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Moral/Ethik ist ein beherrschendes Thema in der Mittelerdedichtung. Vielen ist nicht bewusst, dass sich in Tolkiens Werk ein modernes und sehr humanes Verständnis von Ethik findet. In diesem Buch wird gezeigt, wie in Tolkiens Werk ethische Überzeugungen vertreten und Probleme verhandelt werden. So wird untersucht, inwieweit Wesen Gut und Böse aufgrund ihrer Rasse/Spezies/Herkunft zugeschrieben werden, wo und wie Tolkien diese Zuschreibungen wieder bricht und wie er so ein komplexeres Gefüge aufbaut. Anhand des Zusammenhangs zwischen 'Gutheit'/'Schönheit' bzw. 'Bosheit'/'Hässlichkeit' wird auf die Ähnlichkeit mit und die Abweichung von mittelalterlichen Vorstellungen verwiesen, eine Typologie von gut, böse, schön und hässlich entwickelt und die Problematik 'Äußeres vs. Inneres' behandelt. An beispielhaften erzählerischen Mitteln wird erläutert, wie Tolkien seiner mythographischen Fiktion eine entsprechende Form gibt und wie geschickt er vorgeht, um alternative ethische Standpunkte zumindest anzudeuten und sein Werk damit vor allzu simpler Vereinnahmung zu schützen. Zusammenfassend wird gezeigt, dass in Mittelerde weltanschaulich weitestgehend neutrale und damit sehr moderne ethische Überzeugungen vertreten werden und dass 'Gut' und 'Böse' hier auch aus areligiöser Sicht charakterisiert werden können: 'Gut' als Freiheit, 'Böse' als die Negation des Guten. Ergänzend finden sich ein Überblick über die Sekundärliteratur sowie die Vorstellung von Beispielen der Instrumentalisierung von Mittelerde, in denen Tolkiens Werk als 'Kronzeuge' für eigene Überzeugungen in Anspruch genommen wird. Dass Tolkiens Epos, in dessen erzählerischem Mittelpunkt der Konflikt von Gut und Böse steht, diesen jenseits von klaren weltanschaulichen Zuordnungen darstellt, macht die Größe des Werkes aus. Vielleicht lässt sich auch gerade damit – über die Großartigkeit der erzählerischen Umsetzung hinaus – der über kulturelle Grenzen hinweg reichende Erfolg begründen. 


 Eine Grammatik der Ethik

Autor: Thomas Honegger; Frank Weinreich (Hrsg.)
Verlag: Verlag der Villa Fledermaus
Erschienen: 1. Juli 2005
ISBN: 978-3932683114
Seitenzahl: 160 Seiten

 

Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Der Titel dieses Buches ist leider etwas sperrig, der Klappentext wiederum sehr ausführlich und grob gesagt behandeln die sechs Essays das Thema "Ethik in Mittelerde" aus verschiedenen Blickwinkeln:

  • Thomas Honegger – Forschungsübersicht: Ein Überblick
  • Friedhelm Schneidewind, Frank Weinreich – Beispiele der Instrumentalisierung von Mittelerde
  • Friedhelm Schneidewind – Biologie, Abstammung und Moral
  • Thomas Honegger – Zur Phänomenologie von Gut und Böse
  • Andrew James Johnston – Ästhetische Strategie und ethische Vielfalt
  • Frank Weinreich – Ethos in Arda. Charakteristika der Ethik in Mittelerde

Folgende Werke Tolkiens sollte man gelesen haben, um den Texten folgen zu können:

  • Das Silmarillion
  • Der Hobbit
  • Der Herr der Ringe
  • Nachrichten aus Mittelerde

Die Autoren sind alle kenntnisreiche Tolkienforscher, die sich mit ihren Essays in erster Linie an andere Wissenschaftler wenden. Kurz, es ist kein populärwissenschaftliches Buch. Aus diesem Grund werde ich mich hier nicht zum wissenschaftlichen Diskurs äußern, sondern bewerten, inwiefern man als interessierter Laie die Texte mit Gewinn lesen kann.

Die Autoren gehen zum einen der Frage nach, ob es tatsächlich zutrifft, dass Tolkien seine Welt in Gut und Böse einteilt und keine Grautöne zulässt. Zum anderen stellen sie die These auf, dass die von Tolkien vertretenen ethischen Prinzipien nicht denen des Mittelalters entsprechen (wie zu erwarten wäre), sondern ein modernes Verständnis von Ethik transportieren.

Zunächst muss man sich auf die etwas andere, wissenschaftliche Sprache einlassen und auf deren Genauigkeit, die manchmal langatmig wirkt, aber für das Verständnis des Gesagten unerlässlich ist, anders würde zu viel Interpretationsspielraum entstehen. Fachworte, sofern notwendig, erklären sich meistens aus dem Text heraus und englischsprachige Zitate werden in der Regel in Fußnoten übersetzt. Die Lesbarkeit und das Verständnis der Essays sind je nach Autor verschieden. Am besten kam ich mit Schneidewind und Honegger zurecht, weniger mit Weinreich und Johnston. Schneidewind schreibt schon fast populärwissenschaftlich und Honeggers Text ist zwar anspruchsvoll, aber gut lesbar und verständlich. Weinreichs Stil empfand ich als ermüdend. Man liest und liest und hat am Ende der Seite vergessen, was am Anfang stand, einfach, weil der Autor zu sprachverliebt ist. Man wünscht sich, dass er mal zum Punkt kommt. Für Johnston gilt auch, dass er zu viele Worte macht, allerdings, alles in allem gesehen, ist er aber doch besser lesbar als Weinreich.

Zu Tolkien und seinem Werk gibt es inzwischen sehr viel Sekundärliteratur von unterschiedlicher Qualität, manche Bücher sind Standardwerke geworden, andere dagegen versuchen mit Tolkiens Popularität das schnelle Geld zu machen und wieder andere instrumentalisieren seine Literatur für ihre Zwecke. Da als Fan den Durchblick zu behalten ist schwer. Die Autoren von "Eine Grammatik der Ethik" garantieren eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Werk. Argumentativ überzeugend entkräften sie den oft geäußerten Vorwurf der Schwarz-Weiß-Malerei und weisen differenziert nach, dass Tolkiens ethische Vorstellungen, die er in sein Werk einfließen lässt (und dort auch diskutiert), sehr modern sind. Diese Modernität ist es ihrer Ansicht nach dann auch, die den weltweiten Erfolg des "Herrn der Ringe" zumindest in Teilen erklärt. Auf die von Tolkien vertretene Ethik kann man sich jenseits von Religion und kulturellem Hintergrund verständigen. Nach der Lektüre dieser Essays ist mein Respekt vor Tolkien nur noch gewachsen. Und - ja, man kann auch als Nicht-Wissenschaftler "Eine Grammatik der Ethik" mit Gewinn lesen!

Aufmachung des Buches
Das Cover des Taschenbuches spricht mich überhaupt nicht an. Das Bild unter den Namen der Autoren und dem Titel ist in schwarz-weiß gehalten und auf den ersten Blick ist nur der Vollmond (oder die Sonne?) gut zu erkennen und eine schemenhafte Figur (ein Pferd reitend) darunter. Bei genauerem Hinsehen lässt sich noch ein Gebirge erkennen. Bei der Figur kann man nur raten, wen sie darstellen soll. Ist es ein Nazgul, Frodo auf dem Weg zur Bruinen-Furt, Gandalf mit Schattenfell oder irgendjemand sonst? Auf den ersten Blick dachte ich an den "Erlkönig" und nicht an Mittelerde. Das düstere Bild hätte man sich besser gespart. Dafür ist dann der Klappentext erfreulich ausführlich. Ebenso verhält es sich mit dem Anhang. Da hat man sich viel Mühe gegeben und zwar über das wissenschaftlich Notwendige hinaus. Noch ein Wort zu den Fußnoten, diese sind unterschiedlich lang, von wenigen Zeilen bis hin zu fast einer ganzen Seite (Seite 43). Mich hat das beim Lesen gestört und es hätte mir besser gefallen, wenn man die Anmerkungen im Anhang versammelt hätte. Mit "Über die Autoren" schließt das Buch.

Fazit
Obwohl sich das Buch in erster Linie an ein wissenschaftliches Publikum richtet, empfehle ich es allen LeserInnen, die tiefer eintauchen möchten in die Welt von "Mittelerde".


4 Sterne


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