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Er knöpfte das Hemd auf. »Ich habe nach einer Medizin gesucht.« Der rote Saum, der die Motte umgab, sah aus, als hätte jemand sie mit frischem Blut umrahmt. Fuchs holte tief Luft. »Was bedeutet das?« Ihre Stimme klang noch heiserer als sonst. Sie las ihm die Antwort vom Gesicht ab. »Also das war der Preis.« Sie gab sich Mühe, gefasst zu klingen. »Ich wusste, dass dein Bruder seine Haut nicht umsonst zurückbekommen hat.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Die Augen der Füchsin, braun wie angelaufenes Gold.

Sechs Mal wird die Motte auf seiner Brust zubeißen, bevor sie zurück zu ihrer Herrin fliegt und Jacob dem Tod überlasst. Die fieberhafte Suche nach dem Schatz, der ihn retten könnte, beginnt. Ein Wettlauf gegen die Zeit – und gegen den Goyl Nerron. Dem Goyl geht es darum, der beste Schatzjäger in der Spiegelwelt zu sein. Für Jacob Reckless aber geht es im Leben und Tod.

 

Reckless Lebendige Schatten 

Autor: Cornelia Funke
Verlag: Dressler
Erschienen: 09/2012
ISBN: 978-3791504896
Seitenzahl: 411 Seiten

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Die Grundidee der Handlung
Will und Clara sind wieder in der Welt der Menschen, doch Jacob muss die Sicherheit seines Bruders teuer bezahlen. Die Motte auf Jacobs Brust ist ein Zeichen der Dunklen Fee und besiegelt gleichzeitig sein Todesurteil. So geht er in beiden Welten auf die Jagd, um jedes noch so unwahrscheinliche Wunderding zu erlangen, dass den Fluch aufheben könnte. Schon bald durchfährt ihn jedoch ein mörderischer Schmerz, als die Motte zum ersten Mal zubeißt, und er weiß, ihm bleibt nicht mehr viel Zeit. Sechs Mal wird die Motte beißen, ein jedes Mal für einen Buchstaben des Namens der Dunklen Fee, und der letzte Biss wird ihm den Tod bringen. Zusammen mit seiner treuen Gefährtin Fuchs sucht er schließlich die sagenumwobene Armbrust des Hexenschlächters, doch er ist nicht der einzige Schatzjäger auf der Fährte. Der Goyl Nerron will ihm um jeden Preis zuvor kommen …

Der zweite Band von Reckless schließt nahtlos an den Vorgänger an und ist doch ganz anders. Wurden zuvor die Schatzjägergeschichten von Jacob nebenbei erwähnt, befindet man sich nun mittendrin in einer atemlosen Schatzjagd um Leben und Tod.


Stil und Sprache
Erzählt wird rückblickend in der dritten Person und es werden dabei kapitelweise die verschiedenen Hauptfiguren der Geschichte begleitet. Auch wenn der Stil zunächst eine gewisse Distanz erzeugt, so wird diese oftmals durch die kursiv gestellten Gedanken der handelnden Person gebrochen und dadurch sehr persönlich. Cornelia Funkes Werkzeug ist definitiv die Sprache, die sie stets gezielt und kunstvoll einsetzt, um besondere Stimmungen zu erschaffen und Kulissen vor dem geistigen Auge entstehen zu lassen: „Der Tau, der von den Blüten perlte, als sie einen der zarten Stängel brach, war immer noch kalt. Es war ein langer Winter gewesen und Fuchs spürte die verstrichenen Monate wie Frost auf der Haut. Es war so viel seit dem letzten Sommer geschehen. All die Angst um Jacobs Bruder ...  und um ihn selbst. Zu viel Angst. Zu viel Liebe. Zu viel von allem.” (Seite 10)

Die Anleihen an zahlreiche Märchen und Sagen sind deutlich erkennbar, werden aber zu einer ganz eigenen Geschichte verflochten, sodass man sich nie sicher sein kann, wie es weitergeht. War es im Vorgängerband noch sehr märchenhaft, hat nun die Industrialisierung Einzug in die Spiegelwelt gehalten. Zauberei muss Maschinen weichen, Ressourcen werden ohne Rücksicht auf Land und Bewohner ausgebeutet: „Den Hütten, die sich um die Minengebäude duckten, sah man nicht an, dass hier ein Vermögen aus der Erde geschürft wurde, und der Rauch, der aus den Schornsteinen stieg, schrieb eine schmutzige Zukunft an den Himmel.” (Seite 74)

Die Beweggründe hinter der Jagd nach der legendären Armbrust könnten nicht unterschiedlicher sein. Während es für Jacob um das nackte Überleben und die letzte Chance geht, den Feenfluch abzuwenden, so strebt Goyl Nerron danach, der beste Schatzjäger in der Spiegelwelt zu werden. Für alle anderen Mächtigen würde der Besitz und Gebrauch der Armbrust einem ultimativen Sieg über alle Gegner gleich kommen und einem Massensterben, wie es einst der Hexenschlächter beim Streben nach Alleinherrschaft auslöste. Neben der Hetzjagd nach der tödlichsten Waffe der Spiegelwelt liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der Entwicklung der Beziehung von Jacob und Fuchs, die ebenfalls für Spannung und außerdem romantische Momente sorgt.


Figuren
Jacob Reckless ist nach wie vor die klare Hauptfigur im Zentrum der Geschichte. Nach der Rettung seines Bruders Will, der nun wieder mit Clara in der Welt der Menschen lebt, ist es sein dringendstes Ziel, seine eigene Haut zu retten. Denn der Fluch der Dunklen Fee erinnert ihn in jeder Sekunde daran, dass er am Abgrund des Todes steht, und er liebt sein Leben. „Der Schmerz fuhr ihm in die Brust, als er die Scherbe gerade in die Haut drücken wollte. Es war ein Schmerz, wie Jacob ihn noch nie gespürt hatte. Etwas schlug ihm die Zähne ins Herz. Die Scherbe fiel ihm aus der Hand, und der Schrei, der über seine Lippen kam, war so laut, dass auf der anderen Straßenseite ein Fenster aufging.” (Seite 131). Deshalb besinnt er sich auf sein größtes Talent: die Schatzjagd. In der Welt der Menschen und hinter dem Spiegel stöbert er alles auf, was Erfolg verspricht, und scheitert, bis er sich schließlich auf die Suche nach dem gefährlichsten und mächtigsten Gegenstand macht – der Armbrust des Hexenschlächters. Ihm zur Seite steht die Gestaltwandlerin Fuchs, seine treue Gefährtin, die nicht nur durch das häufige Tragen ihres Fells enorm gereift ist. Man erfährt im Verlauf der Handlung ihren Namen und mehr über ihre Vergangenheit. Zudem kommen sich die beiden Freunde immer näher.

Jacobs direkter Gegenspieler ist der Goyl Nerron, ein Bastard, der von Menschen wie Goyl verachtet wird. Sein Antrieb ist der Wunsch nach Ruhm und Anerkennung, sein Ehrgeiz ist es, der beste Schatzjäger in der Spiegelwelt zu werden. Bislang war es stets ein Kopf an Kopf-Rennen mit Jacob, bei dem mal der eine, mal der andere gewann. Doch bei der Armbrust des Hexenschlächters will er ohne Rücksicht auf Verluste der Erste sein.

Nicht nur die hauptsächlich handelnden Figuren sind sehr lebendig und hintergründig, auch die Nebenfiguren wie der Wassermann Eaumbre, ein leicht zu beleidigender Leibwächter, der verweichlichte, arrogante und grausame Prinz Louis von Lothringen, der altkluge und hinterhältige Käfer, der verschlagene Zwerg Valiant und der wortgewandte, edle Retter Guy de Troisclerq bereichern die Handlung und wirken nie eindimensional oder schwarz-weiß.


Aufmachung des Buches
Das Hardcover mit Schutzumschlag wurde passend zum ersten Band gestaltet. Der Grundton des Umschlags ist in einem dunklen Grün gehalten, worauf erneut zentral der Spiegel mit seinem verschnörkelten silbernen Rahmen steht. Doch dieses mal sind Risse und Löcher auf der Oberfläche zu sehen und eine Motte liegt darüber. Wer genauer hinschaut, kann auf ihren Flügeln angedeutet sechs Totenschädel erkennen. Nimmt man den Schutzumschlag ab, sieht man den bedruckten, dunkelgrünen Einband, worauf die Motte wiederholt wird. Die Vorsatzblätter sind in einem warmen Orangebraun, genauso wie das Lesebändchen. Kleine Illustrationen der Autorin leiten im Innenteil die Kapitel passend zur Handlung ein. Die Unterschiede der Gestaltung im Vergleich zum ersten Teil liegen im Detail: zuvor war der komplette Rahmen auf dem Schutzumschlag geprägt und hob sich plastisch sehr ansprechend hervor, nun ist es nur noch die Motte. Außerdem sind die Zeichnungen der Autorinnen in diesem Buch sehr viel kleiner, weniger zahlreich und nicht mehr randfüllend. Das ist sehr schade, da Cornelia Funke nicht nur schön schreibt, sondern auch wunderbar zeichnen kann. Ein absolutes Plus ist jedoch die Karte der Spiegelwelt, die neuerdings dem Text voran gestellt ist. Insgesamt ist es eine sehr schöne und auch ansprechende Gestaltung, die sich toll im Bücherregal macht.


Fazit
Cornelia Funkes dunkles Märchen um den furchtlosen Jacob Reckless bietet wieder allerhand Abenteuerliches und weiß stets mit neuen Wendungen zu überraschen! Die Geschichte endet mit einem Cliffhanger, sodass man die Fortsetzung kaum noch erwarten kann.

5 Sterne


Hinweise
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Backlist:
Band 1: Steinernes Fleisch

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