Auf Ausgrabung
"Willst du auch schauen?" Stas hält eine etwa handgroße Tonscherbe hoch. "Hier kannst du die Bemalung sehen." Er gibt mir die Scherbe, ich halte sie vorsichtig. An einer Stelle ist sie ganz sauber, ganz glatt und fein. Ich erkenne in der Bemalung eine stilisierte Blume. Stas nickt und erklärt, dass die Dekoration bei den Funden hier meist aus Linien, Wellen, konzentrischen Kreisen und weiteren geometrischen Formen besteht. Ich gebe die Scherbe vorsichtig zurück. Die Arbeiter fangen wieder an zu schaufeln und Erde wegzufahren. Wer gerade nicht schaufelt, macht Witze, raucht, gähnt. Aus einem ihrer Handys scheppert wie immer Musik, jeden Tag die gleiche Playlist.".
Über mehrere Wochen hat Jonas Fischer ein Team von Archäologinnen und Archäologen der Christian-Albrechts-Universität Kiel auf einer ihrer Ausgrabungen nach Moldawien begleitet. Mit schnellem Strich hat er den Grabungsalltag in der Fremde, die am Ende gar nicht mehr so fremd war, gezeichnet und beschrieben.
Autor: Jonas Fischer |
Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
"Blätter zur Berufskunde" mal anders! An der Christian-Albrechts-Universität Kiel hat man sich Gedanken gemacht, wie man den Grabungsalltag der Archäologen auch Laien vermitteln kann, ohne Langeweile aufkommen zu lassen. Schließlich hat man sich für die lange Tradition des Grabungstagebuchs entschieden. Mit Jonas Fischer als Tagebuchschreiber und Zeichner fuhren die Kieler zur Grabung nach Stolniceni in Moldawien. Stolniceni ist eine steinzeitliche Großsiedlung, die als frühstädtisch anzusehen ist und viele Fragen aufwirft, die zu Beginn des Buches in einem kurzen Vorwort skizziert werden und die LeserInnen mit der Aufgabenstellung der Ausgrabung vertraut macht.
Fischer ist archäologisch nicht vorgebildet und bringt eine gehörige Portion Neugier mit, so dass schnell klar wird, hier geht es nicht um Belehren, sondern um Begreifen und Vermitteln. Nach und nach taucht man mit ihm ein in den Alltag der Archäologen. Erfährt u.a. wie genau und diszipliniert gearbeitet werden muss, was wissenschaftliche Dokumentation bedeutet, welche Laborarbeiten bereits "im Feld" möglich sind und dass es unterschiedliche Bereiche innerhalb des Fachs gibt, wie z.B. die Archäobotanik. Was nach viel klein klein aussieht, entpuppt sich im Laufe des Tagebuchs als hochspannend. Und natürlich lernt man auch die Menschen kennen, die hier arbeiten, die Studierenden, die Helfer aus dem nahegelegenen Ort und auch die Grabungsleiter. Hier arbeiten alle Hand in Hand - vor Ort ist kein Platz für Eitelkeiten, sondern nur für konzentrierte Teamarbeit.
Um noch einmal auf die "Blätter zur Berufskunde" zurück zu kommen, natürlich kann ein solches Tagebuch nur einen Ausschnitt zeigen, die ganze Bandbreite der Tätigkeiten in der Archäologie ist hier nicht aufzeigbar. Aber das was machbar ist, wird mit viel Charme und gut verständlich vermittelt. Es macht Spaß, die Texte zu lesen und die Zeichnungen zu betrachten. Ein bisschen ist es so, als wäre man dabei und würde Fischer bei seiner Arbeit über die Schulter schauen. Die skizzenhaften Zeichnungen (in unterschiedlichen Größen) geben gute Einblicke in den Grabungsalltag und wirken sehr lebendig, die schwarz-weißen mehr als die kolorierten. Auch die Portraits finde ich sehr gelungen. Und .... Jonas Fischer hat Humor, das merkt man den Texten an und u.a. seinem Selbstportrait, das ihn im Maul eines Walfisches stehend zeigt.
Bis hierher bin ich rundum zufrieden. Ein Manko hat das Buch allerdings und das ist, dass die Texte handschriftlich abgedruckt sind. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Da die Handschriftlichkeit zwingend zum Format gehört, hoffe ich, dass meine Anmerkung nicht dazu führt, dass das Buch nicht gelesen wird, das wäre nämlich schade.
Einen abschließender Wunsch habe ich noch: Erzählt weiter von Stolniceni, ich würde gerne mehr über diesen hochspannenden Ort erfahren.
Aufmachung des Buches
Die Klappenbroschur erinnert optisch an eine Kladde; beiger Leinenrücken und mattoranger Pappdeckel. Das Cover zeigt die Skizze eines Mannes mit einem Vermessungsgerät. Von einer sorgfältigen Materialwahl zeugt, dass das weiße Papier stabil ist und mattglänzend, also lesefreundlich. Die Fadenheftung vervollständigt den guten Eindruck, den man von der Ausgabe hat.
Fazit
Dieses Buch erklärt nicht alles bis ins letzte Detail, wird seiner selbst gestellten Aufgabe aber auf charmante Weise gerecht.
Hinweise
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Weitere Informationen zum Projekt gibt es hier: http://archaeo-lounge.com/moldawien/