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Je mehr Leipzig boomt und zur neuen Hipster-Metropole wird, desto seltener und wertvoller werden die „Geisterstätten“ der Stadt: Orte, die einst von Bedeutung waren, heute aber nur noch von ihrer Vergangenheit erzählen. Wo früher Menschen wohnten, arbeiteten oder sich kurieren ließen, herrschen heute Ruhe und Verfall.

Vierzehn solcher vergessenen Orte in Leipzig und Umgebung werden hier vorgestellt, darunter der morbide Bahnhof in Leipzig-Leutzsch, die märchenhafte, vom Wind durchwehte Heilanstalt Dösen und das einst so mondäne Messehaus für Buchgewerbe und Graphik.

Das Buch fängt in stimmungsvollen Bildern den Zauber dieser geheimnisvollen Orte ein. Es ist ein außergewöhnlicher Begleiter durch ein Leipzig fernab des Großstadttrubels: vergessen, verlassen, still und oft genug voll schaurigem Charme.

 

Geisterstaetten Leipzig 

Autor: Arno Specht; Uwe Schimunek
Verlag: Jaron
Erschienen: 28.02.2014
ISBN: 978-3897739284
Seitenzahl: 96 Seiten

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Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Die schnelllebige Gegenwart hat es sich zum Motto gemacht, das Stadtbild möglichst modern zu gestalten und graue, triste Fassaden mit Wärmedämmungen und knalligen Farben aufzuwerten. Als Gegentrend hat sich dazu eine stetig wachsende Menge von Menschen geformt, die alte Werte schätzen wollen, um zwischen einstürzenden Dächern und ausgebrannten Lagerräumen nach dem Besonderen der Vergangenheit zu suchen – die Urban Explorer, sogenannte Stadterkunder. Die sächsische Stadt verbinde ich im Vergleich zu beispielsweise Berlins weitreichender Geschichte zwar nicht unbedingt mit einem Mekka für „Lost Places“, aber schon beim ersten Durchblättern zeigt sich, dass Leipzig ein Standort vieler wichtiger Industriezweige war, was sich nicht nur während der beiden Weltkriege, sondern auch zu DDR-Zeiten fortsetzte – mit Ruhm und zahlreichen Arbeitsplätzen.

Folgende sechs Orte möchte ich beispielhaft für die insgesamt 14 besprochenen nennen, da sie einen guten Einblick in die Vielfalt von dem verfallenen Leipzig geben:

  • Drahtseilfabrik Bleichert in Gohlis
  • Heilanstalt Dösen
  • Gästehaus des DDR-Ministerrats
  • Sternburg Brauerei
  • Wasserwerk in Espenhain
  • Postbahnhof

Im persönlichen Vorwort von Arno Specht beschreibt er seine Motivation für das insgesamt dritte Werk aus der „Geisterstätten“-Reihe, wobei er sich selbst als Spurensucher und Konservator der Verwitterung versteht, da jedes Bauwerk nach kürzester Zeit sein Erscheinungsbild ändert – durch menschlichen oder natürlichen Einfluss. Er macht außerdem deutlich, dass Leser dieses Buch keinesfalls als Reiseführer verstehen dürfen! Viele stillgelegte Fabriken oder marode Häuser können nämlich für interessierte Photographen oder neugierige „Urbaxer“ wegen Verletzungs- und Einsturzgefahr riskant werden oder ein Besuch wegen Hausfriedensbruch schlichtweg illegal sein. Wer sich dennoch nicht zügeln kann, muss den Weg zu den Ruinen selber herausfinden, weil der Autor diese verschweigt, was ich ihm aber in Bezug auf die Zerstörungswut einiger (weniger) Besucher positiv anrechne.

Beim Stil des Autors merkt man recht schnell, dass er die Geschichte des jeweiligen Schauplatzes zu würdigen weiß, sowie fast ehrfürchtig diese verlorenen Welten, wo einst Trubel herrschte und Schweiß floss, besucht, indem er zum Beispiel begeistert den Geruch von Getreide in der Heeresbäckerei erschnuppert, der sich mittlerweile allerdings mit Staub vermischt. Der Bestseller-Autor bleibt in seinen Beschreibungen der Funde authentisch, sympathisch und nicht bierernst, weil er nicht wie ein nüchterner Wissenschaftler oder Archäologe die Kolosse dokumentiert, sondern uns via Buchform fast real vor Augen führt. Abgerundet wird der aktuelle Zustand der gruseligen Heilanstalt & Co. mit Anekdoten aus der jeweiligen Gründungszeit, welche hundert Jahre und länger zurückliegen und abschließend mit möglichen Zukunftsperspektiven versehen, wenn sich schon Investoren für neue Projekte in den Denkmalgeschützen Gemäuern gefunden haben.

Nicht nur für Sachsen ist dieses Buch eine kleine Zeitmaschine, sondern auch für jeden Deutschen eine Lektüre wert, schließlich kann man sich nur schlecht dem Charme der Ruinen entziehen, wo einst wacker geschuftet wurde und heute nur noch Stille herrscht. Ich hoffe, dass Arno Specht noch viele andere Städte mit seinem Blick für das Vergessene erkundet und weitere Bände veröffentlicht, denn auch wenn wir Leser seine Touren vielleicht nicht selbst nachahmen können oder wollen, ist „Geisterstätten“ doch eine tolle Gelegenheit, um hinter die verschmutzte Fassade der Orte, fernab der pulsierenden Partyhochburgen in der City, zu schauen.


Aufmachung des Buches
Das Cover des Taschenbuchs mit dem verlassenen Bugra-Messehaus stimmt schon hervorragend auf den Inhalt ein, auch wenn es für mich persönlich nicht das eindrucksvollste Bild aus dem Fundus ist. Das ziemlich hohe Format bei gleichzeitig relativ dünner Papierdicke des Covers wirkt leider nicht so hochwertig wie es das Buch verdient hätte. Bei der Gestaltung wurde dagegen viel Wert auf Bilder mit dem gewissen „Wow-Effekt“ gelegt, die natürlich noch um einiges anschaulicher sind, als lediglich die beschriebenen Eindrücke der Entdecker. Jedem Gebäude bzw. Gebäudekomplex wurden mindestens sechs Seiten (inklusive doppelseitiger Großaufnahme in Farbe) zugestanden und geben somit einen guten Einblick.


Fazit
Arno Specht und Uwe Schimunek zeigen vielleicht nicht die schönsten Plätze von Leipzig, aber in jedem Falle die faszinierendsten, welche zu eigenen Expeditionen in die vergessenen Orte verführen und somit die Vergangenheit lebendig erhalten – selbst wenn der Rost oder die Abrissbirnen die stummen Zeugen unwiederbringlich auffressen.

5 Sterne


Hinweise
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