Drucken
Kategorie: 1800 – 1900 Romantik, Biedermeier, Gründerzeit usw

Als Inspector Benjamin Ross ins Gefängnis von Newgate gerufen wird, ist er skeptisch. Ein Mann, der gehenkt werden soll, will eine Aussage machen. Doch als dieser ihm dann von einem 17 Jahre alten Mord berichtet, dessen Zeuge er wurde, ist er so überzeugend, dass Ben Zweifel kommen. Könnte der Mann nicht doch die Wahrheit sagen? Und ist er vielleicht unschuldig? Der Fall lässt Ben nicht los, und bald macht er sich mit seiner Ehefrau Lizzie auf die Spuren eines Mordes, die zwar längst erkaltet sind - aber offenbar noch immer für Unruhe sorgen. Und für Gefahr...

 

Die Beichte des Gehenkten 

Originaltitel: The Testimony of the Hanged Man
Autor: Ann Granger
Übersetzer: Axel Merz
Verlag: Bastei Lübbe TB
Erschienen: 16. Februar 2017
ISBN: 978-3404174836
Seitenzahl: 320 Seiten

Hier geht's zur Leseprobe


Die Grundidee der Handlung
London 1868: Der verurteilte Mörder James Mills äußert am Vorabend seiner Hinrichtung einen letzten Wunsch. Er möchte Inspector Benjamin Ross von der Metropolitan Police sprechen, um ihm eine wichtige Mitteilung zu machen. Ross, der seiner Bitte – wenn auch ungern – nachkommt, kann sich nicht erklären, was Mills von ihm will. Umso überraschter ist er, als dieser behauptet, vor 16 Jahren Zeuge eines Mordes gewesen zu sein. Es belastet sein Gewissen, dass er den Vorfall nicht gemeldet hat, und daher gibt er nun seine damaligen Beobachtungen zu Protokoll. Diese sind so präzise, dass Ross geneigt ist, ihm zu glauben. Aber kann er nach so langer Zeit noch Beweise für die Tat finden und die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen?


Stil und Sprache
„Die Beichte des Gehenkten“ ist der fünfte Band der Reihe „Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross“, die mittlerweile verheiratet sind und im viktorianischen England Kriminalfälle lösen. Die Romane sind aber alle in sich abgeschlossen, sodass man auch jeden problemlos für sich lesen kann. Die Handlung wird ausschließlich aus Sicht der zwei Ich-Erzähler Lizzie und Benjamin geschildert, die der Leser wechselweise bei ihren Ermittlungen begleitet. Da sie sich zwischenzeitlich immer wieder darüber austauschen, ist man stets auf Höhe des Geschehens und kann die Fortschritte oder auch Rückschläge der beiden jederzeit mitverfolgen und nachvollziehen.

Die viktorianischen Krimis von Ann Granger überzeugen nicht so sehr durch spektakuläre Verbrechen, als vielmehr durch die wirklich authentische und stimmige Beschreibung des historischen Hintergrundes. Die Arbeit der Kriminalpolizei steckt 1868 noch in den „Kinderschuhen“, und wird hier sehr anschaulich und informativ dargestellt. Dazu kommen noch die gesellschaftlichen Zwänge, denen die Menschen damals ausgesetzt waren. Inspector Ross muss im Dienst viele Rücksichten nehmen, sowohl auf seine Vorgesetzten als auch auf Angehörige der „besseren“ Kreise, mit denen er es des Öfteren zu tun bekommt. Die Autorin vermittelt ihrem Publikum diese Problematik sehr glaubwürdig und interessant. Mit viel Lokalkolorit werden auch das Londoner Straßenbild, die Umstände des täglichen Lebens und der technische Fortschritt – z.B. in Form von (Pferde)-Omnibussen oder der Eisenbahn - in die Handlung einbezogen.


Figuren
Elizabeth und Benjamin Ross lösen – wie bereits erwähnt – ihren 5. gemeinsamen Fall. Sie haben sich 1864 in London wieder getroffen, wo Lizzie bei ihrer Patentante eine Stelle als Gesellschafterin antrat und als Zeugin in eine Mordermittlung verwickelt wurde. Bei der Vernehmung durch den Inspector stellten sie fest, dass sie sich aus Kindertagen kennen. Lizzie - als Tochter eines Polizeiarztes mit einigem Hintergrundwissen und einer guten Portion Neugier und gesundem Menschenverstand gesegnet - kann Benjamin ein paar gute Ratschläge geben und zur Aufklärung beitragen. Dies ist die Vorgeschichte des Paares, das im vorliegenden Roman seit einem Jahr verheiratet ist und mit dem 16jährigen Hausmädchen Bessie einen bescheidenen, gutbürgerlichen Hausstand in London führt.

Dass seine Frau ihn bei seiner Arbeit heimlich unterstützt, widerspricht eigentlich der Stellung der respektablen Ehefrau eines seriösen Beamten. Aber Bens Vorgesetzter – Superintendent Dunn – missbilligt zwar Lizzies "Talent für inoffizielle Ermittlungen“, hat aber ansonsten eine Schwäche für sie und drückt daher öfter beide Augen zu. So begibt sie sich mit Bessie als „Anstandsdame“ auf die Suche nach Beweisen in dem kleinen Ort  Putney, der vor vielen Jahren angeblich der Schauplatz eines Mordes war.

Die Stellung der Frau im England Mitte des 19. Jahrhunderts ist Ann Granger immer ein besonderes Anliegen. Ist Elizabeth Ross da eine eher seltene Ausnahme als wirkliche Partnerin ihres Mannes, der ihren Verstand, ihren Mut und ihre Tatkraft anerkennt und bewundert, so zeigt sich in einem Nebenstrang der Handlung am Beispiel von Jane Canning, wie rechtlos eine Ehefrau und Mutter zu dieser Zeit tatsächlich war und welche Macht den Männern auf Grund ihrer Überlegenheit über das vermeintlich „schwache Geschlecht“ eingeräumt wurde. Diese gut recherchierten und glaubwürdig dargestellten Aspekte machen die Bücher der Autorin - die als reine Kriminalromane vielleicht für manchen Leser etwas die Spannung vermissen lassen - doch immer wieder interessant.


Aufmachung des Buches
Das Cover des Taschenbuches zeigt eine viktorianische Straßenszene von London – erkennbar an der Kuppel der St. Pauls Kathedrale - die sich auf der Rückseite unter dem Klappentext wiederholt. Der Handlung ist eine Anmerkung – mit Danksagung – der Autorin vorangestellt, in der sie den kleinen Ort Putney mit seiner Themsebrücke beschreibt, wo ein Großteil des Romans spielt und der heute ein Ortsteil der englischen Hauptstadt ist. Es folgen 20 nummerierte Kapitel mit verschieden langen Abschnitten, die je nach Erzähler/in mit den Namen von Inspector Ross bzw. seiner Frau Lizzie überschrieben sind.


Fazit
Ein schöner historischer Krimi, der die Atmosphäre im London der viktorianischen Zeit gut widerspiegelt.


4 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de oder deinem Buchhändler vor Ort

Backlist:
Band 1: Wer sich in Gefahr begibt
Band 2: Neugier ist ein schneller Tod
Band 3: Ein Mord von besserer Qualität
Band 4: Ein guter Blick fürs Böse