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Die Erzählerin Inge Deutschkron wurde im Dritten Reich als Jüdin verfolgt und fand Schutz und Hilfe bei Otto Weidt, der - selbst fast blind - eine Besenbinderwerkstatt führte, in der viele blinde Juden Arbeit fanden.
Inge Deutschkron erzählt ihre Geschichte und die von “Papa” Weidt, von dem unter Juden bekannt war, dass er die Nazis hasste und dass er half, wenn sie mit ihren vielen Verordnungen den Juden das Leben zur Hölle machten.

 

  Autor: Inge Deutschkron
Verlag: Butzon & Bercker
Erschienen: 2006
ISBN: 3-7666-0210-1
Seitenzahl: 36 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Inge Deutschkron, die bekannte jüdische Journalistin, hat den Holocaust als “U-Boot” in Berlin, gemeinsam mit ihrer Mutter, überlebt. Seit langem setzt sie sich für Otto Weidt und andere ein, die, oftmals unter Einsatz ihres Lebens, Juden halfen zu überleben. Nun hat sie ein Kinderbuch über einen von ihnen, nämlich Otto Weidt, geschrieben.
Zunächst stellt uns die Autorin “Papa” Weidt vor, der selbst fast blind war. “Papa” wurde er von seinen blinden und den wenigen sehenden Angestellten genannt, weil er sich so gut um sie kümmerte. Die meisten von ihnen waren deutsche Juden. Sie erzählt von der Arbeit und den kleinen Festen, die gefeiert wurden, wenn Otto Weidt mal wieder etwas Fleisch und Wein “organisiert” hatte. Sie selbst ist durch Vermittlung zu Weidt gekommen und arbeitete im Büro. Den Arbeitern drohte aber mit Fortschreiten des Krieges immer mehr die Deportation, obwohl sie in einem kriegswichtigen Betrieb arbeiteten. Mehrmals gelang es Weidt diese zu verhindern. Aber schließlich konnte auch er nichts mehr machen und so versteckte er einige Juden in seinem Betrieb. Durch Verrat wurde dieses Versteck von der Gestapo gefunden. Weidt reiste sogar bis nach Auschwitz, wo er hoffte, die ihm bekannten Juden noch zu retten. Bei Kriegsende gelang es  einer von ihnen, Alice, gemeinsam mit einer Freundin zu fliehen. Das Buch schließt damit ab, dass die Autorin kurz berichtet, wie es Weidt nach dem Krieg erging.


Stil und Sprache
Inge Deutschkron schreibt einfache, klare Sätze, die Kinder im Grundschulalter nicht überfordern, die aber durch die Art, wie sie kombiniert werden, zu einem qualitativ hochwertigem Text führen. Sie findet immer die passenden Worte, um Menschen und Situationen zu beschreiben. Mit einem Wort: man kann sich die Ereignisse sehr gut vorstellen. Unterstützt wird das lebendige Bild, das sie von dieser Zeit malt, durch die  Dialoge, die sie verwendet. Sie schreckt dabei auch nicht vor dem Berliner Dialekt zurück. Damit erzeugt sie eine Atmosphäre, für die andere Autoren viel mehr Sätze benötigen.

Trotz des schwierigen Themas und Ausdrücken wie “Deportation” gelingt es ihr durch ihren Stil und die nüchterne Sprache, doch immer das Leid und die Trauer für Kinder erträglich zu halten und sie nicht zu verstören. Natürlich kann sie die Gewalt der Nazis nicht außen vor lassen, aber sie dehnt sie nicht aus, sondern schildert immer gleich die Freude der Menschen über die Rettung aus der Gefahr. Trotzdem nennt sie die Dinge beim Namen - Auschwitz ist ein „Todeslager“ - beschreibt es aber nicht näher. In wieweit man auf die Geschehnisse dort eingeht, bleibt den erwachsenen Begleitern der kindlichen Leser überlassen.

Sehr wichtig für die Kinder ist, dass das Buch mit der Flucht (aus Auschwitz) und dem Überleben von Alice ein glückliches Ende findet. Ich persönlich finde es schade, dass Frau Deutschkron auf ihre eigene Beziehung zu den Protagonisten des Buches nicht eingeht, immer die journalistische Distanz wahrt. Lediglich im Vorwort erwähnt sie kurz, dass sie bei Weidt gearbeitet hat. Andererseits kann ich dies auch verstehen, denn ich nehme an, dass es sehr schwer ist, sich an diese schreckliche Zeit zu erinnern und sie die Distanz einfach braucht, um überhaupt darüber schreiben zu können.


Figuren
Alle Personen, die beschrieben werden - der listige, fürsorgliche “Papa” Weidt, Alice, die Menschen in seiner Werkstatt - kann man sich sehr gut vorstellen, fast glaubt man sie zu kennen. Sie sind ganz unterschiedlich - mutig oder verzagt, freundlich oder verräterisch. Und natürlich ganz normal. Die Kindern begegnen wirklichen Menschen. Dadurch erhalten die meist namenlosen Opfer des Holocaust ein Gesicht, werden wieder lebendig. Sie könnten liebe Verwandte sein, die man schon lange nicht mehr gesehen hat oder die vor langer Zeit schon gestorben sind, deren man sich aber gern erinnert. Als Leser freundet man sich mit ihnen an und hat Teil an ihrem Schicksal. Man spürt ihre Angst, aber auch den Willen sich nicht unterkriegen zu lassen. Man weint und lacht mit ihnen und hofft wider besseres Wissen auf ein Happyend. Inge Deutschkron ist das große Kunststück gelungen, Mitgefühl  zu erzeugen, ohne auf die Tränendrüse zu drücken oder in Klischees abzugleiten.


Aufmachung des Buches
Das Buch ist gebunden und hat ein ungefähr Din A4 großes Format. Die Vorderseite zeigt einen Hinterhof mit Treppenabgängen und einer Tordurchfahrt. Im Vordergrund sieht man einen kleinen hübschen Hund und Otto Weidt, der ein Blatt Papier mit der Aufschrift „ Bei mir arbeiteten 30 blinde Juden, ich versuche sie zu retten“ in der Hand hält. Der Illustrator fasst mit  diesem einzigen Satz bereits den Inhalt des Bilderbuches zusammen.

Wenn man das Buch aufklappt, findet man eine „Pinnwand“ mit Notizzetteln. Diese sind mit kurzen Sätzen beschriftet, die dabei helfen, die Ausgrenzung der Juden über die Jahre hinweg zu verfolgen; die gleichen Zettel finden sich am Ende des Buches. Die Hinweise sind nicht chronologisch geordnet, so dass man ein wenig suchen muss, um herauszufinden, wie alles zusammenhängt. „Papa Weidt“ wird durch jeweils ein Vorwort von Hanna Renate Laurien und Inge Deutschkron ergänzt.

Sprache und Stil der Autorin könnten das Buch zwar auch alleine tragen, aber damit wären die Leser wahrscheinlich überfordert, denn sie kennen die Zeit des Dritten Reiches ja nicht, nicht die Kleidung, nicht die Wohnverhältnisse. Aus diesem Grund wird der Text durch die Aquarelle und Zeichnungen von Lukas Ruegenberg illustriert. Die großformatigen, ausdrucksstarken Bilder widersetzen sich ein bisschen den allgemeinen Sehgewohnheiten, zeichnen sich dafür aber durch klare Farben und  eine gute Strukturierung aus. Mal sind sie bedrohlich, dann wieder voller Freude und Lebenslust. In jedes kann man sich versenken und nach Details suchen. Sie finden sich immer: der Judenstern, die Frau hinter dem Fenster, die gelbe Armbinde mit den drei Punkten. Ich denke, Kindern wird das gefallen und Fragen über den Text und über das allgemeine Geschehen hinaus „provozieren“.


Fazit
Irgendwann fängt jedes Kind an Fragen zu stellen, manche früher, manche später. Wenn die Fragen sich um  Hitler, die Nazis und den Holocaust drehen, wissen viele Eltern - oder allgemein Erwachsene - dann nicht, wo sie anfangen sollen. Wie soll man das  Unerklärliche denn Kindern erklären? Inge Deutschkrons Buch schlägt da eine Brücke, die man nur zu überschreiten braucht, um all diese Fragen kindgerecht beantworten zu können.
Ich bin sehr beeindruckt, mit welch Leichtigkeit und Fingerspitzengefühl Frau Deutschkron diese schwierige Aufgabe meistert. Trotzdem sollten Kinder dieses Buch nicht alleine lesen, sie brauchen Erwachsene, die sie dabei begleiten, ihren Fragen Rede und Antwort stehen und die ihren Gefühlen standhalten können - auch den negativen.
Darüber hinaus setzt die Autorin all jenen „stillen Helden“ ein Denkmal, deren heute nicht wirklich gedacht wird. Sie waren nicht im politischen Widerstand und werden deshalb noch immer übersehen. Die allermeisten von ihnen haben geholfen, weil sie es als ihre menschliche Pflicht ansahen. „Papa Weidt“ ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie Geschichte durch individuelles Erleben lebendig werden kann. Ein Plädoyer für  Wachsamkeit und Zivilcourage, auch oder gerade in einer Demokratie, damit sich Geschichte nicht wiederholt.


5 Sterne


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