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Virgile, Junggeselle, dreißig Jahre, schreibt ausschließlich mit orangefarbenen BIC-Kulis, würde nie ohne Marc Aurels Selbstbetrachtungen verreisen, fürchtet sich vor Exhibitionismus beim Einkaufen im Supermarkt und arbeitet in einer Pariser Werbeagentur. Er ist ein liebens-werter Hypochonder mit eher tragikomischen Liebesbeziehungen, die er gerne mit seiner Analytikerin bespricht.
Mit anderen Worten: Virgile ist ein Mann, der oft verlassen wird. Doch als ihm eines Tages Clara auf dem Anrufbeantworter den Laufpass gibt, ändert sich alles. Virgile kennt keine Clara, da ist er sich ganz sicher. Ein Streich? Ein Anfall von Frühdemenz? Bestürzt (wie krank ist er wirklich?), verwirrt (seine Ex-Freundinnen rufen ihn an, um ihn wegen Clara zu trösten!) und überaus verwundert (warum besichtigen fremde Leute seine Wohnung?) sucht Virgile nach Erklärungen. Er findet keine. Und als er beschließt, die Frau zurückzuerobern, die er gar nicht kennt, weiß er noch nicht, dass dies die beste Entscheidung seines Lebens ist …

 

  Autor: Martin Page
Verlag: Thiele
Erschienen: 15. Februar 2010
ISBN: 978-3851791204
Seitenzahl: 208 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Der Umschlagtext fasst den Inhalt und die Idee des Buches schon sehr gut zusammen. Der Autor gewährt mit diesem Roman einen ganz ungewöhnlichen, aber interessanten Einblick in das Seelenleben eines (kranken?) Menschen.
Als Virgile eines Tages nach Hause kommt und den Anrufbeantworter abhört, ist er von der Nachricht Claras überrascht und fasziniert zugleich. Carla beendet ihre Beziehung – aber Virgile kennt keine Clara. Er ist jedoch so gefangen von ihrer Stimme, dass ihm diese Frau nicht mehr aus dem Kopf geht. Er, der ohnehin glaubt Krankheiten anzuziehen, ist sich nun ganz sicher, dass er sehr schwer erkrankt sein muss, denn anders lässt es sich für ihn nicht erklären, dass er keine Erinnerung an diese Frau hat…


Stil und Sprache
Studie eines jungen Mannes, der sich selbst durch seine exzentrische und hypochondrische Art im Wege steht.
So könnte man dieses Buch mit ein paar Worten umreißen. Martin Page zeichnet mit ausgereifter Sprache ein Bild weniger Lebenswochen des Werbetexters Virgile auf höchstem Niveau. Der Leser wird stiller Begleiter des jungen Mannes, zwar nicht aus Virgiles Perspektive, doch ebenso nah, denn er sitzt im ersten Rang, um alles genau beobachten zu können. Ausgesprochen intelligent schildert Page die Wochen, um die es in diesem Roman geht. Mitreißend, tiefgründig und mit einer guten Portion subtilen Humor schafft der Autor ein literarisches Gustostück der besonderen Qualität. Schritt für Schritt lässt Page Virgile bei seiner Suche nach Clara näher an sie herankommen und man wartet fieberhaft und ungeduldig darauf, wie es nun sein wird, wenn Virgile endlich auf sie trifft.
Es sollte aber unbedingt darauf hingewiesen werden, dass man beim Lesen dieses Buches keine Abneigung gegen Fremdwörter haben sollte. Page (oder die Übersetzerin?) streut eine Unmenge von nicht geläufigen Fremdwörtern ein, die den einen oder anderen sicher zum Recherchieren verleiten werden. Wörter wie „ephemer, Apoptose, Pilozäm, Entität, Oniromantie oder Chresmologie“ sind nur ein minimaler Auszug aus der geballten Menge.


Figuren
Virgile ist ein ansehnlicher und begehrenswerter junger Mann, so dass er keine Probleme mit dem weiblichen Geschlecht hat. Oft ver- und entliebt verläuft sein Leben aber ansonsten sehr eintönig. Kein Wunder, denn Virgile ist ein Hypochonder, kann es nicht leiden viel Geld zu haben (weil er der Meinung ist, dass er dies nicht verdiene) und versteht auch nicht, was die Frauen überhaupt an ihm finden.
Page zeichnet hier das Bild eines ziemlichen Neurotikers auf, und man ertappt sich beim Lesen oft bei einem leichten Kopfschütteln oder mit einem Grinsen. Virgile ist eine verkappte Figur, die ein Leben führen könnte, von dem andere träumen. Der Autor hat mit Virgile eine Person geschaffen, die so gegen das allgemeine Weltbild handelt, dass man ihn einfach für verrückt halten muss und ihn trotzdem mag. Was aber macht diese „Verrücktheit“ aus? Dass Virgile eine Beförderung und die dazugehörige Gehaltserhöhung ablehnt und sich sogar Hilfe von der Gewerkschaft erhofft, diese nicht annehmen zu müssen, als sein Boss darauf besteht? Dass er in einer Absteige im Haus mit lauter Prostituierten lebt, obwohl er sich eine Wohnung im nobelsten Viertel leisten könnte? Dass er meint, in ein paar Tagen sterben zu müssen und deshalb die Wohnung und den Strom kündigt, weil er sich nicht an Clara erinnern kann und dann im Dunklen sitzt? Oder weil er beschließt, vor seinen Freunden so zu tun, als habe Clara ihn wirklich verlassen, um das angenehme Gefühl des Mitleides und des Trostes genießen und auskosten zu können? Und dann gibt es noch Virgiles Ansicht, dass man jedem Haushalt ein Gerät für Computertomographie verkaufen sollte, da er das scheibchenweise Betrachten und Analysieren seines Körpers für ebenso hervorragend wie auch notwendig hält.
Auf diese Art hat der Autor souverän das Bild eines verquerten Junggesellen geschaffen, der einem sehr sympathisch ist, obwohl man sein Tun nicht nachvollziehen kann. Beim Leser entsteht das Bedürfnis, Virgile an der Hand zu nehmen und ihm zu sagen und zu zeigen, „Schau her, so geht das…“.


Aufmachung des Buches
Der Thiele-Verlag ist für seine ausgesprochen schönen und qualitativ hochwertigen Bücher bekannt. Auch dieses schön gebundene Buch ist sehr augenfällig und geschmackvoll gemacht. Der kartonierte Umschlag ist in einem satten Blutrot gehalten und nur am Buchrücken findet man das Logo des Verlags, Titel und Autor in weißer Schrift geprägt. Auf dem Schutzumschlag, dessen Grundfarbe schwarz ist, sieht man die Rückenansicht einer jungen Frau mit einem Koffer in den Händen und auch hier sind Autor und Titel in schnörkelloser, glatter Schrift zu finden. Auf griffigem, chamoisfarbenem Papier ist der Text gedruckt und nur zum Schluss des Buches findet man noch eine Danksagung des Autors. Insgesamt ein sehr ansprechend gestaltetes Buch.


Fazit
Leichte und trotzdem anspruchsvoll köstliche Unterhaltung liefert der Autor mit dieser außergewöhnlichen Erzählung. Man bekommt einen sehr intimen Einblick in das Leben eines jungen Mannes, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, seine Existenz möglichst unauffällig zu gestalten und dann durch einen banalen Irrtum komplett aus seinem gewohnten Trott gerissen wird. Kurzweilig und mit feiner Ironie bietet Martin Page mit seinem Werk ein außergewöhnliches Leseerlebnis.


5 Sterne


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