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Was ist zu tun, wenn vor der eigenen Wohnungstür ein fremdes Paar Herrenschuhe steht? Wenn man von drinnen seine Freundin und eine unbekannte Männerstimme hört? Der Journalist Nikol Nanz macht das, was er am besten kann: Er übt sich im Rückzug und richtet sich erst mal häuslich unter der Treppe des Mietshauses ein. Hier wird er nicht nur zum heimlichen Chronisten der Hausgemeinschaft, Nikol muss auch die Beziehung zu M. neu sortieren, seiner Freundin, mit der ihn bis dahin eine herrlich abgeschiedene Liebe verband.

 

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Autor: Max Scharnigg
Verlag: Hoffmann und Campe Verlag
Erschienen: 26. Februar 2011
ISBN: 978-3455403138
Seitenzahl: 157 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Was schreiben, wenn der Klappentext schon fast alles verrät?
Das Paar grüne Herrenschuhe und eine fremde Männerstimme in seiner Wohnung – das ist zuviel für Nikol Nanz, den Journalisten; das kennt er so nicht. Verstört flüchtet er unter die Treppe des Mietshauses. Hier sieht ihn keiner und dort unten findet dann auch die Ersteigung der Eiger-Nordwand statt - oder zumindest fast. Die Frage ist, ob er da unter der Treppe bleibt oder in seine Wohnung zurückkehrt, eines Tages, vielleicht?


Stil und Sprache
Es kommt sehr selten bei mir vor, dass ich mich von Titel oder Cover verführen lasse ein Buch zu lesen, hier trifft beides zu. Beides wirkt etwas surreal und dieser erste Eindruck bestätigt sich dann auch recht schnell. Eigentlich ist es ein Theaterstück, aufgeführt in einem Mietshaus, im Wesentlichen unter der Treppe. Dank seiner "Fähigkeit" für andere quasi unsichtbar zu sein, kann Nikol lange Zeit - er selbst weiß es gar nicht mehr zu sagen wie lange - unter der Treppe wohnen. Ihn plagen weder Hunger noch Durst, noch andere Bedürfnisse. Der Autor zieht den Leser immer weiter hinein in diese Geschichte, die so unwahrscheinlich ist wie Kafkas "Prozess", allerdings ohne dessen Düsternis. Mit Paprika-Stalaktiten und einer Kiste voller Danziger Goldwasser. Nikol scheint es ganz gut zu gefallen da unter der Treppe, und sein Bericht über die Erstbesteigung der Eiger-Nordwand macht auch große Fortschritte. Der Text dazu ist ausschließlich in seinem Kopf vorhanden, quasi seinem Computer, denn er beschreibt den Schreibprozess so, als säße er an einem solchen. So verrückt die Szenerie, so ausgefallen zuweilen auch die Wortwahl. Scharnigg malt wunderbare Bilder, nicht nur von Landschaft, sondern vor allem von den Gefühlen der Menschen. Er jongliert oft genug mit Worten, ohne dabei zu übertreiben und den Leser damit zu langweilen. Besonderen Wert legt er auf scheinbare Nebensächlichkeiten, die seinen Text aber atmosphärisch so dicht machen. Eine Besonderheit sollte noch erwähnt werden: der Autor benutzt zwar wörtliche Rede, kennzeichnet sie aber nicht durch Gänsefüßchen, trotz dieser Auslassung, weiß man aber immer wer spricht. Weshalb er diesen Kunstgriff benutzt, erschließt sich mir leider nicht wirklich.

Rückblenden wechseln mit der Beschreibung der Gegenwart (?) ab, und kunstfertig dazwischen montiert, immer wieder Nikols Bericht, die Recherche dazu, und nach dem Teilverlust des Textes der Neubeginn und schließlich der fertige Bericht. In seinen Musestunden denkt Nikol viel über seine Beziehung zu M. nach, erzählt und reflektiert zunehmend eigenes Verhalten. Ich möchte hier nicht zu viel verraten, denn die Frage ist ja immer: Kehrt Nikol in seine Wohnung zurück? Die Auflösung, die Scharnigg bietet, hat mir sehr gut gefallen, vorallem die Art und Weise wie er das tut, wie er das Fantastische und das Groteske mit der Wirklichkeit in Bezug setzt, Verbindung herstellt. Man sollte nicht glauben, dass ein Liebesroman genauso spannend sein kann wie die Erst-Besteigung der Eiger-Nordwand.


Figuren
Eigentlich gibt es hier nur den Ich-Erzähler, Nikol Nanz, 28, Journalist von Beruf, und Herrn Schmuskatz, Gletscherfotograf, und weit über 80 Jahre alt. Und natürlich M. die Freundin, die so unvermutet Besuch in der gemeinsamen Wohnung empfängt. Ihren vollständigen Namen erfährt man bis zum Schluss des Romans nicht und so umweht sie ein wenig die Aura des Geheimnisvollen, obwohl sie das ganz und gar nicht ist. Einen uneitleren, bedürfnisloseren Menschen findet man wohl so auf die Schnelle nicht. Dennoch ist sie keineswegs eine blasse Figur, man versteht recht schnell wieso Nikol sie so liebt und wieso er es hinnimmt, dass sich M. ganz und gar von der Außenwelt zurückzieht, erst durch Krankheit, dann durch die unüberwindliche Angst das Haus zu verlassen. Nikol wird zum Co-Abhängigen, manchmal erschien er mir als eine Art Gefängniswärter, der seine Liebe bewacht. Irgendwann muss man sich die Frage stellen, wer von den beiden ist eigentlich psychisch krank, M. oder Nikol? Ist der Roman die Darstellung einer Psychoanalyse - und wenn ja von wem? Geht es um Angst an sich und / oder die Überwindung von Angst? Wie viel Risiko beinhaltet die Liebe? Was haben die Liebe und die Eiger-Nordwand gemeinsam? Und nicht zuletzt - wer ist Herr Schmuskatz? Ein liebenswerter Eigenbrötler? Oder ein Teil der überreizten Sinne des Erzählers? Fragen über Fragen, die einen noch beschäftigen, wenn man die Buchdeckel längst zugeklappt hat. Und dazu tragen die gut ausgearbeiteten Figuren, einschließlich der Bergsteiger und der Hausbewohner (die man nur "hört" aber nicht "sieht"), einen ganz wesentlichen Teil bei.


Aufmachung des Buches
Der Einband des gebundenen Buches ist unspektakulär – schlammbraun. Dafür haben es der Schutzumschlag und das Cover in sich. Ein brauner, etwas abgetragener Mantel und eine grüne Aktentasche.  Wo ist der Mann dazu, wo die Treppe, die Eiger-Nordwand? Was haben Titel und Titelbild gemeinsam? Viel mehr, als man auf den ersten Blick denkt ...


Fazit
Literatur vom Feinsten, die noch lange nachwirkt.


5 Sterne


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