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In ›Der Richter und sein Henker‹ (1950) betritt Dürrenmatts Ermittler zum ersten Mal die Bühne: Kommissär Bärlach, ein Urgestein des Rechtssystems. Um einen Mord aufzuklären, bleibt ihm aus gesundheitlichen Gründen nur wenig Zeit. Wie Bärlach dabei mit den Begriffen Gerechtigkeit, Moral, Schuld und Strafe umgeht, ist ein Thema, das sich durch alle Kriminalromane Dürrenmatts zieht. So auch in ›Der Verdacht‹ (1951), wo der Kommissär ein zweites Mal gegen Tod und Ungerechtigkeit kämpft: aus unbändigem Trotz, »in dieser Welt zu bestehen und für eine andere, bessere zu kämpfen«. In ›Das Versprechen‹ (1958) versucht ein anderer Kommissär, Matthäi, verbissen, einen Kindermörder zur Strecke zu bringen. Dafür scheut er weder die Gefahr noch deren Folgen. ›Justiz‹ (1985) thematisiert die Verwicklungen eines jungen Rechtsanwalts im feinen Netz aus Gerechtigkeit, Rechtssystem und Moral. Seinen fünften (und unvollendeten) Kriminalroman ›Der Pensionierte‹ (1995) begann Dürrenmatt bereits 1969, schrieb ihn jedoch immer wieder um. Der Held des Romans, der kranke, fresssüchtige Kommissär Höchstettler, ist Bärlach wie aus dem Gesicht geschnitten.

 

Die Kriminalromane 

Autor: Friedrich Dürrenmatt
Verlag: Diogenes
Erschienen: 2011
ISBN: 978-3-257-06795-8
Seitenzahl: 989 Seiten


Die Grundidee der Handlung
‚Der Richter und sein Henker’
Bärlach, Kommissär in Bern, findet einen seiner Mitarbeiter, Schmied, tot in dessen Wagen. Schmied war sein bester Mann und sollte, da er selbst sehr krank ist, sein Nachfolger im Amt werden. Alles weist darauf hin, dass Schmied verdeckt bei Gastmann, einem Diplomaten und Geschäftsmann ermittelt hat. Doch dieser, ein alter Feind Bärlachs, hat ein Alibi. Bärlach wird wegen seiner Krankheit von dem Fall abgezogen und Tschanz, der immer ein Konkurrent Schmieds war, soll weiter ermitteln. Doch Bärlach kann es nicht lassen und gerät selbst in das Fadenkreuz Gastmanns. Bärlach bereitet eine Falle vor, mit der er sein Problem lösen will.

‚Der Verdacht’
Nur noch eine Operation kann verhindern, dass Bärlach stirbt, doch selbst die OP wird sein Leben nur um ein weiteres Jahr verlängern können. Bei einer Visite durch seinen Freund und Arzt Hungertobel kommt er auf Grund eines Fotos in einer Zeitschrift und der Reaktion des Doktors auf den Fall des KZ-Arztes Nele, der an inhaftierten Juden Operationen ohne Narkose durchgeführt hat und viel Ähnlichkeit mit Emmenberger, einem Studienkollegen Hungertobels hat. Der Arzt glaubt nicht an einen Zusammenhang, doch Bärlach ist sich sicher. Er plant einen Aufenthalt in Emmenbergers Privatklinik bei Zürich und begibt sich damit in die Höhle des Löwen.

‚Das Versprechen’
In einem Waldstück nahe einem kleinen Dorf bei Zürich wird ein kleines Mädchen tot aufgefunden. Das Dorf hat seinen Verdächtigen schnell gefunden: einen wegen Kindsmissbrauch vorbestrafter Hausierer. Dr. Matthäi, der eigentlich schon zu seiner neuen Arbeitsstätte im Ausland unterwegs sein sollte, übernimmt den Fall und glaubt nicht an die Schuld des Hausierers. Er verbeißt sich regelrecht in seine Theorie, dass es kein Einzelfall war und dass der Täter noch aktiv ist. Er will ihm eine Falle stellen und überschreitet damit seine Kompetenz, ordnet alles diesem einen Fall unter, auch sich selbst.

‚Justiz’
Spät, ein junger und noch unerfahrener Anwalt, wird von Dr.h.c. Kohler, einem Mörder, beauftragt, für die Wissenschaft einen anderen Täter und dessen Beweggründe für die von ihm begangene Tat zu finden. Er stürzt damit in ein Wirrwarr an Verdächtigungen und Mauscheleien und merkt erst viel zu spät, dass er von Kohler nur benutzt wird, um weitere Morde zu begehen. Dabei verliert Spät nicht nur sich selbst.

‚Der Pensionierte’
Kommissär Höchstettler hat nur noch 2 Tage im Amt, dann geht es in den Ruhestand. Doch so recht wohl ist ihm nicht dabei, eben erst von seiner siebten Frau geschieden nimmt er sich vor, seine unerledigten Fälle erneut aufzusuchen. Bei einem dieser Fälle, dem Tresorknacker Feller, trifft er Claire, eine ehemalige Prostituierte, in die er sich verliebt. Er schwört sich, dieses Mal nicht zu heiraten und es scheint zu klappen. Erst ihr Tod nach mehreren glücklichen Jahren wirft ihn wieder aus der Bahn und im Trauersuff beschließt er, mit Feller den einen perfekten Einbruch zu begehen.

Friedrich Dürrenmatt, eher bekannt für seine Dramen, Prosa, Tragödien und Theaterstücke, begann seine Karriere als Schriftsteller Anfang der 50er Jahre mit den beiden Kriminalromanen ‚Der Richter und sein Henker’ sowie ‚Der Verdacht’. In beiden lässt er einen alten, todkranken Kommissär quasi sein Lebenswerk vollenden – die Jagd nach dem Bösen. Mit ‚Das Versprechen’, einem Requiem auf den Kriminalroman sowie ‚Justiz’ wurden noch zwei weitere Geschichten veröffentlicht. Sein letzter ‚Der Pensionierte’ konnte nicht mehr vollendet werden und wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. In der nun vom Diogenes-Verlag erschienenen Komplett-Sammlung befindet sich neben den 5 genannten Romanen noch ein geistreiches Nachwort Dürrenmatts zur Entstehung seiner Kriminalromane sowie eine umfassende Chronik zu seinem Leben und seinen Werken.


Stil und Sprache
Der Autor verlangt seinen Lesern alles ab. Durch mitunter mehrere Seiten lange, verschachtelte Sätze und philosophische Abhandlungen fordert er die volle Konzentration. Allerdings wird man, sollte man sich darauf einlassen, mit Kriminalgeschichten, die ihresgleichen suchen belohnt. Mit seinen prosaischen Beschreibungen der Szenen, Orte und Landschaften, aber auch der jeweiligen Seelenlage des Protagonisten erzeugt er eine dichte, packende Atmosphäre, die zielgerichtet auf den Punkt kommt und nicht selten das Abbild unserer Gesellschaft zeigt. Seine Romane spielen in und um Zürich und Bern und spiegeln den damaligen Zeitgeist wieder. Der politische Kampf, arm und reich, das Kantonsdenken – Dürrenmatt bringt all dies auf den Punkt, nimmt den Leser mit in die Nachkriegsjahre und das offensichtliche Wirrwarr dieser Epoche.

Richtig schwierig wird es dann bei ‚Justiz’, einem Kriminalfall, der sozusagen von hinten aufgezäumt wird, der mit vielen kapitelweisen Zeitsprüngen und noch längeren Sätzen, aber auch mit durch den Alkoholgenuss des Erzählers leicht verworrenem Stil für Kopfzerbrechen sorgt. Am Ende aber im Ganzen betrachtet, kann ‚Justiz’ als Meisterwerk der Verwirrung und des Entknotens genannt werden. Nicht selten entdeckt man dann auch den Autor selbst in seinen Werken. Entweder als Statist oder als Erzähler oder wie in‚Justiz’ als die Person, die am Ende das Bindeglied zwischen der Geschichte des Anwalts und der späteren Darstellung durch den Autor selbst ist.

Eine Besonderheit in dieser Sammlung ist ‚Der Pensionierte’: Friedrich Dürrenmatt hat es zu Lebzeiten nicht mehr geschafft, den Roman zu beenden. Trotzdem präsentiert der Verlag einen möglichen Schluss, der am Ende wieder den Autor selbst mit einbezieht und so erneut die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen lässt. Der Leser weiß nicht, ob es nun eine erfundene Geschichte ist oder ob zumindest Fragmente sich wirklich so abgespielt haben könnten. Kurz gesagt, ein Lesegenuss der die volle Aufmerksamkeit einfordert, am Ende aber mit sinnvollen, auch emotional tiefgehenden Momenten belohnt.


Figuren
Dürrenmatt, selbst Schweizer, präsentiert uns in seinen Kriminalromanen ein breites Spektrum an Schweizer Originalen der Nachkriegsjahre.
Besonders hervorheben möchte ich hier den alten und todkranken Kommissär Bärlach. Sehr geradlinig weiß er genau, was er will. Er ist von seinem Leben und den Erfahrungen seiner Ermittlerlaufbahn gezeichnet und bekommt nun kurz vor seinem Lebensende die Chance, den Verbrecher, den er seit seinen Anfängen immer wieder versucht zur Strecke zu bringen, zu richten. Doch muss er all seine Finnesse aufwenden, all seine Kräfte sammeln, um diese letzte Tat zu meistern. Er ist jemand, der nicht aufgibt, selbst mit dem finalen Urteil seiner Krankheit sieht er die Chance und ergreift sie. Sehr sympathisch wenn auch extrem verbissen.

Dürrenmatts Hauptakteure haben eigentlich alle diese Eigenschaft, nur nutzen sie sie nicht immer im positiven Sinne. Der Anwalt Spät aus ‚Justiz’ ist ebenso verbissen wie Bärlach, jagt aber dem falschen Ideal hinterher. Er erkennt nicht sofort, dass er ausgenutzt wird und endet dann im Selbstmitleid. Auch etwas, was durchaus natürlich ist und in abgewandelter Form jeden treffen kann. Die Verbrecher sind klassisch dargestellt. Zielstrebig, skrupellos versuchen sie alles zu tun, um ihr Ding durchzuziehen. Nicht zuletzt leben die Geschichten auch durch die charismatischen Figuren und die Art und Weise, wie der Autor sie einsetzt.


Aufmachung des Buches
Die Sammlung kommt in einem festen Kartonschuber daher, der ein leinengebundenes Buch in Grün enthält. Der Schuber ist komplett in Rot und zeigt auf seinem Cover zwei schwarze Gestalten vor einem Henkerstrick. Auf qualitativ hochwertigem Papier gedruckt und mit Stofflesebändchen versehen ist das Buch eine sehr schöne Erweiterung für die heimische Sammlung.


Fazit
Friedrich Dürrenmatts Krimi-Klassiker in einer Sammlung – was will man mehr. Doch Vorsicht, neben Spannung und mitreißender Atmosphäre erwarten einen seitenlange, verschachtelte Sätze, die dem ambitionierten Leser alles abverlangen.


4 5 Sterne


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