührt und mehr als einmal auch fassungslos gemacht hat. Bei der Erzählung von Oma Helene über das Schicksal ihres Mannes hatte ich Gänsehaut. Da war die Nazizeit vorbei, aber es hatte sich nicht viel verändert, Menschen, die sich nicht einfügen und anpassen wollten, wurden weiter mit unglaublicher Brutalität behandelt.

Marcus Frau Imke hat mich zutiefst beeindruckt. Es gehört wirklich eine große Liebe und grenzenloses Vertrauen dazu, ihrem Mann zur Flucht zu raten, nicht wissend, was daraus werden wird und wann man sich wieder sieht. Das ist für mich eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich je gelesen habe – und sie ist wahr. Auch ihr Töchterchen Jessica hat mein Herz gewonnen. So ein kleines Mädchen und schon so tapfer. Für die beiden hat Marcus wirklich alles auf´s Spiel gesetzt und ich kann ihn verstehen.
Ich habe so unglaublich mitgefiebert bei den Szenen in Prag und auch ein paar Tränchen zerdrückt, genau so, wie ich es tatsächlich vor dem Fernseher im Jahr 1989 bei Genschers Auftritt auf dem Balkon der Botschaft getan habe.
Ich habe mit den Dreien gezittert, gehofft, geweint und mich gefreut, dass sie es wirklich geschafft und sich wieder gefunden haben.

 

Aufmachung des Buches
Das hellblaue gebundene Hardcover trägt auf dem Rücken den Titel und den Namen des Autors. Auf die Widmung folgt das Inhaltsverzeichnis. Zwischen dem Prolog von 1961 und dem Epilog von 1990 liegen 12 datierte Kapitel. Ein Glossar beschließt das Buch.
Der Schutzumschlag zeigt ein junges Paar, das einander liebevoll zugewandt ist. Aber die Idylle trügt, denn ein tiefer Spalt  – Sinnbild für die Teilung Deutschlands, die auch unzählige Familien auseinander riss trennt die beiden. Die Farbgebung der Abbildung – schwarz/weiß auf der linken Seite, bunt auf der rechten – verstärkt den beklemmenden Eindruck noch und weist auf das ernste Thema des Romans hin. Aber nicht nur das Cover, sondern auch der Titel „Die geteilten Jahre“ ist sehr aussagekräftig und passend.


Fazit
Matthias Lisse ist wahrscheinlich vielen Lesern unter seinem Pseudonym Mac P. Lorne als Autor sehr erfolgreicher historischer Romane bekannt.
Dieses Buch fällt in eine ganz andere Kategorie, nämlich als eine „Autobiografie“ unter Zeitgeschichte.
Ich habe als Zehnjährige den Mauerbau schon sehr bewusst miterlebt – das Bild des Soldaten, der über den Stacheldraht springt, ist mir gut in Erinnerung – und bei ihrem Fall habe ich geweint.
Nur durch solche Bücher, die wirklich authentisch erzählen, wieviel Unrecht „der Arbeiter- und Bauernstaat“ an seinen Bürgern begangen hat, können wir "Wessis" uns überhaupt ein Bild davon machen und hoffentlich manches besser verstehen. Ich wünsche mir sehr, dass das Buch den Leuten diese Zeit näher erklären kann … und vielleicht auch dieses dumme "Ossi-Wessi" oder "es war ja nicht alles schlecht"- Gerede etwas zurecht rückt.
Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es Matthias Lisse nicht leicht gefallen ist, das alles zu schildern, aber ich danke ihm, dass er es getan hat!
Für mich ist es sein bestes und wichtigstes Werk.

 

5 Sterne


Hinweise
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