In einer Welt, die ihre Unschuld längst verloren hat, erkennt Mowgli bald, dass die harmonische Idylle, die sich Balu und Baghira im Dschungel aufbauen, nicht viel mehr sein kann als trügerisch. Er beschließt, sich auf den Weg in die große Stadt zu machen, denn tief im Inneren weiß er, dass er seinen eigenen Weg gehen muss. Nur so hat er eine Chance, dem dunklen Geheimnis auf die Spur zu kommen, das die Erwachsenen umgibt …
Gekonnt und unerbittlich treiben Crisse und N’Guessan ihre apokalyptische Adaption des Kiplingschen Dschungelbuch-Motivs Schritt für Schritt dem Höhepunkt entgegen und entführen Mowgli in eine „Menschensiedlung“, die unseren ureigenen Albträumen entsprungen zu sein scheint.
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Originaltitel: PETIT D’HOMME: Secret |
Grundidee der Handlung
Die Zusammenfassung auf der Rückseite des Comicalbums gibt den Inhalt des zweiten Bandes bereits ausführlich genug wieder, so dass jede weitere Ausführung zu viel von den Handlungen vorweg nehmen würde. Die Comic-Adaption einer apokalyptischen Welt, in der Menschen die Rollen der Tiere aus Das Dschungelbuch einnehmen, setzt die Abenteuer des ersten Bandes fort, wirft aber auch manche Frage auf, die vermutlich erst im Folgeband beantwortet wird. Zudem kann ich einen direkten Einstieg in Band 2 nicht empfehlen, da es dem Leser dann schwer fällt, die Bedeutung der Ereignisse korrekt zuzuordnen – hier sollten Interessierte zunächst zu Das Erwachen greifen.
Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Ohne Einführung bzw. Zusammenfassung der Geschehnisse aus dem vorangegangenen Teil - was den Wiedereinstieg erschwert - startet dieser zweite Band mit einer Szene im friedlich wirkenden Dschungel. Die matten, aber freundlichen Farben unterstützen diese Idylle, wechseln aber direkt mit einem Rückblick in Baghiras Vergangenheit zu einer reduzierten Palette mit düsteren und schmutzigen Farben. Weichen die Handlungen der Gegenwart hingegen in Balus früheres Leben, hat die begrenzte Farbwahl eine eher goldgelbe Note. Somit sind die Erinnerungen gut auseinander zu halten und auch von der Gegenwart abzugrenzen. Diese Rückblicke in die vergangenen Taten der Erwachsenen spielen in diesem Band eine besondere Rolle, eine entsprechende Gewichtung hat der Zeichner auch auf sie verwendet.
Die aus dem Dschungelbuch – welches als Vorlage für diese Adaption diente – entliehenen Tiercharaktere wurden hier auf recht passende, menschliche Figuren übertragen. Balu ist ein älterer Mann mit kräftigem, weißen Bart, Brille und Kopftuch sowie einer stämmigen Figur, während Baghira als drahtige Frau mit dunklem Hauttyp und eleganten Bewegungen umgesetzt wurde. Währenddessen scheinen in Shir Kaa die ursprünglichen Charaktere der Schlange Kaa und des Tigers Shere Khan zusammengefasst zu sein – der Söldner ist ein zwielichtig auftretender Weißer, dessen unrasiertes Gesicht, hakige Nase und unangenehmer Blick ihn zunächst unsympathisch erscheinen lassen. Und die Bander-Log, in Kiplings Geschichte eine Rotte von anderen Tieren verachteter Affen, treten hier als schmierige, kleine Ganoven auf.
In dem Artwork, mit dem die Figuren ins Leben gerufen werden, sind zwar recht viele Einzelheiten verarbeitet worden, andererseits ist es auch nicht filigran zu nennen, denn die Genauigkeit nimmt schon bei leichter Distanz zum Betrachter schnell ab. Ähnliches gilt für die Bildhintergründe, mit denen N’Guessan den Szenen eine Umgebung verliehen hat – mal geht der Blick weit in die Ferne und zeichnet tolle Übersichten über die Landschaft, mal nimmt die Feinzeichnung schnell ab – reichen aber immer aus, um dem Leser eine Orientierung zu bieten, wo die Szenen gerade spielen. Zusammen mit der Kolorierung gelingt es dem Illustrator dennoch, die Atmosphäre einer trostlosen und am Boden liegenden Welt zu erschaffen, die die Arbeitskraft von vielen für den Wohlstand von skrupellosen wenigen ausnutzt. Das Elend und die Armut der Flüchtlingslager vor der großen Stadt wurde von N’Guessan in passende Bilder gekleidet – einfache Zelte und Barracken, junge wie alte Menschen in vor Schmutz starrenden Kleidern. Nicht wesentlich anders sind die wenigen Einblicke in die Stadt, auch in diesem modernen Gomorrha trifft man auf eine Mischung aus Dekadenz und Elend, große Schilder über den Straßen werben für das Rotlichtmilieu, mit genaueren Ausführungen dieses Bereichs hält sich N’Guessan aber auf angenehme Weise zurück.
Die einzelnen Bilder sind – einem klassischen Stil entsprechend – durch weiße Stege getrennt, so dass die Lesereihenfolge jederzeit klar ist. Auf Geräuschworte wird überwiegend verzichtet, nur wenn die Soldaten die Bevölkerung terrorisieren und mit ihren Gewehren achtlos in die Menge schießen, fügen sich die entsprechenden Geräusche in die Bilder mit ein.
Aufmachung des Comic
In dem gleichen Großformat, welches man beispielsweise von den Comicalben des Splitter-Verlages kennt, wurde auch diese Ausgabe aufgelegt und bietet somit einen guten Kompromiss zwischen Handlichkeit auf der einen Seite und genug Freiraum für die Entfaltung der Bilder auf der anderen. Die Hardcover-Variante ist – wie man es von Finix nicht anders kennt – erneut einwandfrei verarbeitet, sowohl die Leimung, als auch die Materialqualität von Umschlag und Papier im Inneren sind sehr hochwertig und werden auch dann keine Spuren zeigen, wenn man den Comic häufiger zur Hand nimmt. Die Vorsatzpapiere sind vorne wie hinten mit einem Bild von Mowgli und einem Frosch auf einem Stein – eine Anspielung auf Mowglis Beinamen – gestaltet.
Fazit
Der zweite Band dieser apokalyptischen Comic-Adaption, die ihre Vorlage in Das Dschungelbuch hat, führt diesmal in die große Stadt. Doch was ein Hoffnungsschimmer für die ausgebeutete Bevölkerung war, stellt sich als Ort von Tod, Gewalt und Sünde heraus. Die von Crisse inszenierte Szenerie wurde von N’Guessan in passende, wenngleich nicht immer filigrane Bilder umgesetzt.
Hinweise
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Backlist:
Band 1: Das Erwachen
