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Tokio in meisterlichen Ukiyoe-Holzschnitten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts

Ukiyoe bedeutet wörtlich „Bilder der fließenden Welt“ und bezeichnet die berühmte Kunstgattung des japanischen Holzschnitts, die im 17. Jahrhundert entstand und die bildliche Darstellung Japans in der westlichen Welt bis heute prägt. Weil sie in Massen gefertigt werden konnten, wurden Ukiyoe-Drucke häufig als Vorlagen für Fächer, Neujahrsgrußkarten und Buchillustrationen verwendet. Traditionell zeigten sie schöne Frauen, Kabuki-Theaterdarsteller, Vergnügungsszenen, das Stadtleben und Landschaften. Die Einflüsse des Ukiyoe in Europa und den USA – oft als Japonismus bezeichnet – sind allgegenwärtig, von der impressionistischen Malerei bis zu den heutigen Manga und Anime. Der vorliegenden Publikation liegt eine der schönsten Ausgaben des Werkes aus dem Ota Memorial Museum of Art in Tokio zugrunde.

Hiroshige (1797 - 1858) war einer der letzten großen Künstler der Ukiyoe-Tradition. Obwohl er eine Vielfalt an Motiven wählte, lag seine größte Begabung in der Darstellung von Landschaften aus seiner Heimatstadt Edo, dem heutigen Tokio. Sein Meisterwerk war die Serie, die unter dem Namen "Hundert berühmte Ansichten von Edo" (1856 - 1858) bekannt wurde. Der prächtige vollständige Nachdruck ergänzt jede der 120 großformatigen Abbildungen durch eine Beschreibung, die es dem Leser ermöglicht, ganz in Hiroshiges wunderbar lebendige Landschaften einzutauchen.

 

Hiroshige 

Originaltitel: Hiroshige - One Hundred Famous Views of Edo
Autor: Lorenz Bichler, Melanie Trede
Verlag: TASCHEN
Erschienen: 2010
ISBN: 978-3-8365-2145-1
Seitenzahl: 272 Seiten

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Stil, Bilder- und Textdarstellung
Schon auf den ersten Blick lässt sich durch seine einzigartige Aufmachung erkennen, dass wir es hier mit einem ganz besonderen Exemplar der Gattung Kunstbildband zu tun haben (dazu mehr unter „Aufmachung des Buches“), auf das viel Sorgfalt verwandt wurde, um dem Kunstliebhaber die japanische Holzschnittmalerei so authentisch und verständlich wie möglich darzubringen. Nach einer allgemeinen Einführung folgen die einzelnen Blätter im Jahreszeiten-Rhythmus Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Die Kunstdrucke befinden sich immer auf der rechten Seite des aufgeschlagenen Buches, die textlichen Erläuterungen auf der linken, dabei sorgen großzügige weiße, nichtbedruckte Flächen für viel Freiraum und eine aufgelockerte Atmosphäre.

Beim allerersten Durchblättern sollte man den Text am besten ganz außer Acht lassen und nur die Bilder auf sich wirken lassen. Von ihnen geht ein eigentümlicher Zauber aus, dem sich wohl kein Kunst- und Japanliebhaber wird entziehen können. Anders als Hiroshiges Zeitgenosse Hokusai, welcher sich in seiner Holzschnittkunst auf die lebhafte, vergnügliche Welt des Theaters und der Freudenhäuser konzentrierte, sind es bei Hiroshige stimmungsvolle Landschaftsimpressionen, die den Betrachter in den Bann ziehen. Aus immer neuen Perspektiven zeigt sich das Gebiet um Edo (heutiges Tokyo), das mit unzähligen Flüssen und Kanälen erstaunlich viel Wasserfläche anzubieten hat. Das städtische Häusermeer oder die riesige Palastanlage des Shoguns verschwinden ebenso oft im Dunstschleier, wie die Menschen nur als winzige Statisten dienen, so dass sie nicht ablenken von den mannigfaltigen Schönheiten, die uns Mutter Natur zu bieten hat. Eingeleitet wird der Bildteil von blühenden Bäumen und Sträuchern, dazwischen lustwandelnde Spaziergänger, die natürlich den Frühling vermitteln, gefolgt von sattgrünen Grasflächen, stillen, klaren Gewässern und Vögeln am Horizont. Allgegenwärtig ist der Fuji in den Bildhintergründen, sein massiver Kegel zieht sich durch den gesamten Bildteil und steht für keine bestimmte Jahreszeit. Die Farben aller Drucke wirken noch erstaunlich frisch und kräftig. Auf mich persönlich hatten seltsamerweise die eher seltenen „nichtfarbigen“ schneebedeckten und mondscheinbeschienen Bilder die stärkste Wirkung.


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Die Begleittexte sind sehr umfassend und lehrreich. Sie werden sowohl dem künstlerischen als auch dem historischen und gesellschaftlichen Aspekt der gezeigten Motive gerecht. Ich persönlich empfand es wie ein Mix aus Kunstratgeber und Geschichtsbuch.
So erfahren wir u.a., wie stark sich die hohe Qualität des Erstdrucks von den minderqualitativen Folgedrucken abhebt (in diesem Buch befinden sich ausschließlich Erstdrucke), bei welchen Blättern sich Hiroshige von westlichen Techniken beeinflussen ließ und umgekehrt, die europäischen Impressionisten sich bei Hiroshige Motive abschauten und diese in eigene Werke umsetzten. Obwohl ich mich nur als Laie mit dem Thema Kunst befasse, konnte ich den Erklärungen – bis auf eine Ausnahme – immer gut folgen. Auf Seite 24, wo auf die Herstellung/Entstehung der Holzschnitte eingegangen wird, hätte die Bilderfolge von Tafel 13 deutlich größer ausfallen sollen, um so die textlichen Erklärungen auch optisch zu veranschaulichen. Denn nur wer die Drucktechnik in vollem Ausmaß begreift, wird das richtige Verständnis für die Bilder aufbringen können.
Bei vielen Orten und Gebäuden wird auf die heutige Lage im Stadtgebiet von Tokyo verwiesen, was besonders für Ortskundige hochinteressant sein dürfte. Für mich persönlich waren es vor allem die historischen und gesellschaftspolitischen Hintergrundinfos, die mich bei jedem Bild eintauchen ließen in ein unbekanntes, exotisches Land und eine weit zurückliegende, spannende Epoche.

Mit diesem Bildband kommen Kunst- und Japanliebhaber voll auf ihre Kosten. Aufgrund des ausgezeichneten Preis-Leistungs-Verhältnisses sollte man sich diese wunderbare Jubiläumausgabe auf keinen Fall entgehen lassen!


Aufmachung des Buches
Wie schon erwähnt, ist diese Jubiläumsausgabe ganz besonders in ihrer Aufmachung. Die Seiten sind eigentlich Doppelseiten, die in der Mitte gefaltet und deren offene Enden von links mit einem glänzenden, dicken weißen Bindfaden eingebunden wurden. Die oberen und unteren Deckblätter dieses geschnürten Bündels bestehen aus einem etwas dickeren, feingeriffelten, seidig glänzenden Papier, das unheimlich edel aussieht. Als Motiv zieren die Deckblätter Kraniche (zwei vergrößerte Ausschnitte des Blattes 102 aus dem Bildteil). Im Anhang befinden sich Bibliographie, Zeittafel, editorische Anmerkungen, Danksagung, Fotonachweis und Impressum.
Der geschnürte Seitenteil ist lose eingelegt in eine aufklappbare Kassette aus hartem Karton, die mit schmalen Seidenbändern, Riegeln und Ösen zusammengehalten wird. Bedruckt ist die Kassette sehr ansprechend mit blühenden Kirschbäumen vor einem hellrot-rosafarbenen Hintergrund.


Fazit
Diese preisgünstige Jubiläumsausgabe des TASCHEN Verlages präsentiert sich in einzigartiger, sehr exklusiver Aufmachung und ist jedem Kunst- und Japanliebhaber nur wärmstens zu empfehlen!


4 5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

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