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Sechs Geschichten aus dem modernen China: Lakonisch, mit Witz und Sarkasmus zeichnet Zhu Wen das Bild einer zwischen Kommunismus und Kapitalismus eingeklemmten chinesischen Gesellschaft, in der alle Werte und Sicherheiten ins Wanken geraten.

"I love Dollars" rüttelte bei seiner Veröffentlichung in China am literarischen Establishment und war ein großer Publikumserfolg. 


 Autor: Zhu Wen
Verlag: A 1 Verlag
Erschienen: 2009
ISBN: 978-3-940-66607-9
Seitenzahl: 359 Seiten


Die Idee, Stil und Sprache
Zhu Wen gehört einer neuen chinesischen Schriftstellergeneration an, die auch als die Generation der Spätgeborenen bezeichnet wird. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen nicht mehr so sehr die traumatischen Erfahrungen der "Kulturrevolution", sondern die Ereignisse im jungen China, das von Deng Xiaopings Reform- und Öffnungspolitik geprägt ist (wie sehr das der Fall ist, sei dahingestellt...).
"Wo ai meiyuan" (I love Dollars) erschien 1995 in einem bekannten Pekinger Verlag und sorgte für eine Menge Aufregung. Der Autor wurde einerseits wegen seiner Schamlosigkeit gescholten (in den Erzählungen wird nicht gerade mit Tabubrüchen gegeizt), auf der anderen Seite attestierten ihm einige Kritiker die Fähigkeit, das Lebensgefühl im neuen China perfekt einzufangen.

Im Mittelpunkt der sechs Geschichten, steht immer ein junger Mann, der auch häufig Parallelen zum Autor erkennen lässt. Der junge männliche Protagonist gerät stets in eine mehr oder minder missliche Situation, die sich immer stärker aufschaukelt. Oft werden alltägliche Kleinkriege thematisiert, die in der absoluten Absurdität gipfeln. Da gibt es zum Beispiel den jungen Fabrikarbeiter, der mit dem Fahrrad aus Versehen einen alten Mann gestreift hat. Das Opfer des Unfalls setzt nun sämtliche Hebel in Bewegung, um den jungen Mann zu erpressen. Er taucht mit Angehörigen der Unterwelt auf und ein unerbittlicher Kleinkrieg beginnt, in dessen Folge sogar ein Toter zu beklagen ist ("Schickt alle Armen ins Reich der Träume").
Die Geschichten bilden die chinesische Alltagswelt sehr genau ab. Es geht ungewöhnlich rau zu und man kann sehr schön die kulturellen Unterschiede beobachten.

Sprachlich-stilistisch ist Zhu Wen ganz groß. Er erzählt ganz alltägliche Dinge punktgenau und bringt selbst in ernste Stoffe einen unvergleichlichen Humor. Mich haben sowohl inhaltliche als auch stilistische Aspekte seines Schreibens stark an David Sedaris erinnert. Da es sich um eine Übertragung aus dem Chinesischen handelt, darf auch Frank Meinshausen, der Übersetzer, nicht unerwähnt bleiben, der Zhu Wens Geschichen kongenial ins Deutsche übertragen hat.


Figuren
Hauptfigur ist jeweils ein junger Mann, entweder Autor oder Fabrikarbeiter. Der Protagonist wird immer ein bisschen vom Strom der Ereignisse mitgenommen. Man hat das Gefühl, dass er eher passiv wirkt und selbst nicht sehr viel entscheidet. Die Impulse gehen meist von den anderen Figuren aus. Da ist zum Beispiel die dominante Freundin in "Pfunde, Unzen und ein Stück Fleisch", die alles bestimmen möchte, während der junge Mann sich sogar ein bisschen vor ihr fürchtet. Oder der alte Mann (Vater der Freundin) in "Eine Nacht im Krankenhaus", der selbst im arg angeschlagenen Zustand seinen Kopf durchsetzen möchte und einen Kleinkrieg vom Zaun bricht, auf den sich der junge Held nur zu gerne einlässt.

Die Figuren wirken sehr authentisch und spiegeln den rauen Alltag hervorragend wider. Hier gibt es keine abgeschliffenen Kanten, keine glatten oder langweiligen Charaktere. Möglicherweise ist Zhu Wen auch deswegen ein überragender Filmemacher. Er hat eine ungeheure Begabung dafür, interessante Charaktere zu erschaffen.


Aufmachung des Buches
Das Buch ist fest gebunden und mit einem Schutzumschlag versehen. Auf dem Cover ist ein junger Mann samt Reisegepäck abgebildet, der offensichtlich auf jemanden oder etwas wartet. Im Hintergrund sieht man das geschäftige Treiben in einer chinesischen Stadt. Das Cover verdeutlicht sehr gut, welche Charaktere im Mittelpunkt der Erzählungen stehen. Es illustriert darüber hinaus, wie es im neuen China zugeht.


Fazit
Wieder einmal ist mir ein wunderbares Buch aus dem kleinen aber feinen A 1 Verlag in die Finger gekommen. Wieder einmal bin ich begeistert! Die Geschichten sind alle höchst unterhaltsam und sprachlich hervorragend. Ich könnte mich gar nicht entscheiden, welche meine Lieblingsgeschichte in dem Band ist. Bleibt zu hoffen, dass das Buch möglichst viele Leser gewinnt!



Hinweise
Rezension von Sigrid Grün


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