Heute ist der erste November und das bedeutet, heute wird jemand sterben.
Selbst im hellen Sonnenschein schillert die eisige Herbstsee in allen Farben der Nacht: dunkelblau, schwarz und braun. Ich betrachte die sich stetig verändernden Muster im Sand, zerpflügt von unzähligen Hufen.
Unten am Strand, einem bleichen Streifen zwischen schwarzem Wasser und Kalkfelsen, wärmen sie die Pferde auf. Das ist niemals ungefährlich, aber die Gefahr ist auch nie so groß wie heute, am Tag des Rennens.
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Originaltitel: The Scorpio Races |
Die Grundidee der Handlung
Jedes Jahr im Oktober kommen die Capaill Uisce auf die Insel Thisby und bringen den Tod mit sich. Jedes Jahr machen sich die Inselbewohner daran, die Wasserpferde einzufangen und für das große Rennen am ersten November zu trainieren. Jedes Jahr sterben Menschen dabei. Und dieses Jahr wird Puck Connolly - als erste Frau - mitreiten, damit ihr großer Bruder noch ein wenig länger auf der Insel bleibt und um das Haus und ihre Existenz zu retten. Doch hat sie auf ihrem Inselpferd Dove eine Chance gegen die blutrünstigen Capaill Uisce? Und vor allem: Hat sie eine Chance gegen Sean Kendrick auf dem Wasserpferd Corr, der vier der sechs Rennen, an denen er teilgenommen hat, gewann? Zumal Sean dieses Jahr einen ebenso großen Ansporn hat, das Rennen zu gewinnen, denn nur dann darf er Corr endlich kaufen.
Maggie Stiefvaters neuester Roman ist anders als alles, das man bisher zu lesen bekommen hat. Sie hat einen Mythos, eine Legende, wunderbar in Szene gesetzt. Es ist faszinierend, wie die Autorin Grausamkeit und Schönheit miteinander verwebt und dabei eine Geschichte entsteht, die bezaubert und von der man nicht möchte, dass sie jemals endet.
"Diese Insel ist geheimnisvoll und unberechenbar. Ich weiß nicht, was sie als Nächstes für mich geplant hat." (Seite 272)
Stil und Sprache
So unmittelbar wie die erste Person, in der Sean und Puck abwechselnd die Geschichte erzählen, ist auch der Schreibstil Maggie Stiefvaters. Authentisch, atmosphärisch dicht, mit viel Liebe zum Detail, ohne jedoch zu langweilen. Die Autorin hat eine ganz eigene Art Geschichten zu erzählen. Einerseits ist ihr Tonfall ruhig und besonnen, andererseits strotzt er vor Intensität und Leben, dass es eine wahre Freude ist, jede einzelne Zeile aufzusaugen und sich in dem Text zu verlieren. Der Leser trifft auf unzählige wunderschöne, aber auch humorvolle Sätze, wie auf Seite 55: "Jeglicher Charme, den ich vielleicht heute Morgen noch besessen habe, ist schon lange auf dem Weg nach Hause, um sich ein großes Sandwich zu machen."
Die Ausführungen zu Skarmouth bei Nacht sind ebenfalls alles andere als trocken und ausschweifend, sondern unheimlich lebendig, und man sieht diesen Ort regelrecht vor sich. Es ist, als würde er atmen. Doch nicht nur Orte werden treffend beschrieben, auch die Beziehungen untereinander - beispielsweise zwischen Sean und Corr - werden faszinierend dargestellt. Zudem versteht Maggie Stiefvater es, dem Leser Corrs Art, seinen unvergleichlichen Galopp, nahezubringen. Fast meint man, selbst auf dem Rücken dieses unberechenbaren Pferdes über Thisby zu fliegen.
Stets ist eine unterschwellige Spannung spürbar und man möchte unbedingt weiterlesen, um zu erfahren, was als nächstes geschieht. Andererseits möchte man sich Zeit lassen, damit das Buch nicht so schnell ausgelesen ist und man sich von Thisby mit seinen Pferden und Bewohnern verabschieden muss. Je weiter die Geschichte voranschreitet, umso spannender, aber auch blutiger wird sie. Doch Puck muss sich nicht nur vor den Capaill Uisce in Acht nehmen, sondern auch vor den anderen Teilnehmern des Rennens, denn diese möchten keine Frau dabei haben und lassen sie das stets spüren. Neben temporeichen Szenen finden sich aber auch sanfte, ruhige Passagen in dem Buch, voll aufrichtiger Worte und Gefühl.
Figuren
Es ist erstaunlich, wie schnell einem die Figuren ans Herz wachsen, wie lebendig sie schon nach wenigen Seiten wirken. Puck macht dabei wohl die größte Veränderung durch und ist am Ende des Buches deutlich erwachsener geworden, hat an Selbstbewusstsein gewonnen. Aber auch Sean entwickelt sich weiter, wenn er dafür auch manchmal einen kleinen Schubs braucht. Er hat seine ganz eigene Art, die fasziniert und neugierig macht. "Sean gelingt es wie immer, mit einem einzigen Wort davon zu kommen, wo jeder andere fünf oder sechs gebraucht hätte" (Seite 357). Diese beiden Hauptfiguren stehen schon bald lebendig vor dem inneren Auge des Lesers, aber auch die Nebenfiguren stehen dem in nichts nach. Ob es nun Pucks Bruder Finn ist, der undurchschaubare Holly oder Dory Maud - Maggie Stiefvater braucht nur wenige treffende Worte, damit aus ihnen dreidimensionale Charaktere werden: "Mum hat Dory immer als »robust« bezeichnet, was in etwa heißt, dass sie von hinten aussieht wie ein Mann und von vorne so, dass man sie doch lieber wieder von hinten sehen will." (Seite 102) - Wie kann man eine Figur treffender beschreiben?
Doch natürlich sind nicht alle Menschen auf Thisby nett und freundlich, allen voran Mutt Malvern, der insbesondere Sean das Leben schwer macht. Auch er ist gut und authentisch dargestellt und verleiht der Geschichte eine gewisse Würze.
Aufmachung des Buches
Kurz und knapp: Wunderschön! Nicht nur der Schutzumschlag ist spannend und passend zur Geschichte gestaltet - wobei das Spiel von hochglänzend und matt für Lebendigkeit sorgt -, auch das darunter liegende Hardcover-Buch ist mit viel Liebe gestaltet. Es ist, als wären die Wellen des Meeres hinein geprägt, der knallrot gehaltene Titel sticht dabei auf dem reinen Weiß leuchtend heraus. Dazu passend ist das Lesebändchen in einem kräftigen Rot gehalten. Wie man es vom script5-Verlag kennt, überzeugt neben der optischen Gestaltung auch die Qualität.
Fazit
Die Geschichte ist wie die Capaill Uisce: schön und grausam. Maggie Stiefvater erzählt auf ihre eigene, unvergleichliche Art und lässt dabei das Herz des Lesers aufgehen.
Hinweise
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