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Zoran Drvenkar 2012 klein


Der 45-jährige Zoran Drvenkar beschäftigt sich bereits seit seinem 15. Lebensjahr mit dem Schreiben, seit 1989 arbeitet er als freier Schriftsteller. Dabei schreibt er sowohl Bücher für Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene; auch beim Genre legt er sich nicht fest, sondern mischt diese den Erfordernissen der jeweiligen Geschichte entsprechend. Der Leser-Welt hat er einige Fragen zu seinem neuesten Jugendbuch "Der letzte Engel" beantwortet.

Lieber Herr Drvenkar, ich freue mich sehr, dass Sie sich die Zeit für ein Interview nehmen!
Knappe zehn Jahre haben Sie geschrieben, bis Ihr erstes Buch veröffentlicht wurde. Bremsten die zahlreichen Absagen von Verlagen nicht Ihre Kreativität oder zumindest Motivation aus?

Wenn ich ganz ehrlich sein soll, konnte mir nichts Besseres passieren, als nicht veröffentlicht zu werden. Es braucht seine Zeit, die eigene Stimme beim Schreiben zu finden. Die Stipendien waren damals genau die Zustimmung, die ich brauchte. Sicher hätte ich alles gegeben, um da schon veröffentlich zu werden, wenn ich aber jetzt zurückschaue, was ich damals geschrieben habe, ist es ganz gut, dass die Zeit die Füße schleifen ließ. Ich hatte bei zwei Verlagen angefragt und zwei formelle Absagen bekommen; ich hatte eine Agentin, die aber nicht so richtig in die Gänge kam. Danach war ich es Leid und schrieb einfach, ohne mir den Kopf zu zerbrechen, ob das Buch erschien oder nicht. Das Schreiben war das wichtige. Der Fluss der Gedanken. Ein Buch wurde beendet, das nächste begann. So bin ich recht dankbar, dass die Zeit einen auf Schweinehund spielte, denn es lehrte mich, dass es wichtig ist, was ich mache, nicht was andere von mir wollen oder in meinem Schreiben sehen und sich wünschen, dass ich doch endlich über Vampire mit Verdauungsprobleme schreibe. Schau dir meine Bücher an, es ist ein Rhythmus, der sich durch alle Geschichten zieht. Meine Charaktere gehen eigenen Wege, weil sie machen dürfen, was sie wollen. So wie ich.


1998 erschien Ihr erster Roman "Niemand so stark wie wir" im Rowohlt-Verlag. War das der Augenblick, in dem Sie sich als Schriftsteller fühlten? Oder waren es vielmehr die Jahre davor, in denen Sie sich die Finger wund geschrieben und Ihre eigene Stimme gefunden haben?

Ich war mit dem ersten Stipendium Schriftsteller. Als ich auf der Buchmesse mein erstes Buch in der Hand hielt, war ich ehrlich gesagt enttäuscht. Es war ein Taschenbuch, es hatte kaum Gewicht und es gab keine Fanfaren, kein Feuerwerk. An dem Tag begriff ich, dass es nichts bringt, ein Buch zu schreiben, damit es als Taschenbuch veröffentlicht wird. Das ist ein wenig, als würde man einer Idee im voraus den Friedhof samt Grabstein zeigen und sagen: Leg dich mal rein, vielleicht passt es, und in zwei Jahren haben wir dich eh vergessen.


In einem Interview haben Sie gesagt: „[…] ich mache den Leuten gerne Angst, bringe sie zum Grinsen und rette sie aus den dunkelsten Ecken und bin ihr Held.“ Macht das für Sie den Reiz am Leben als Autor aus?

Ich habe keine Ahnung, was den Reiz am Leben eines Autors ausmacht. Ich weiß nur, dass der Reiz an meinem Leben mein Leben ist und nicht das, was drumherum passiert. Früher habe ich gedacht, wir Schreiber wären alle gleich, eine große Familie ohne Neid, die sich gegenseitig vorantreibt, immer neugierig ist und zusammengehört. Ich denke das noch immer und bin damit der König der Naivität. Aus der Isolation heraus fand ich mein Leben, meine Art, meinen Weg. Und so mache ich den Leuten gerne Angst mit den Dingen, die nicht aus dem Schrank springen oder billig eine Machete schwingen. Ich suche unentwegt nach dem Bösen und nach dem Guten, ich suche nach den Wurzeln der Dunkelheit und manchmal kann man mit so einer Suche auch Leben retten.


Ihre Sprache ist sehr bildreich, wobei die Originalität der so entstehenden Bilder faszinierend ist. Doch wie kommen Sie auf Vergleiche wie: „Draußen war es stockend schwül und die Luft stand in meinem Zimmer wie eine Wand aus getoastetem Styropor“ ( „Der letzte Engel“; S. 20)?

Ich spürte es. Sommer 2012 und ich schwitzte wie ein Schwein und schrieb am letzten Engel und knabberte den getoasteten Styropor aus der Luft weg und spuckte ihn wieder aus.


Sie haben einen sehr authentischen, eindringlichen Schreibstil. Fließen die Worte einfach so aus Ihnen heraus oder feilen und polieren Sie diese so lange, bis alles sitzt?

Sie fließen und ich feile und poliere und lese jede Seite mindestens hundert Mal, ändere die Perspektive, ändere die Zeitform, verschiebe Kapitel, schneide Passagen raus und lege sie ab, versuche die Passagen wieder einzfügen und finde sie nicht mehr auf dem PC, schrecke aus dem Schlaf mit einer neue Idee, ändere den Fluss der Geschichte, ändere ihn wieder zurück, bekomme noch mehr graue Haare und am Ende des Tages falle ich ins Bett und nehme jeden Satz mit mir mit.


In Ihren Geschichten ist nicht alles "Friede, Freude, Eierkuchen", sie sind nicht selten sogar düster - wie zum Beispiel "Sorry" und "Du". Warum ist es für Sie wichtig, dennoch auch humorvoll zu sein?

Eines geht nicht ohne das andere. Sonst wäre ich wirklich nur der Typ, der gerne Angst macht und die Welt in Dunkelheit sieht. Da draußen ist mehr Licht als so manch einer denkt. Wer will denn sein Leben lang über Serienkiller schreiben, da ist sogar Gartenarbeit spannender und ich hasse Gartenarbeit. Mir geht es um das Neue, immer wieder Territorien betreten, die noch keiner betreten hat. Mit Humor, Grausamkeit und Liebe. Am Ende bleibt fast alles an der Liebe hängen, aber auch das ist keine Neuigkeit.


Sie schreiben nicht nur über Erwachsene, sondern auch über Kinder. Fällt es Ihnen leicht, sich in die verschiedenen Altersgruppen hineinzuversetzen? Ihre eigene Kindheit liegt ja schon zwei, drei Jahr(zehnt)e zurück …

Viel leichter. Ich habe selbst keine Kinder und denke kaum über Kinder nach, außer wenn sie mir über den Weg laufen und ich ausweichen muss. Aber in meinem Inneren, da sind sie alle unterwegs. Ich kann nicht sagen, woher sie kommen, all diese kleinen Seelen mit großen Geschichten, die raus wollen und nach Abenteuern hungern. Ich weiß es wirklich nicht. Natürlich schöpfe ich aus meiner Kindheit, aber wenn du dir mein Schreiben anschaust, könnte man glatt denken, ich wäre an die achtzig Jahre lang zehn Jahre alt gewesen. Mir machen junge Charaktere beim Schreiben mehr Spaß, weil sie mehr Energie, mehr Humor und mehr Zukunft vor sich haben. Für mich sind sie in dem Moment echt und atmen und quasseln, in dem ich den ersten Satz über sie schreibe. Im ersten Satz haben sie meist keinen Namen. Sie sind einfach und ich muss in der Geschichte herausfinden, warum sie sind, was sie wollen und wohin sie unterwegs sind.


In „Der letzte Engel“ heißt es auf Seite 178: „Es gibt Geschichten, die dürfen nicht erzählt werden, weil sie die Welt verändern und nichts mehr ist, wie es vorher war.“ Glauben Sie daran, dass Geschichten die Welt verändern können?

Absolut. Sie tun es jeden Tag. Sie sind das, was uns bewegte. Sie sind das, was uns ausmacht. Wir verewigen einander in Geschichten. Ohne würden wir aufhören zu sein.


Kurz und knapp: Warum Engel?

Weil es da mal einen Schriftsteller gab, der die Idee hatte, dass ein Junge eine Mail bekommt, in der ihm erklärt wird, dass er nach dem Aufwachen tot sein wird. Natürlich lacht der Junge darüber und wacht auf und ist tot. Und natürlich hat er zwei Flügel auf dem Rücken. Der Schriftsteller mag seine Ideen, er denkt nicht zu lange nach, was die Flügel sollen. Er legt los.


Haben Sie den religiösen Charakter dieser symbolträchtigen Wesen bewusst außen vor gelassen?

Aber so bewusst, dass es in Druckbuchstaben auf dem Buch stehen müßte. DRVENKAR HAT DIE RELIGION AUSGESPERRT, WAS NUN?!


Neben fantastischen Elementen haben Sie auch historische Fakten in der Geschichte verarbeitet – wie zum Beispiel die Rurik-Expedition des russischen Kapitäns Otto von Kotzebue. Bereitet es Ihnen Freude, die Geschichte ein wenig umzuschreiben und den Bedürfnissen der Handlungen Ihres Romans anzupassen?

Es ist schwer zu glauben, aber bei mir führt die Geschichte zu den Fakten und ergänzt sich dann. Ich kann den Prozess nicht genau erklären. Er ist ein wenig wie mit einem Metalldetektor am Strand rumlaufen und plötzlich piept das Ding los und unter dem Sand liegt eine Geschichte, die perfekt zum Rest der eigenen Geschichte passt, an der man gerade schreibt. Vieles past zusammen, vieles bemerkt der Leser nicht einmal, aber ich sitze da und grinse und weiß, es ist echt. Kurz gesagt: es ist ein Heidenspaß und es ist ein wenig, als würde ich die Weltgeschichte umschreiben und keiner kann was dagegen machen. Ich recherchie während der Arbeit gerne, rase durchs Internet und habe dabei immer die Finger an den Charakteren und schaue zu, wie sie vom 17. Jahrhundert in die Gegenwart spazieren, als würden sie eine Straße überqueren.


Romane in erster und dritter Person sind geläufig, die zweite Person – wie Sie sie in „Du“ verwendet haben – schon selten. Ein Mix aus diesen drei Erzählperspektiven ist mir in „Der letzte Engel“ erstmalig begegnet. Haben Sie sich bewusst dafür entschieden oder hat die Geschichte diese Erzählweise von Ihnen verlangt?

Es entsteht meistens aus der Geschichte heraus. Du lauschst auf den Rhythmus, du merkst, dass du hier und da mit einem Charakter festhängst und eine neue Perspektive brauchst. Darauf sollte man beim Schreiben reagieren. Die Du-Person ist mein ganz eigener Liebling, der seinen Anfang in Cengiz & Locke fand und in Du weitergeführt wurde. Mit dieser Form komme ich dem Leser ganz nahe, und was will man als Schreiber mehr? Ich mag den Wechsel, und ich mag es, den Leser mit neuen Blickwinkeln zu überraschen. Außerdem tut es den Geschichten gut. Sie atmen mehr Energie, sie bekommen diesen Kick, den man beim Geruch von Espresso an den Nervenenden spürt.


Ich möchte ein weiteres Mal aus einem anderen Interview zitieren, in dem Sie gesagt haben: „Ein Roman ohne Soundtrack ist ein Strand ohne Meer.“ Hören Sie Musik beim Schreiben? Welcher Soundtrack gehört zu „Der letzte Engel“?

Musik ist immer da, sie bestimmt das Tempo, sie dient sogar der Geschichte manchmal als Wegweiser, indem meine Charaktere auf die Songtexte reagieren und in ihr Denken einbauen. Beim lektorieren und wiederholten Lesen ist es meistens Instrumentalmusik, da kann ich keinen Gesang hören, denn die Konzentration ist eine andere und man will nicht mit dem Fuß wippen, wenn es um klare Momente im Schreiben geht. Der Soundtrack zum neuen Buch ist ein Mischmasch aus allem. Da ist Jay-Jay Johansen dabei, da sind Gomez, Bell X1, Birch Book, Nicolas Jaar, David Kitt, Alabama 3 und James Blake.


"Der letzte Engel" ist kein abgeschlossener Roman, vielmehr hat man nach dem Lesen der letzten Seite das Gefühl, dass noch etwas Großes kommen wird. Schreiben Sie bereits an dem Folgeband? Können Sie uns schon einen kleinen Einblick in die Geschehnisse geben?

Es sollte ein abgeschlossenes Buch werden, aber die Geschichte hat gemacht, was sie wollte und irgendwann saß ich da und dachte Verdammt, was hast du dir denn da auf den Rücken geladen? Ich erreichte beim Schreiben einen Punkt, wo ich Atem holen konnte und den nutzte ich, um den ersten Teil abzuschließen. Und wie sagte man so schön - danach geht es erst richtig los.


Ich danke Ihnen herzlich für das Interview und wünsche Ihnen weiterhin viel Freude am Schreiben!


Zoran Drvenkar hat der Leser-Welt bereits 2009 Rede und Antwort gestanden; das Interview findest du hier.
Die offizielle Homepage des Autors: http://www.drvenkar.de/

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