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Ich fühle mich als Teil von etwas Größerem. Als hätte sich eine Tür geöffnet und frischen Wind in mein verstaubtes Leben gebracht. Neben mir, hinter mir, vor mir warten Leute, die für eine Idee kämpften.

 

Braune Erde  Autor: Daniel Höra
Verlag: bloomsbury crossover
Erschienen: 09/2012
ISBN: 978-3-8333-5099-3
Seitenzahl: 300 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Benjamin (kurz: Ben) wohnt in dem vergessenen Dorf Bütenow in Mecklenburg-Vorpommern. Wer kann, verlässt dieses Kaff, so dass inzwischen nur noch die Hälfte aller Häuser bewohnt ist. In diese Einöde zieht eine Familie, die sich für das Wiedererstarken der Dorfgemeinschaft einsetzt, sich um die Erkrankten kümmert und Feste ausrichtet. Die Zwillinge Konrad und Gunter nehmen Ben zu Schießübungen beim nahegelegenen, verlassenen Militärgelände mit und Ben wird ein Mitglied dieses Zirkels. Doch deren Gedankengut ist nicht ungefährlich …

Die rechte Szene in Deutschland ist in den letzten Monaten wieder einmal stark in das öffentliche Interesse geraten und zu diesem topaktuellen Thema passt Daniel Höras Jugendbuch sehr gut. Der Autor hat diese Szene mit ihrer kompromisslosen Einstellungen zu Kameradschaft und Gemeinschaft, ihren politischen Zielen und der sowohl indirekten, als auch offenen Gewalt gegen Andersdenkende beschrieben und mit einer spannend inszenierten Handlung verbunden. Die Symbole, Haltungen und Ideologien der Neonazis wirken gut recherchiert und machen dem Leser die Brisanz dieser Bewegung, aber auch ihre mal plumpen, mal ausgeklügelten Methoden zur Verbreitung der Gesinnung und zur Beeinflussung deutlich. Die Zielgruppe ist eine jugendliche Leserschaft, die für die Einflüsterungen der rechten Szene besonders anfällig sein mag, aber auch erwachsenen Lesern bietet der Roman eine gute Grundlage, sich mit dem Problem des Neofaschismus auseinander zu setzen.


Stil und Sprache
Daniel Höra beginnt sein Buch mit einer kurzen Vorschau in die scheinbar ausweglose Situation von Ben – ein Stil, den man aktuell häufiger antrifft, der sich aber gut eignet, den Leser sofort an die Geschichte zu binden, will man doch erfahren, wie diese Lage entstanden ist. Danach wandert Höra in die Vergangenheit und beginnt ganz am Anfang. Doch im Gegensatz zu diesem weit verbreiteten Stil anderer Autoren wiederholt sich dieses Muster zu Beginn eines jeden Kapitels, was schon früh neugierig macht und Spannung erzeugt: erst eine kurze Szene aus der Gegenwart, bevor man sich wieder den vergangenen Ereignissen widmet.

Der Autor zeichnet das Bild eines völlig abgelegenen, kleinen und in sich verschlossenen Dorfes in einer besiedelungsschwachen Region Deutschlands – auf Seite 16 heißt es dazu gut getroffen: „Hier kann nicht einfach jeder herkommen und leben, wie es ihm gefällt“. Und genau in dieses Nest, in dem auch Ben bei Tante und Onkel lebt, zieht nun eine Gruppe aus drei Erwachsenen und drei Jugendlichen. Die Neuen sind auf ihre Art zunächst etwas blass, fallen vorerst nur durch ihren Ernst, ihre Disziplin und einige ungewohnte, teils altmodische Einstellungen auf. Erst nach und nach erhalten sie mehr Substanz. Besonders Konrad, einer der Zwillinge, hinterlässt schon früh einen gedrillten und wilden, mitleidlosen Eindruck, und seine „Freizeitspiele“ wie „Partisanenjagd“ führt er mit erschreckender Entschlossenheit aus. Gleichzeitig besitzen vor allem Reinhold und Uta eine fast magisch erscheinende Art,  so schnell scharen sie mehr und mehr Dorfbewohner um sich.

Der Schreibstil von Daniel Höra liegt auf Augenhöhe mit dem jugendlichen Protagonisten, ist eingängig und unterhaltsam, dabei liest er sich sehr flüssig und schnell ist das erste Drittel des Buches verflogen. Dies passt sehr gut zu einem Jugendbuch. Bens Erlebnisse bei der ungewöhnlichen Familie hat zunächst nur einen guten Unterhaltungswert, der mit sich führt, bei dem aber bereits – durch deren radikalen Ansichten oder ihr Verhalten – erste Spannungsspitzen herausstechen. Die ersten, subtilen Methoden zur Beeinflussung durch Reinhold, Uta und Freya ergänzen das aggressive Verhalten der Zwillinge. Und so wird Ben tiefer und tiefer – wie in einem Strudel – hineingezogen in die rechte Szene. Aber auch in der Dorfgemeinschaft breitet sich das Gedankengut zunehmend aus und findet Zustimmung.

Der Roman ist aus Bens Sicht in der dritten Person geschrieben. Durch den Einblick in seine Gedanken weiß der Leser immer, was dem Jungen vom Land durch den Kopf geht, lernt seine Begeisterung für Reinholds Familie, aber auch seine Zweifel und erstes Hinterfragen kennen. Hinzu kommen einige Ereignisse, die sich auf seine Ansichten – zum Positiven wie zum Negativen – auswirken. Dies ist gut zu verfolgen. Besonders authentisch ist auch seine Hin- und Hergerissenheit, auch in Hinblick auf erste Erfahrungen mit Mädchen, getroffen.

Das Ende bahnt sich erst spät an und ist im Vergleich zur vorherigen Geschichte eher kurz gehalten, inhaltlich aber zumindest teilweise zu erahnen. Einerseits treibt es die Spannung noch einmal nach oben, auch passt es zu den vorherigen Handlungen, hätte aber andererseits für meinen Geschmack auch etwas intensiver behandelt werden können. Dennoch ist Braune Erde insgesamt ein gut verarbeiteter Roman, der den Leser nachdenklich zurücklässt.


Figuren
Seinen Roman bevölkert Daniel Höra mit einigen Haupt- und vielen Nebenfiguren, die in das Konstrukt der Handlungen passen. Ihrer Bedeutung entsprechend, hat er sie mal mehr, mal weniger stark ausgearbeitet, so bleiben viele Charaktere wie Klassenkameraden, Lehrer, Dorfbewohner oder einige andere Neonazis eher blass, während er gezielt bestimmte Figuren hervorhebt und ihnen mehr Hintergrund verleiht.

Im Mittelpunkt steht der 15jährige Benjamin, der – gelangweilt von der Umgebung des einsam gelegenen Dorfes – seit dem Tod seiner Eltern bei Onkel und Tante wohnt. Zu Uta und Reinhold baut er nicht nur schnell eine Beziehung auf, sondern ist auch dankbar für die Abwechslung, die ihm die Zwillinge bieten. Wer oder besser was die Neuankömmlinge in Bütenow aber sind, zeigt sich erst im Lauf der ersten Kapitel, und so fügt sich das Bild nach und nach zusammen. Nicht zuletzt Freyas Gedanken und Ansichten, die sich dem Leser nach und nach mitteilen, erschrecken in ihrer Gesinnung und hätten perfekt in die Zeit des Dritten Reichs gepasst, aber weniger in ein modernes Europa des 21. Jahrhunderts. Und doch erscheint sie für die rechte Szene authentisch und repräsentativ.

Von ganz anderer Art, aber ideologisch bis ins Mark geprägt, ist Wotan, einer der Freunde der Zwillinge und offensichtlich ein führender Neonazi in Berlin. Bei seinen Reden hört der Leser zusammen mit Ben voller Ungläubigkeit zu und ist fassungslos bei seinen Machenschaften. Und zu was er noch fähig ist, zeigt sich erst im Laufe des Romans.


Aufmachung des Buches
Braune Erde wird von dem Verlag als Taschenbuch angeboten, dessen Verarbeitung gelungen ist: nach dem ersten Durchlesen zeigten sich keine Spuren oder Knicke auf dem Umschlag. Auf der Vorderseite ist ein Mann – von der Brust abwärts – zu erkennen, der in eine dunkle Zimmermannshose und ein einfaches Hemd gekleidet ist und in einem Feld steht. Damit greift das Cover auch hierbei Symbole auf, die in dem Roman verarbeitet wurden. Der ansonsten braun gefärbte Buchumschlag passt zum Titel.
Die Kapitel sind mit einzelnen Versen oder einer „Bauernweisheit“ überschrieben, Unterabschnitte durch drei X gegliedert und sofort als solche zu erkennen.


Fazit
Dieser Roman beschäftigt sich mit der rechten Szene in Deutschland, ihrer nationalsozialistischen Denkweise und ihren Methoden. Der Autor versteht es, den Leser zu unterhalten und durch die zunehmend bedrohliche Stimmung an die Geschichte zu fesseln, aber auch ihn nachdenklich zu machen.


4 5 Sterne


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