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Dieses Buch ist keine Anklageschrift und nicht das Plädoyer eines Verteidigers. Es ist auch kein Urteil, weder in juristischer noch in moralischer Hinsicht. Es soll ein Protokoll sein, eine Chronik der Ereignisse vom Juni 1967, als der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde, bis zum „Deutschen Herbst“ 1977, der Entführung und späteren Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, der Entführung und Befreiung der Passagiere und Besatzungsmitglieder der Lufthansa-Maschine „Landshut“ und den Selbstmorden im Hochsicherheitstrakt von Stammheim.
Die vielen neuen Fakten, die in den letzten Jahren – auch dank Stefan Austs eigenen Recherchen – ans Tageslicht gekommen sind, haben die vollständige Überarbeitung dieses Standardwerks ermöglicht. Detaillierter und brisanter denn je: die revidierte dritte Ausgabe seit dem Erscheinen 1985, erweitert um 150 Fotos und mit über 100 Seiten zusätzlichen Text.

 

  Autor: Stefan Aust
Verlag: Hoffmann und Campe
Erschienen: 09/2008
ISBN: 978-3-455-50029-5
Seitenzahl: 878 Seiten 


Stil und Sprache
Man merkt Stefan Aust an, dass er als Journalist nicht nur zu berichten, sondern auch zu Schreiben gewohnt ist. Seine Sprachgestaltung in diesem Buch ist im Gegensatz zu vielen nüchtern verfassten Geschichts- und Dokumentarbüchern lebhaft, tatsächlich sogar dynamisch. Er verzichtet, wann immer vermeidbar, auf Fremdworte oder anspruchsvolles Juristendeutsch; tauchen diese Passagen dann doch auf, erklärt er sie meist sofort. Damit steht seine Verständlichkeit im krassen Gegensatz zu Dokumenten, Niederschriften und Aussagen, die er insbesondere von Ulrike Meinhof und Gudrun Esslin zitiert. Diese sind komplex, kompliziert und anspruchsvoll, gespickt mit Fremdworten und Fachgegriffen.

Nicht nur durch die Inhalte des Buches, sondern insbesondere sein besonderer Stil zu Schreiben führen dazu, dass sich das Buch über große Teile so spannend liest wie ein Thriller. Und auch manche Eigenarten von Romanen nutzt Aust hier, um die Spannung tatsächlich auf einem – für ein Buch diesen Genres - hohem Niveau zu halten. So nutzt er hin und wieder am Ende eines Kapitels sogenannte Cliffhanger - also Stellen, an denen er das Kapitel an einer dramatischen Stelle enden lässt - oder auch kurze Vorwegnahmen, die den Leser auf das Kommende einstimmen, achtet jedoch sorgfältig darauf, diese Effekte nicht abzunutzen. Auch eine überwiegend eher kurze Gestaltung der Abschnitte trägt zu einem recht hohen Lesetempo des Buches bei.

Interessant auch seine Art, längere Aussagen zu zitieren: so nutzt er hier einen regelmäßigen, satzweisen Wechsel zwischen direkter und indirekter Rede. Hierdurch ergibt sich insgesamt eine sehr angenehme Lesbarkeit des Buches.

Besonders positiv fiel mir auf, dass er im Verlauf des gesamten Buches eine enorme Neutralität an den Tag legt und weder zu einseitig über die RAF bzw. den ihr gegenüberstehenden Staatsapparat berichtet, noch sich auf eine der beiden Seiten schlägt.


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Für die im September 2008 veröffentlichte Fassung „Der Baader Meinhof Komplex“ überarbeitete Stefan Aust sein Standardwerk über die RAF, welches zuerst 1985 erschienen ist, zum zweiten Mal umfassend. Herausgekommen ist ein Dokumentarbuch, das als Ergebnis einer hervorragenden, aber mühevollen und fast dreißig Jahre andauernden Recherche durch eine sehr engstufige und oft lückenlose Berichterstattung über die Ereignisse ab 1967 bis zum Ende der RAF, 1998, begeistert. Der Autor stützt sich hierfür auf Berichte von Gruppenmitgliedern und Überlebenden, Freunden, Bekannten und Verwandten der Opfer und der Täter, sowie auf mündliche und schriftliche Berichte von Zeugen, Ortspolizei, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Bundes- und Landeskriminalämter sowie das Ministerium für Staatssicherheit.
Auf diese Weise zeichnet er ein beeindruckendes Bild der Ereignisse, durch die sich nach und nach die Kriminalisierung von Baader, Meinhof und anderen ergeben, zur Gründung der RAF geführt und letztlich im „Deutschen Herbst“ gegipfelt hat. Stefan Aust beschönigt hier weder das Verhalten der Gruppe, berichtet - ohne Wertungen einzubringen - über Planungen und Aktionen der Baader-Meinhof-Gruppe. Noch verharmlost er die Handlungen und Reaktionen eines Staates, der sich als Rechtsstaat bezeichnet, sich aber sowohl von der juristischen als auch der organisatorischen Seite nicht mit Ruhm bekleckert hat und dessen Verhaltensweisen auch sogar erst zu manchen dieser Entwicklungen geführt haben.
Sogar sich selbst bringt er in dieses Buch mit ein. So ist im siebten Abschnitt von Kapitel zwei erstmals die Rede von ihm und seiner Rolle als Journalist für das Fernsehmagazin „Panorama“. Aust kannte Ulrike Meinhof noch aus den Zeiten, als sie journalistisch für die Zeitung „Konkret“ gearbeitet hat. Der Autor holte nach Meinhofs Entscheidung, in die Illegalität zu gehen, ihre Kinder aus Sizilien ab und übergab sie dem Vater (Röhl). Hierfür wurde er vorübergehend von Baader und Co. gejagt.

Die Verhandlung des Strafsenats gegen Baader, Meinhof, Raspe und Esslin stellt der Autor dar, indem er exemplarisch die Verhandlungstage mit den wesentlichen bzw. wichtigsten und interessantesten Inhalten herausgreift und tageweise in einzelnen Kapiteln gliedert. Auch bei der Auswahl der herausgegriffenen Verhandlungstage, über die er berichtet, wahrt Aust eine große Neutralität und verzichtet auf Einseitigkeit.
Diese Art der Gliederung setzt Aust fort, als er über die Besetzung der deutschen Botschaft oder die Schleyer- und die Flugzeugentführung berichtet. In einzelnen Absätzen stellt er die parallel ablaufenden Geschehnisse, sowohl der Baader-Meinhof-Gruppe bzw. der RAF, als auch der Polizei bzw. der Politik dar. Während den Entführungsberichterstattungen fügt er zudem fast „täglich“ die Meldungen der Justizvollzugsbeamten von Stammheim mit ein, aus denen sich entnehmen lässt, wie sich die gefangenen Terroristen verhalten haben.

„Der Baader Meinhof Komplex“ endet in einer Übersicht von Mythen und Tatsachen, die der linken Szene den Eindruck vermittelte und den Antrieb gab, ihre Idole seien in Stammheim vielleicht wirklich ermordet worden: Aust führt schonungslos Ermittlungspannen, bewusst fabrizierte Falschmeldungen und Ermittlungslücken und dutzendfache Ungereimtheiten auf, ergänzt durch bis heute verhängte Geheimhaltungsstufen und Nichtveröffentlichungen von Akten, Dokumenten, Untersuchungsergebnissen und teilweise auch offenkundigen, aber höchst unbequemen Wahrheiten.


Aufmachung des Buches
Mir liegt „Der Baader Meinhof Komplex“ als gebundenes Buch vor. Außer einem Vorwort ist das Werk in drei Kapitel mit entsprechend engstufigen Abschnitten untergliedert.

Neben den Texten, die mit einer relativ kleinen, aber noch gut lesbaren Schrift abgedruckt sind, wurde dieser Band durch ungefähr 150 schwarzweiße Fotos und eine detaillierte Skizze über den Hochsicherheitsblock im Gefängnis Stammheim ergänzt.


Fazit
Über den wohl dramatischsten Teil deutscher Nachkriegsgeschichte wird in einem Buch berichtet, das umfassend formuliert und in seiner dritten Auflage inhaltlich ausgereift ist, sich aber über große Abschnitte so flüssig und spannend liest wie ein Thriller – und genau darüber wird hier eigentlich dokumentiert, ein Thriller, nur das er nicht auf Fiktion, sondern auf Tatsachen beruht. So ist Stefan Austs Werk ein Muss für jeden, der sich über die Ereignisse um die RAF informieren will. Aber auch Geschichts-Muffeln sei dieses Buch empfohlen, denn es ist nicht nur sehr informativ und lehrreich, sondern schlichtweg ein besonderes Lesevergnügen.


5 Sterne


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