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VAMPIRE UND DÄMONEN IN PRINCETON
JOYCE CAROL OATES ÜBERRASCHT ALS MEISTERIN DES SCHAUERROMANS

1905. Es ist das Jahr des Fluches. Die beschauliche Universitätsstadt Princeton wird in ihren Grundfesten erschüttert, als Annabel auf der Schwelle zum Altar von einer dämonischen Gestalt entführt wird. Ihr Bruder Josiah macht sich auf die Suche und entdeckt das Grauen. Vampire und andere böse Mächte treiben ihr Unwesen und reißen Princetons intellektueller Elite die Maske herunter.

 

Die Verfluchten 

Originaltitel: The Accursed
Autor: Joyce Carol Oates
Übersetzer: Silvia Morawetz
Verlag: S. Fischer
Erschienen: 23. Oktober 2014
ISBN: 978-3-100540218
Seitenzahl: 752 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Princeton (New Jersey), 1905: Alles deutet darauf hin, dass sich ein Fluch auf die kleine, beschauliche Universitätsstadt Princeton gelegt hat, von dem die angesehensten Familien heimgesucht werden. Ihren Anfang nehmen die mysteriösen, tragischen Geschehnisse mit einem unglaublichen Ereignis: Die junge Braut Annabel Slade wird während ihrer Trauung von einem dämonisch aussehenden Unbekannten aus der Kirche entführt und bleibt zunächst spurlos verschwunden. Der Teufel höchstpersönlich scheint in die Hochburg der geistigen Elite der Vereinigten Staaten gekommen zu sein. Doch während dieser erbarmungslos sein Unwesen treibt, zeigt sich allmählich das wahre Gesicht der feinen Gesellschaft Princetons. 

Wer aufgrund der recht irreführenden Zusammenfassung auf der Buchrückseite bei „Die Verfluchten“ von der amerikanischen Autorin Joyce Carol Oates mit einem unterhaltsamen Horror- und Gruselschmöker gerechnet hat, wird bald merken, dass dieses opulente Werk dem aufmerksamen Leser weit mehr zu bieten hat. Die mit gruseligen und übernatürlichen Geschehnissen angereicherte, äußerst ideenreiche und komplex angelegte Geschichte entwickelt sich zu einem fesselnden Leseabenteuer mit Tiefgang. Hierin vermittelt die Autorin ein sehr aufschlussreiches, bitterböses und zugleich amüsantes Portrait des amerikanischen Universitätsstädtchens zu Beginn des 20. Jahrhunderts und ihrer verlogenen, elitären Gesellschaft.


Stil und Sprache
Joyce Carol Oates begann bereits vor 30 Jahren mit ihrem Roman, so dass es nicht verwunderlich ist, dass mit all den sorgsam recherchierten Hintergrundinformationen ein umfangreiches und unglaublich vielschichtiges Werk entstand. Man könnte fast vermuten, dass es der Autorin ein besonderes Bedürfnis war, eine scharfzüngige Hommage an ihre langjährige Heimatstadt Princeton, an deren renommierten, traditionsreichen Universität sie als Dozentin für Literatur tätig ist, zu Papier zu bringen. 

Die Autorin ist eine exzellente und versierte Erzählerin, die es ihren Lesern allerdings mit ihrer über 700 Seiten starken Geschichte, die durch ausufernde Details und unzählige eingestreute Exkurse regelrecht überladen wirkt, nicht leicht macht.
Schon der Einstieg in den Roman mit den ausschweifenden Vorbemerkungen des (fiktiven) Verfassers aus der Ich-Perspektive, dem Historiker M. W. van Dyk, geben einen Vorgeschmack auf die von ihm im Jahre 1984 verfasste Dokumentation, die eine wissenschaftlich objektiv aufbereitete Zusammenstellung der von ihm sorgsam recherchierten, unheimlichen Ereignisse in Princeton geben soll. Seine zusammengetragenen Quellen in Form von Aufzeichnungen, Tagebüchern, Briefen etc. sind höchst fragwürdigen Ursprungs, seine ausschweifenden, abstrusen Erläuterungen und redseligen, voreingenommenen Kommentierungen, die er immer wieder in die Geschichte einstreut, hinterlassen eher den Eindruck eines von sich sehr eingenommenen und wenig zuverlässigen Berichterstatters.

Erzählt wird die Geschichte weitgehend chronologisch aus verschiedensten Perspektiven, jedoch schaltet sich der Verfasser als gewissenhafter Chronist aber auch immer wieder mit seinen kommentierenden Einschätzungen ein und gewährt dem Leser einen angeblich einzigartigen Einblick in Briefe und Tagebucheinträge von damaligen Zeitzeugen. Stückchenweise eröffnet sich dem Leser eine große Bandbreite an Geheimnissen, rätselhaften Vorgängen und bruchstückhaften Geschehnissen, die sich erst allmählich zu einem Gesamtbild verdichten, bis schließlich erst im Epilog die erstaunliche Wahrheit über die Zusammenhänge und Hintergründe ans Licht kommt. Neben den mysteriösen Ereignissen sorgen vor allem die wahrhaftigen Monster und Dämonen, die sich unter dem Deckmantel der normalen bürgerlichen Existenzen der Einwohner verbergen, für manche Überraschung aber auch für absolutes Grauen und Entsetzen. Der Autorin ist es mit spitzer Feder gelungen, ein bemerkenswertes Gesellschaftsportrait des amerikanischen Universitätsstädtchens zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu zeichnen, das den Leser zudem mit Witz, Sarkasmus und bitterbösem Humor zu unterhalten weiß.
Mit der Fülle geschickt eingeflochtener philosophischer, literarischer und religiöser Anspielungen verlangt die Autorin dem Leser einiges an Konzentration und Ausdauer beim Lesen ab, besteht doch stets die Gefahr, dass er bei der Vielzahl von versteckten Hinweisen, übernatürlichen Ereignissen und ausschweifenden Ausführungen den Überblick verliert.

Auch in sprachlicher Hinsicht stellt dieser Roman mit endlos langen Schachtelsätzen, Einschüben und kleingedruckten, teilweise halbseitigen Fußnoten als Erläuterungen eine wahre Herausforderung an den Leser dar. Sehr gelungen fängt Oates mit ihrem altertümlich anmutenden Schreibstil das unnachahmliche Flair der klassischen Gothic Novels ein und sorgt hiermit für eine besonders authentisch wirkende Atmosphäre.


Figuren
Eine Vielzahl von verschiedensten Figuren lernt man in diesem ausschweifend erzählten Werk kennen, von denen die im Mittelpunkt des Geschehens stehenden Charaktere sehr glaubhaft, lebendig und dreidimensional gezeichnet sind. Durch den gewählten Erzählstil bleiben allerdings häufiger die Gedanken und Motive der Figuren weitgehend ausgeblendet. Andere teilweise recht blass ausgearbeitete Figuren spielen lediglich eine periphere Rolle, haben einen kurzen Auftritt und tauchen in der späteren Handlung nicht mehr auf. 

Neben den vielen fiktiven Figuren begegnet man in diesem Roman auch einigen historischen Persönlichkeiten, wie beispielsweise den späteren amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson und Grover Cleveland, dem durch seinen sozialkritischen Roman „Dschungel“ bekannt gewordenen Schriftsteller Upton Sinclair oder seinem berühmten Schriftstellerkollegen Jack London. Während einige gekonnt und sehr authentisch in die raffiniert inszenierte, vielschichtige Handlung eingewoben sind, sucht man bei anderen erfolglos nach einer Relevanz für die Erzählung. So lernt der Leser etliche gegensätzliche Charaktere aus den unterschiedlichen Gesellschaftsschichten jener Zeit insbesondere aber der geistigen Elite des Universitätsstädtchens Princeton kennen, deren jeweilige Befindlichkeiten und Lebenseinstellungen die Autorin in ihrer herausragenden Milieustudie sehr authentisch und lebensnah zu schildern weiß.
Man erhält schrittweise einen unterhaltsamen und zugleich entlarvenden Einblick in die bürgerliche Borniertheit und dekadente Verderbtheit dieser Gesellschaft, in der Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Prüderie, Gewaltexzesse und Drogenkonsum den Alltag prägen.


Aufmachung des Buches
Die Aufmachung dieses optisch sehr ansprechenden und mit Lesebändchen versehenen Wälzers ist wirklich sehr gelungen. Der Schutzumschlag des in Dunkelrot gebundenen Buchs passt mit seiner Motivwahl hervorragend in die Epoche, in der die Geschichte spielt. Das Cover zeigt einen Ausschnitt aus dem Ölportrait einer jungen Frau des italienisch-französischen Impressionisten Giovanni Boldini (1842-1931), wobei deren Gesicht bewusst nicht vollständig abgebildet wurde und das Augenmerk auf den entblößten Hals gelenkt wird. 

Der Roman besteht neben Prolog und Epilog aus vier unterschiedlich umfangreichen Teilen, die ihrerseits in zahlreiche Kapitel untergliedert sind. Nach vorangestelltem Inhaltsverzeichnis beginnt der Roman mit einer Vorbemerkung des (fiktiven) Verfassers. Im Anhang findet der interessierte Leser eine kurze Nachbemerkung der Autorin, die allerdings lediglich aus einer Zusammenstellung der für den Roman verwendeten literarischen Quellen besteht. Ein großes Manko ist das Fehlen eines Personenregisters, das dem Leser einen Überblick über die Vielzahl fiktiver und historischer Personen hätte geben können.
Im Vor- und Nachsatz ist eine liebevoll illustrierte Übersichtskarte der Gemeinde Princeton von 1905-1906 abgedruckt, die im Stil eines historischer Stichs gehalten ist und die Lage der im Roman erwähnten Wohnsitze und Gebäude zeigt.


Fazit
„Die Verfluchten“ ist ein äußerst vielschichtiger, ideenreicher und hochkomplexer historischer Roman, der weniger ein fesselnder Schauerroman als vielmehr ein gelungenes, unterhaltsames Gesellschaftsportrait des amerikanischen Städtchens Princeton Anfang des 20. Jahrhunderts darstellt.

Wegen seines ausschweifenden Erzählstils, verschachtelten Satzbaus und zahlloser, für die Handlung unnötiger Details verlangt er dem Leser einiges an Disziplin und Durchhaltevermögen ab. Dennoch ein fesselndes Leseabenteuer mit Tiefgang und eine empfehlenswerte, lohnende Lektüre!


4 Sterne


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