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Heike Maria Johenning


Zu Beginn dieses Jahres erschien der dritte Reiseführer von Heike Maria Johnning im Reise Know-How Verlag, diesmal zur vielseitigen kanadischen Stadt Montréal
. Für die Leser-Welt hat Frau Johenning dazu ein paar Fragen beantwortet und uns erzählt, wie sie eigentlich dazu kam, Reiseführer zu schreiben, warum eine gewisse Grundfitness für ihren Beruf unerlässlich ist und vieles mehr.


Liebe Frau Johenning, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen! Unsere Leser kennen Sie bisher nur durch Ihren Reiseführer „Citytrip Montréal", aber wie man Ihrer Homepage entnehmen kann, sind Sie ja noch in viel mehr Projekten und Themen aktiv. Können Sie deswegen bitte sich und Ihre Arbeit kurz vorstellen?

Ich bin eigentlich ausgebildete Übersetzerin für die Sprachen Russisch und Französisch. Nachdem ich jahrelang für den Architekturbuchverlag DOM publishers Fachbücher aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt hatte, fand ich Gefallen an Kunstgeschichte und Architektur. Zwischendurch hatte ich immer mal wieder in Moskau und Montréal als freie Übersetzerin gearbeitet und war viel auf Reisen.


Wie sind Sie generell dazu gekommen Reiseführer zu schreiben und wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Reise Know-How Verlag?

Als ich den Reise Know-How Verlag im Jahr 2005 fragte, ob er nicht einen Stadtführer Moskau auf den Markt bringen wollte, war der Verleger Peter Rump begeistert und engagierte mich vom Fleck weg. Vermutlich gab es gar nicht so viele Konkurrenten. [lacht] Und so begab ich mich auf gänzlich unbekanntes Terrain. Es hat dann zwei Jahre gedauert bis ich die erste Auflage fertig hatte. Ich stellte schon bald fest, wie viel Freude mir die Arbeit machte. Einerseits muss man das große ganze im Blick haben und andererseits mit dem Zoom ganz nah an Orte und Geschichten heranfahren können. Das ist sehr spannend.


Für welche Teile des Reiseführers sind sie als Autorin verantwortlich? Nur die bloßen Texte oder auch die zusätzlichen Fakten, wie die Eintrittspreise und Fahrtwege sowie die Bilder?

Wir sind vertraglich verpflichtet, alle Texte, Fakten, Infokästen, Preise etc. selbst zu recherchieren und zu schreiben sowie 80 Fotos zur Verfügung zu stellen. Mein Lektor bevorzugt (wie die meisten Leser vermutlich auch) Sommerbilder ... Das muss ich bei den Recherchereisen berücksichtigen. Und dabei bin ich ja auch gern im Winter unterwegs!


Die Reiseführer des Reise Know-How Verlags sind alle ähnlich aufgebaut. Wie viele Freiheiten haben Sie da als Autorin noch und welche Einschränkungen und Vorgaben macht der Verlag?

Wir können selbst gewichten. Handelt es sich um eine Stadt wie Montréal, in der es 5000 Restaurants gibt, sagt das eine Menge über den Spirit und die Gewohnheiten der Bewohner aus. Dann schreibe ich ein umfangreiches Kapitel mit vielen Restaurant- und Speisetipps. Handelt es sich um eine Stadt mit 110 Museen, wie etwa Moskau, ist das Museumskapitel sehr umfangreich. Auch bei den Exkursen haben wir freie Hand. Sie sollten möglichst viele verschiedene Aspekte der Stadt und die Eigentümlichkeiten beleuchten. Und mit den Extratipps lotse ich die Reisenden auf meine ganz persönlichen Lieblingspfade ...


Wenn man hört, dass jemand Reiseführer schreibt, stellt man sich gerne mal vor, dass die betreffende Person wochenlang durch die Welt reist und nach einem erkundungsreichen Tag dann noch ein paar Seiten schreibt. Ganz so einfach ist es aber wahrscheinlich nicht. Wie genau sieht die Vorgehensweise beim Erstellen eines neuen Reiseführers aus?

Ich fahre gut präpariert los und steuere jedes Reiseziel gesondert an, damit ich mich voll auf den betreffenden Ort konzentrieren kann. Ich habe dann meist vor Ort nur zwei bis vier Wochen Zeit. An den Tagen laufe ich manchmal bis zu 12 Kilometer und muss daher immer eine Grundfitness haben. Reisebücher zu schreiben ist weniger romantisch als man sich das vorstellt. Abends bin ich oft ziemlich k.o., schreibe aber meine Eindrücke auf und lese und lese. Dann fliege ich zurück und sondiere das Material. Meine Städte kenne ich alle schon sehr lange und so gut, dass ich die Straßen im Kopf habe.


In welcher Form und wie lange recherchieren Sie für einen neuen Reiseführer? Waren Sie dafür auch längere Zeit vor Ort oder haben Sie viel aus dem Gedächtnis gearbeitet?

Ich arbeite von Berlin aus. Hier bereite ich mich auf die jeweilige Recherchereise vor, indem ich zuerst das Kartenmaterial im Copyshop vergrößern lasse und von jedem Stadtteil eine Großkarte anfertige. Dann beginne ich mit einer umfangreichen Internetrecherche. Auf einschlägigen englischen, russischen, deutschen oder französischen Websites suche ich aktuelle Tipps, Restaurants, Museen etc. der jeweiligen Stadt und trage all das, was mir interessant erscheint, in die Karten ein. Auf meinen Wegen finde ich auch viele neue Lokalitäten, die ich dann teste. Auch meine Freunde vor Ort zeigen mir neue Ecken und Hotspots. Wenn ich einen neuen Reiseführer schreibe, lese ich erst mal so viel wie möglich über die Geschichte und die Mentalität der Menschen. "Man sieht nur was man weiß" ist mein Wahlspruch.


Wissen Sie von Beginn an, welche Sehenswürdigkeiten und Tipps Sie einbeziehen wollen oder entwickelt sich das eher spontan? Und wie entscheiden Sie bei einer so vielfältigen Stadt wie Montréal, was Sie aufnehmen und was Sie weglassen?

Das ist ganz unterschiedlich. Einige Sehenswürdigkeiten sind natürlich Pflicht, aber vieles entwickelt sich während des Aufenthaltes vor Ort. Manch eine Faszination verfliegt später am Schreibtisch. Reiseführer zu schreiben ist eine sehr subjektive Angelegenheit. Daher sind Offenheit, Humor und Selbstironie wichtig. Und die Leserbriefe sind sehr hilfreich.


Die anderen Reiseführer, die Sie bisher veröffentlich haben, sind Moskau und Kiew. Wie sind Sie da für den dritten auf Montréal gekommen, eine Stadt, die ja nicht nur geografisch weit entfernt ist?

Montréal kannte ich seit vielen Jahren und es war ein Traum von mir, mich mit dieser wunderbaren Stadt einmal exzessiv beschäftigen zu können. Ich finde es spannend, weniger bekannte Städte einem breiteren Publikum zu erschließen, quasi mit einer Fackel durchs Dunkel zu marschieren. Außerdem fehlte mir das Französische nach all den Jahren.


Neben Ihren Reiseführern haben Sie auch Architekturführer veröffentlicht. Wie unterschieden sich diese Projekte von Ihren Reiseführern? Ist die Herangehensweise und vor allem Recherchearbeit ähnlich?

Die Herangehensweise ist natürlich eine andere, auch wenn jedes Projekt mit der Erstellung des Kartenmaterials beginnt. Für die Architekturführer brauche ich mehr Fachliteratur in der Originalsprache. Die Suche nach diesem Spezialmaterial ist oftmals sehr aufwendig. Dafür entfällt der aktuelle Bezug zu der Stadt und damit viel Vorortrecherche. Für die Architekturführer mache ich allerdings auch die Fotos selbst und bin dann auch wieder viel zu Fuß unterwegs. In Sankt Petersburg war das Fotografieren recht kompliziert, da die Gebäude manchmal über einen ganzen Straßenzug gehen. Da muss ich dann auch schon mal auf einen Mülleimer steigen, und der fällt dann plötzlich um.


Seit 1996 arbeiten Sie freiberuflich, was sicherlich ein wenig Überwindung gekostet hat. Wie sah Ihre Vorbereitung für diesen Schritt aus und welche Beweggründe hatten Sie? Und wie können wir uns Ihren Tagesablauf als freiberufliche Autorin und Dolmetscherin vorstellen?

Anfangs habe ich Übersetzer an einer Sprachenschule in Hamburg ausgebildet. Nebenbei habe ich viel Akquise betrieben, um an Übersetzungen zu kommen. Ich wollte immer selbstständig sein und war dafür bereit, mich in die unterschiedlichsten Fachbereiche einzuarbeiten. Das hilft mir heute. Das schöne ist, dass meine Projekte so umfangreich sind, dass ich mich viele Monate tagtäglich mit ein- und demselben Thema beschäftigen kann. Und doch sieht jeder Tag anders aus. Manchmal schaffe ich "nur" fünf Objektbeschreibungen am Tag, manchmal suche ich eine Woche lang alle von mir beschriebenen Gebäude bei Google Earth, damit wir QR-Codes für das Buch erstellen können. Manchmal verbringe ich den ganzen Tag und zusätzlich so manche Nacht damit, zu lesen. Ein Traum.


Nächstes Jahr werden zwei Architekturführer von Ihnen erscheinen, Tiflis und Kiew, beide bei DOM publishers. Können Sie uns hinausgehend schon einen kleinen Einblick in Ihre zukünftigen Projekte geben? Wird es auch weitere Reiseführer von Ihnen geben?

Das Tiflis-Projekt verschiebt sich noch um ein Jahr. Dafür kann ich mich jetzt erst mal der Architektur einer geradezu märchenhaften, über 1200 Jahre alten orientalischen Metropole widmen, die immerhin 150 Jahre zu Russland gehörte, und zwar Baku. Wenn sich daraus dann eines Tages auch ein Citytrip Baku entwickeln könnte, wäre das wunderbar. Da ich aber die Reiseführer alle zwei Jahre aktualisieren und immer am Ball bleiben muss, kann ich leider nur eine begrenzte Anzahl von Titeln schreiben.

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