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Rainer Strecker ist nicht nur Cornelia Funkes Haus- und Hofsprecher, sondern liest unter anderem auch Derek Landys Skulduggery Pleasant-Reihe mit einer Intensität und Stimmvielfalt, dass das Zuhören eine wahre Freude ist. Am 17.03.2013 hat er mir auf der Leipziger Buchmesse einige Fragen zu seiner Arbeit an dieser humorvoll-ironischen Fantasy-Reihe beantwortet.


Lieber Herr Strecker, wie Sie Hörbuchsprecher geworden sind und vieles rund um diese Arbeit haben Sie mir bereits 2009 in einem Interview verraten. Daher möchte ich mich diesmal auf die Vertonung der Skulduggery Pleasant-Reihe konzentrieren. Was schätzen Sie an den Werken Derek Landys?

Es gibt so wahnsinnig viel Fantasy-Literatur in letzter Zeit, aber oft gibt es einfach nur ein paar keltische Namen und das Böse und schon hat man einen Fantasy-Roman zusammengeschustert. Derek Landy ist einer derjenigen, die eine wirklich völlig eigenständige, neue Welt erschaffen haben, und das mag ich daran sehr. Das hat es vorher nicht gegeben, das ist keine Variante von irgendwas und auch nicht der x-te Aufguss, sondern es ist eine völlig eigenständige, komplett neue, verrückte Welt, die er da aufgebaut hat. Das finde ich großartig. Und dazu kommt noch [lacht], dass das Ganze so humorvoll und ironisch-leicht erzählt ist, das macht einfach echt Spaß.


Sie lesen beispielsweise auf Buchmessen aus den Romanen vor, in Frankfurt 2011 und dieses Jahr auch hier in Leipzig mit dem Autor Derek Landy zusammen. Ist es für Sie spannend, den Menschen hinter den Romanen persönlich kennen zu lernen?

Am Anfang war das sehr spannend, weil ich wissen wollte, wer Derek Landy ist. Jetzt sind wir ja schon seit sechs Jahren unterwegs, glaube ich, und es ist nicht mehr so spannend. [lacht] Höchstens, wenn er mir dann verrät, was im nächsten Band vorkommt.


Worauf legen Sie Wert, wenn Sie für ein Hörbuch Dialoge lesen?

Dass die Sprache halbwegs adäquat ist, darauf lege ich Wert. Wenn Literatur blöd ist, macht sie keinen Spaß. [lacht]


Können Sie die Stimmen für die Figuren denn selbst festlegen oder gibt es auf Verlagsseite jemanden, der das nochmal absegnet?

Das habe ich bis jetzt immer selber gemacht, da habe ich Freiheit. Wenn es wahrscheinlich zu krass wäre, würde wohl jemand kommen und sagen "Ne, das passt so nicht", aber das ist noch nicht passiert.


Haben Sie mal gezählt, wie viele Charaktere Sie allein für die Skulduggery Pleasant-Reihe zum Leben erweckt haben?

Ne, das habe ich nicht gezählt, aber der Moderator der gestrigen Veranstaltung hat irgendwas gesagt. Ich frag mal kurz.

Rainer Strecker wendet sich an Jeanette Hammerschmidt, Leitung der Presse-Abteilung des Loewe-Verlags, die mit Derek Landy am Nebentisch sitzt:

Rainer Strecker: Jeannette, wie viele Figuren haben wir bisher in Skulduggery gesprochen? Um die 120 oder sowas?

Jeannette Hammerschmidt: Ungefähr 120.

Rainer Strecker: 120, 140 – ich weiß es nicht genau. Also eine Menge. [lacht]


Ist das Stimmrepertoire bei so vielen – und in diesem Fall auch nicht selten exzentrischen – Figuren nicht irgendwann erschöpft?

Ja, völlig. [lacht] Dazu muss ich sagen, dass nicht jede der 120 oder 140 Figuren eine eigene Stimme kriegt, manche tauchen ja nur kurz auf. Ich bin auch überhaupt nicht so ein Stimmzauberer, finde ich, denn das sind gar nicht so wahnsinnig viele Varianten. Es wiederholt sich. Wenn man sich die komplette "Tintenwelt" [von Cornelia Funke; Anm. der Redaktion] angehört hat und alle Skulduggerys – da gibt es schon Gemeinsamkeiten. Viel schwieriger finde ich es, eine Landschaftsbeschreibung so vorzulesen, dass es spannend ist, als jetzt irgendwie diese oder jene Stimme aus der Trickkiste zu zaubern.


Woher wissen Sie, wenn Sie zum Beispiel demnächst den siebten Skulduggery-Band einlesen, wie die Figuren in den vorangegangenen geklungen haben? Ist das nicht manchmal schwierig?

Das ist eine gute Frage. Es ist schwierig, ich habe mir aber inzwischen eine richtige Datenbank mit Stimmen angelegt. Auf iTunes habe ich alle Figuren – oder kleine Hörbeispiele – hinterlegt. Wenn ich den nächsten Teil aufnehme, ist meistens schon ein Jahr vergangen, und dann muss ich mir nochmal kurz anhören, wie das damals war, damit ich den gleichen Ton wieder treffe. Das ist nicht so leicht, aber da hilft die Hörcompany, der Hörbuchverlag, mir dann und schickt mir bestimmte Sprachbeispielschnipsel, damit ich wieder rein komme.


Es ist unüberhörbar, dass Ihnen Vaurien Scapegrace besonders viel Spaß macht. Warum?

Hehe, naja, der ist einfach so blöd ... [unter lachen:] das macht einfach Spaß. Erst mal ist der einfach wirklich doof, ich habe da auch eine Stimme gefunden, die das, glaube ich, ganz gut wiederspiegelt. Und das ist eine Figur, bei der auch Derek Landys Humor einfach so unheimlich gut zur Geltung kommt.


Welche Figuren sprechen Sie darüber hinaus besonders gerne?

Ähmmmm ... Naja, ich war ein bisschen traurig darüber, dass Bliss so schnell tot war, der hat mir Spaß gemacht. [kurze Pause] Die machen eigentlich alle Spaß. Der Amerikaner ist ganz lustig ... Das ist eigentlich eher abhängig von den Szenen, von den Situationen, die geschrieben sind, oder von den Kapiteln – mehr, als von bestimmten Stimmen, die ich jetzt gefunden habe.

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Gab es auch Figuren, die ein wenig gezickt haben, zu denen nichts so richtig passen wollte?

Wenn mir gar nichts einfällt, dann mache ich auch nichts und spreche die Figur relativ normal. Das ist mir eigentlich nur bei "Reckless" von Cornelia Funke passiert, dass ich sie dann wirklich fragen musste "Sag mal, was stellt ihr euch denn da vor, mir fällt da einfach nichts ein." Dann hat Cornelia mir einen Tipp gegeben und mir einen Autor genannt, der so eine Stimme hat – den habe ich mir auf YouTube angehört – und habe dann versucht, die Stimme ein bisschen nachzumachen.

Wenn mir gar nichts einfällt, denke ich an irgendjemanden – also irgendeine berühmte Figur – und dann verändert sich die Stimme schon. Also Skulduggery klingt immer wie eine Mischung aus alter Säufer und Willy Brandt, oder?


Skulduggery Pleasant ist eine der wenigen Reihen, die ich sowohl lese als auch höre, weil beides – auch direkt hintereinander weg – unheimlich viel Spaß macht. Ich war damals ganz gespannt, wie Sie Skulduggery umgesetzt haben, und es hat einfach perfekt gepasst – was natürlich schön ist, wenn man beim Hören nicht denkt "Ey, den habe ich mir ganz anders vorgestellt!"

Die Entscheidung, ihn so zu machen, war ... Ich dachte, das ist so ein alter Haudegen, also wirklich ein Ex-Alkoholiker mit einer kriminellen Vergangenheit, der waaahnsinnig viel erlebt hat und jetzt auf der guten Seite ist. So habe ich mir Skulduggery vorgestellt, eben wie in so einem 40-er Jahre Schwarz-Weiß-Krimi aus Hollywood. Da kam dann diese coole, ein bisschen fertige Stimme zustande. Das habe ich mir also tatsächlich nicht ausgedacht, sondern kam so aus Überlegungen heraus, wie die Figur auch beschrieben war.


Sehr eindrucksvoll war ja auch die Qual. Ich kann mir aber vorstellen, dass diese auch im Tonstudio ihrem Namen alle Ehre gemacht hat?

Da habe ich mich verhoben. Die Qual hatte ich mir halt so überlegt und im Tonstudio habe ich dann gemerkt: "Oh oh, noch fünf Seiten, das wird mir zu anstrengend." Ich musste zwischendurch immer wieder Pause machen, was trinken, frische Luft schnappen ... Die Stimme wollte ich mir dann auch nicht für die nächsten zwei Tage kaputt machen, denn ich sitze ja immer vier Tage im Tonstudio.


Sie verfügen nicht nur über ein grandioses Stimmspiel, sondern beim Lesen auch über eine Mimik, die eine wahre Freude ist. Schlüpfen Sie so in die Rollen hinein?

Naja, das mit der Mimik passiert so, das mache ich eigentlich gar nicht mit Absicht. Das passiert deswegen, weil ich keinen Unterschied mache zwischen spielen und lesen. Wenn man nur vorliest, klingt das halt nach Papier. Man kann zwar die Stimme verstellen, aber man ist einfach nicht drin. Manche Stimmen entstehen auch so, dass ich mir vorstelle: "Ich kann meine rechte Backe nicht bewegen, weil ich Zahnschmerzen habe" – und dann ist die Stimme gleich anders.


Gestern haben Sie gemeinsam mit Derek Landy aus dem neusten Skulduggery Pleasant Band – "Passage der Totenbeschwörer" – gelesen. Passenderweise auf dem Südfriedhof Leipzig in der großen Begräbniskapelle. Ist so eine außergewöhnlichen Lesungen noch mal etwas Besonderes oder ist das eine Lesung wie jede andere?

Nein, das war super! Die Location war ein Traum und hat dem Ganzen von vornherein eine bestimmte Atmosphäre verliehen. Die Leute waren andächtig still – ich weiß nicht, ob das der Raum war oder die Ehrfurcht vor Derek Landy [lacht] oder dass es doch ein bisschen unheimlich war. Keine Ahnung. Sie haben irrsinnig zugehört.

Eine Lesung hier auf der Leipziger Buchmesse ist noch mal eine ganz andere Welt, weil das einfach Bahnhofsatmosphäre ist: schlechte Aufmerksamkeit, wahnsinnig viele Nebengeräusche – es ist irrsinnig anstrengend hier zu lesen. Gestern war einfach ein schöner Raum, um auch eine Stimme und eine Figur entfalten zu können.


Mir ist gestern aufgefallen, dass selbst als die Veranstaltung noch nicht begonnen hat, weil Sie ja auch im freundlichen Leipziger Nach-Messe-Verkehr festgesteckt haben, nur geflüstert wurde. Die ganze Atmosphäre muss einiges dazu beigetragen habe.

Das passiert in solchen Räumen, dass man automatisch ein bisschen stiller wird.


Ein kleines Highlight war Ihr Outfit. Wie kommen Sie darauf, sich in eine Soutane zu schmeißen?

Es gibt eine Kunstfigur von einem Schauspieler-Kollegen von mir, Hannes Hellmann. Der hat eine Figur erfunden, die heißt "Wolfgang, der Mann für die Sünde" – das findet man bei YouTube – und da spielt er einen Pfarrer, der ein Problem mit Frauen und Alkohol hatte und deshalb einen Beichtcontainer für die "Beichte to go" aufbauen möchte. Ich bin sein Kollege in diesen Filmen – das sind so 50, 60 Miniclips à 2 Minuten oder sowas. Wir machen die Filme überall, wo wir sind: wir haben in Rom vor dem Vatikan schon gestanden und uns verkleidet, vorm Berliner Filmfestival auf dem roten Teppich ...

Das Kostüm hatte ich halt noch und dachte mir, dann ziehe ich es doch einfach im ... Was war denn das gestern?


Die Begräbniskapelle.

... in der Begräbniskapelle ziehe ich das einfach mal an.


Was schätzen Sie überhaupt an Lesungen vor Publikum? Als Hörbuchsprecher fristet man ja sein Dasein eher im Tonstudio ...

Naja, was ich am Publikum schätze ist das Publikum, denn im Tonstudio ist das eine furchtbar einsame Arbeit. Die macht gar nicht unbedingt Spaß. Man sitzt hinter doppelten Glasscheiben und irgendwo dahinten sieht man einen Regisseur und einen Toningenieur. Da kriege ich nichts wieder, also keine Reaktion. Ich spüre die Leute nicht und das ist bei live-Lesungen halt super. Einerseits ist es nicht so schlimm, wenn ich mich verplapper – im Tonstudio ist das schlimm, weil ... naja, nicht wirklich schlimm, aber dann muss ich es halt noch mal lesen. Bei einer Lesung ist das eher Nebensache. Die Leute sind so in der Handlung drin – und ich auch –, das macht dann nichts. Und ich spüre halt die Menschen, das ist toll, wenn es Reaktionen gibt und Leute lachen oder sind so mucksmäuschenstill, dass ich merke "Woah, die sind total drin und dabei!"


Wie lange dauert es, bis ein Hörbuch – wie bei Skulduggery Pleasant mit sechs CDs – eingelesen ist?

Vier Tage. Sechs CDs, vier Tage.


Wow, das ist schnell.

Ich weiß nicht, wie andere sind. Keine Ahnung, ob die das besser können oder schneller.
Das geht aber auch nur, weil ich mich wirklich gründlich vorbereite und das Ganze dreimal durcharbeite. Wenn ich dann im Tonstudio sitze, weiß ich genau, was ich mache.


Ich wollte auch gerade sagen, dass die reine Zeit im Tonstudio eine Sache ist, aber ich denke, da geht unheimlich viel Vorarbeit voraus.

Das darf man eigentlich gar nicht erzählen, wie viel Zeit das kostet; das sind mehrere Wochen Vorbereitung. Das sind ja auch immer ganz schöne Wälzer, diese Bücher. Ich gehe diese dreimal durch, beim vierten Mal wird's aufgenommen. Da vergeht jede Menge Zeit.
Und ich setze mich nicht nachts hin und lese das Buch in einem Rutsch durch, sondern ich arbeite das durch.


Auf Ihrem iPad kann man ganz schön sehen, dass der Text auch farbig unterlegt ist. Hat da jede Figur eine eigene Farbe, damit Sie wissen, wann Sie Ihre Stimme wie verstellen müssen?

Ja, damit ich einfach optisch schon sehe: "Da kommt gleich wieder der" – dann weiß ich schon, ich muss wieder umschalten. Das hilft ein bisschen bei der Konzentration und bei der Stimmgabe. Das habe ich aber nicht nur auf dem iPad, sondern wenn ich ein Manuskript habe, mache ich das genauso. Das sieht aus wie eine große Notenpartitur. Aber ich mache das mit dem iPad ganz gerne, weil es da keine Blätter-Pausen im Tonstudio gibt und weil es echt Papier spart. Das sind ja immer solche Wälzer die Manuskripte und deswegen nehme ich jetzt neuerdings dieses Ding. Was heißt neuerdings, seit zwei Jahren ungefähr.


Steht schon fest, wann die Studioarbeiten für den siebten Skulduggery Pleasant-Band beginnen?

Ich glaube im August, weil es dann wahrscheinlich im Oktober zur Frankfurter Buchmesse rauskommt.


Ich freue mich schon sehr auf die Fortsetzung und ein Wiederhören mit Ihnen. Herzlichen Dank für das Interview!

Vielen, vielen Dank!


Leider nicht scharf, da Rainer Strecker unerwartet ins Bild "gehüpft" ist, aber dennoch schön anzusehen:

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