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Da waren’s nur noch sechs …

Sieben Waisenkinder. Sieben Schicksale. Und ein Geheimnis, das Dänemark erschüttern wird: Jahrzehnte nach ihrer Adoption erhalten sechs der sieben Waisen einen anonymen Brief, der sie noch einmal in das Kinderheim Kongslund führt. Doch wer von ihnen ist das siebte Kind – und was hat es vor?

 

Das siebte Kind 

Originaltitel: Det syvende barn
Autor: Erik Valeur
Übersetzer: Günter Frauenlob und Maike Dörries
Verlag: blanvalet
Erschienen: 03/2014
ISBN: 978-3764505042
Seitenzahl: 800 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Es ist nicht so leicht zu durchschauen, was genau hinter diesem Roman steckt. Er beginnt zwar mit einem ungeklärten Todesfall, aber eigentlich geht es nicht in erster Linie um dessen Aufklärung. Vielmehr steht ein Gebäude im Mittelpunkt, nämlich das Kinderheim Kongslund gemeinsam mit seiner langjährigen Leiterin Magna. Seit den 60er Jahren werden dort Kinder zur Adoption vermittelt, ihnen wird eine neue Identität, ein neues Leben verschafft. Doch eines der Kinder von damals bewahrt ein Geheimnis, dessen Enthüllung allerhöchste Kreise von Dänemarks Gesellschaft ruinieren könnte. So reagieren diverse Regierungsmitglieder, Prominente und andere „Stützen der Gesellschaft“ alarmiert, als ein anonymer Brief bei einigen von ihnen eingeht. Verschiedene mehr oder weniger offizielle Institutionen machen sich daran, je nach Motivation entweder herauszufinden, wer die sieben Kinder auf dem beigefügten Foto sind oder eben im Gegenteil deren Identität zu verschleiern …

Was sich zunächst wie eine Art Krimi liest, entpuppt sich schnell als viel mehr: als eine fulminant erzählte Geschichte aus der Vergangenheit, deren Konsequenzen bis in die Gegenwart reichen, als Charakterstudie etlicher so oder so beschädigter Menschen, als historischer Exkurs in einen spannenden Teil der dänischen Geschichte. Faszinierend zu lesen ist dieses Werk trotz einiger Längen in jedem Fall.


Stil und Sprache
Erik Valeur konstruiert seine Geschichte aus gefühlt mindestens zwölf Perspektiven und etlichen Zeitebenen. Nicht immer weiß man genau, mit wem man gerade wo und in welchem Jahr ist. Das erfordert volle Aufmerksamkeit und genau deshalb muss man diesem Buch Ruhe und Zeit widmen. Die 800 Seiten sind kein Pappenstiel und verdienen mehr als ein Lesehäppchen zwischendurch. Wenn es einen als Leser aber einmal gepackt hat, dann ist man sowieso kaum in der Lage, das Buch zwischendurch wegzulegen.

Bis es so weit ist, dauert es allerdings seine Zeit, denn auch der Text selbst macht es seinen Lesern nicht leicht. Zunächst sind da unheimlich viele Namen, Spitznamen, Namensänderungen und Rufnamen, die Verwirrung stiften. Bis man halbwegs sortiert hat, wer wer ist, sind die ersten 200 Seiten schon fast vorbei. Dann kommt noch hinzu, dass eben diese unzähligen Personen immer wieder in Erinnerungen abgleiten oder Episoden aus der Vergangenheit Einzelner erzählt werden. Das passiert teilweise ansatzlos und man muss gehörig aufpassen, um alles mitzubekommen.

Hat man aber das erst einmal hinter sich gebracht, fällt es leicht, sich in der Geschichte zu verlieren, die mit unzähligen Details zu wirklich allen Beteiligten daherkommt, die in Erinnerungen schwelgt und so eine ganz besondere Atmosphäre heraufbeschwört. Dazu trägt Erik Valeurs vielfältige, variantenreiche und von bildhaften Beschreibungen durchsetzte Sprache ebenso bei wie die Fülle der dargestellten Personen. Nur ganz gelegentlich hat man das Gefühl, die eine oder andere Passage weniger hätte es auch getan, um sich nach Überfliegen derselben dann wieder dem nächsten spannenden Abschnitt zu widmen.

Obwohl Das siebte Kind kein Krimi im eigentlichen Sinne ist, ertappt man sich während des Lesens doch immer wieder dabei, selbst zu spekulieren, wer denn wohl dieses siebte Kind sein könnte und wie die verworrenen Fäden der Handlung aufgelöst werden. Das passiert natürlich irgendwann auch, aber ganz am Ende gibt es dann doch noch einen kleinen Kniff, der diese tolle Geschichte abrundet.


Figuren
Ich könnte hier stundenlang über die vielfältigen Charaktere schreiben, das würde jedoch eindeutig den Rahmen sprengen, daher beschränke ich mich auf die wichtigsten:

Inger Marie Ladegaard, Pflegetochter der damaligen Heimleiterin, mit leichten Verkrüppelungen geboren und immer noch auf Kongslund lebend. Sie führt ein zurückgezogenes Leben, spricht nur selten mit anderen Menschen und verbringt große Teile des Tages mit sich und ihren Gedanken. Sie weiß viel mehr über das Heim und die anderen Kinder als jeder andere. Ihre Welt wird sehr sensibel dargestellt, mit allen Facetten und Ängsten aus der Kindheit, die sie teils heute noch begleiten. Ihre Pflegemutter ist zwar pensioniert, hat aber das Zepter beileibe noch nicht abgegeben.

Magna Ladegaard, ehemalige Leiterin des Kinderheims Kongslund. Sie tritt nur einige Male selbst in Erscheinung, ist aber dennoch die ganze Zeit über präsent, sei es durch ihre Aufzeichnungen, sei es durch Erinnerungen anderer Personen an sie. Sie ist nicht wirklich zu durchschauen und wohl die Figur, die am knappsten beschrieben wird. Ihre Motive bleiben ein Stück weit offen und auch ganz am Ende nicht vollständig erklärbar.

Orla Berntsen, Chef der Stabsverwaltung im Nationalministerium. Er lebte einige Jahre in Kongslund und ist der erste, der einen anonymen Brief bekommt. Er hat viel zu verlieren und ist hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, mehr über seine Vergangenheit herauszufinden und der Angst vor einem Skandal, der seine Karriere beenden könnte. Er ist wohl eine der zerissensten Persönlichkeiten dieser Geschichte und ebenso sensibel dargestellt wie alle anderen.

Und derer gibt es viele, sie alle haben gemeinsam, dass der Autor sie nicht nur beschrieben, sondern ihnen gewissermaßen ein Leben gegeben hat; selbst kleinere Randfiguren haben eine vollständige Geschichte und wirken unglaublich wahrhaftig und klar. Ganz deutlich wird auch aus Das siebte Kind, welche lebenslange Last viele adoptierte Kinder mit sich herumtragen, wie sehr das Wissen oder auch Nichtwissen über ihre Herkunft ihr ganzes Leben prägt. Hier hat sich Erik Valeur sehr tief in die Psyche seiner Handlungsträger hineingedacht, einfach faszinierend!


Aufmachung des Buches
Das gebundene Buch zeigt auf dem Schutzumschlag eine Gruppe von Störchen, sieben um genau zu sein, vor einer kargen Landschaft. Das Foto selbst wirkt vergilbt und altertümlich und passt so sehr gut zum Inhalt des Buches, der sich in großen Anteilen mit alten Dokumenten und Fotos auseinandersetzt. Innen gibt es 40 unterschiedlich lange Kapitel, die in insgesamt vier Teilen die Geschichte erzählen und jeweils mit einer Überschrift versehen sind. Ein Lesebändchen komplettiert die hochwertige Aufmachung.


Fazit
Das siebte Kind ist in zweierlei Hinsicht ein Buch, auf das man sich einlassen muss. Auf den puren Umfang und auf die oft verstörende, tiefgehende, manchmal anrührende und doch nie mit dem Mitleid des Lesers spielende Geschichte. So ein Buch liest man nicht mal eben zwischendurch. Bitte genießen!


4 5 Sterne


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