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Unbewältigte Vergangenheit

Larissa Gräfin Rothenstayn, die in der DDR aufwuchs und 1975 in den Westen fliehen konnte, bittet die Münchner Ghostwriterin Kea Laverde, ihre Lebensgeschichte aufzuschreiben. Dann wird sie in ihrem Schloss in Unterfranken von einem Unbekannten schwer verletzt, die Polizei spricht von versuchtem Mord.
Kea arbeitet sich durch das Familienarchiv. Ihre Recherchen führen sie zurück in das Jahr 1968 und zu einem Verbrechen, das nie gesühnt wurde…

 

  Autor: Friederike Schmöe
Verlag: Gmeiner-Verlag
Erschienen: 07/2009
ISBN: 978-3-8392-1012-3
Seitenzahl: 327 Seiten 


Die Grundidee der Handlung
Larissa Gräfin Rothenstayn hat Ghostwriterin Kea Laverde damit betraut, Eckdaten ihres Lebens für ihr Archiv in Worte zu fassen. Rund zwanzig Jahre nach dem Mauerfall blickt sie auf ihre Flucht in den Westen in den Siebzigerjahren zurück. Vermarktet werden soll das Buch unter dem Titel ‚Eine Adelige in der DDR’. Kea ist dafür eigens angereist und logiert im gräflichen Schloss in Unterfranken. Ein Interview folgt dem anderen, die Gräfin hat es offensichtlich eilig. Die Zusammenarbeit macht Kea jedoch sehr viel Spaß. Frau von Rothenstayn hat ein aufregendes Leben hinter sich und ist zudem eine leicht zu handhabende Kundin.
Doch eines Morgens erscheint die Gräfin nicht wie gewohnt zum Frühstück, dem ersten Interview-Termin des Tages. Kea nutzt die Zeit, zum Bach nahe der Grenze zwischen Grundstück und Wald zu schlendern und macht einen überraschenden Fund. Larissa Gräfin Rothenstayn liegt reglos, blutend, mit teils zerschmettertem Schädel am Ufer. Gibt es einen Zusammenhang mit dem ominösen, spätabendlichen Besuch? Doch nichts hatte darauf hingewiesen, dass kurze Zeit später ein Überfall oder gar Mordanschlag geschähe. Die Überlebenschance Larissas ist ungewiss. In einer wachen Minute wendet sie sich vertrauensvoll an Kea: ‚Finden Sie Katjas Mörder!’. Doch wer ist Katja? Kea stellt sich der Herausforderung, dies herauszufinden…


Stil und Sprache
Friederike Schmöe, bekannt durch ihre Romane um die unerschrockene Katinka Palfy, widmet sich in „Fliehganzleis“ dem zweiten Fall des sympathischen Ermittlerduos Kea Laverde und Nero Keller. In neunundfünfzig Kapiteln zuzüglich Prolog und Epilog kombiniert sie die Geschichte des geteilten Deutschlands mit Fiktion. Heraus kommt ein bravurös strukturierter Plot mit fesselnden Handlungssträngen und interessanten Charakteren.
Ebenso wie der Romanfigur Larissa Gräfin Rothenstayn in ihren Interviews mit Kea Laverde, gelingt es Friederike Schmöe, die Neugier des Lesers zu wecken. Hier ein Hinweis, dort eine Information – nie zu viel, aber auch nicht zu wenig, um den Spürsinn des Lesers anzusprechen.
In bildreicher Sprache veranschaulicht die Autorin in erster Person Singular aus Sicht Kea Laverdes oder in Abwechslung hierzu in einigen Kapiteln in dritter Person Singular aus Sicht Nero Kellers das Geschehen. Man erfährt ausführlich über Handlungen, Gedanken und Emotionen. Details zu Schauplätzen, Figuren und selbst Gerüchen ergeben ein vollständiges Bild. Der Leser kann sich problemlos in die Situationen und Abläufe hineinversetzen.
Ein großes Lob gebührt Friederike Schmöe für ihre hervorragende Recherchearbeit. Mit viel Feingefühl und Menschlichkeit weiß sie, diverse Fakten in ihren Roman einzubinden und umzusetzen. So werden damalige Fluchtwillige, Fluchthelfer und nicht zuletzt die derzeitige Politik unter die Lupe genommen. Entstanden ist ein Krimi, der nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt.
Im Nachwort erläutert Friederike Schmöe ihr Vorgehen und ihre Quellen zu „Fliehganzleis“.


Figuren
Kea Laverde steht kurz vor ihrem vierzigsten Geburtstag, ist Single und noch dazu kinderlos. Ein Zustand, der ab und an Rechtfertigungstraumata bei ihr auslöst. Zu ihren molligen achtzig Kilos steht sie allerdings. Ebenso zu ihrem ungewöhnlichen Lebensstil mit einem Bungalow in den Hügeln der Einöde Ohlkirchens und zwei Graugänsen, Waterloo und Austerlitz – liebevoll Loo und Litz gerufen, sowie einer Zweitwohnung inmitten der Großstadt. Einerseits benötigt Kea viel Freiraum, andererseits ist sie auf der Suche nach dem Ankerplatz des Lebens.
Ihren ehemaligen Job als Reisejournalistin hat sie zu Gunsten einer Karriere als Ghostwriterin an den Nagel gehängt. Kaum verwunderlich, hat sie doch in jüngster Vergangenheit dem Tode ins Auge sehen müssen. Ein Bombenanschlag in Scharm al-Scheich im Jahre 2005 hat ihr schwere körperliche und auch seelische Verletzungen zugefügt. Dieser isolative Konflikt, das unverarbeitete Ereignis von damals und auch der Tod ihres Vaters, suchen sie hin und wieder im Alltag heim.
Nero Keller schleppt ebenfalls schwere Erinnerungen mit sich herum. Seine Frau Leonor kam unter unglücklichen Umständen vor seinen Augen bei einem Raubüberfall im Supermarkt ums Leben. Als Polizeihauptkommissar und Dozent reist er derzeit quer durch die bayerischen Regierungsbezirke, um seine Kollegen in Präsidien und Polizeidirektionen weiterzubilden. Sein Spezialgebiet ist die Internetkriminalität mit dem Schwerpunkt Aufdecken von verwischten Spuren im World Wide Web. Jahrelange Erfahrung in der Mordkommission lehrten ihn die Defizite seiner Kollegen. Er hat Spaß am Unterrichten und schöpft zudem Kraft aus dieser Tätigkeit.
Nero und Kea kennen sich mittlerweile seit einem Dreivierteljahr. Nero fühlt sich sehr zu ihr hingezogen und auch Kea ist gern mit ihm zusammen. Doch zu mehr als ein paar kulturellen Abenden hatte es bisher noch nicht gereicht. Zwischen den beiden knistert es, doch Keas Bindungsängste und Neros Schuldgefühle sorgen immer wieder für Distanz. Ob aus den beiden Hauptfiguren des Romans doch noch ein Paar wird?
Beide Protagonisten wirken gerade aufgrund ihrer Schwächen absolut lebensnah und sympathisch. Doch nicht nur die realistischen Hauptfiguren überzeugen, auch die zahlreichen Nebencharaktere sind mühevoll ausgearbeitet. Jede Person gibt ein schlüssiges Porträt, handelt nachvollziehbar und hegt mitunter das ein oder andere Geheimnis, das erst viel später im Handlungsverlauf ans Tageslicht kommt und für ein Aha-Erlebnis beim Leser sorgt.


Aufmachung des Buches
Pünktlich zum zwanzigsten Jubiläum des Mauerfalls erscheint „Fliehganzleis“ als Paperback im Gmeiner-Verlag, dem Spezialisten für Themenkrimis im deutschsprachigen Raum. Wer bereits einen Krimi des Verlags in Händen hielt, kennt die konsequente Grundstruktur des Coveraufbaus: Quer über einem ausgewählten Motiv prangen in zwei weißen Streifen Autorenname und Titel des Romans.
„Fliehganzleis“ zeigt im individuellen Bildausschnitt ein Ufer mit etlichen größeren und kleineren Steinen, an denen sich das Wasser bricht. Die Linie des Wassers zieht sich diagonal über das gesamte Cover. Es entsteht ein ruhiger, harmonischer Eindruck. Aufgrund der angenehmen Beleuchtung der Szene könnte man meinen, die Sonne schiene sogar.
Das Buch ist auf qualitativ hochwertigem, schwerem Papier gedruckt.


Fazit
Kea Laverdes zweiter Fall bietet in „Fliehganzleis“ einmal mehr satten Rätselspaß von der ersten bis zur letzten Seite. Begeisterte Krimifreunde werden ihre helle Freude an einem gut strukturierten Plot, einer interessanten Handlung und vielseitigen Charakteren haben.



Hinweise
Rezension von Patricia Merkel


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