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Das Gilgamesch-Epos, der älteste enthaltene Text der Weltliteratur, ist die Geschichte des sagenhaften Königs der Stadt Uruk in Mesopotamien, heute Irak.

Damals von Schreibern in Keilschrift auf Tontafeln geschrieben, jetzt von Burkhard Pfister in über 200 Zeichnungen zu einer Graphic Novel verarbeitet, hat sie über vier Jahrtausende nichts von ihrer Faszination verloren.

 

Gilgamesch_Graphic_Novel 

Text: Ursula Broicher
Illustration: Burkhard Pfister
Verlag: Projekte-Verlag Cornelius GmbH
Erschienen: 10/2010
ISBN: 978-3-86237-230-0
Seitenzahl: 358 Seiten
Altersgruppe: ab 12 Jahren (Empfehlung des Rezensenten)


Die Grundidee der Handlung
Mit mindestens viertausend, vermutlich fünftausend Jahren Alter ist Gilgamesch das älteste Epos der Menschheitsgeschichte und damit fast doppelt so alt wie Homers Ilias. Die Geschichte handelt vom eigennützig handelnden König von Uruk, Gilgamesch, der sich seiner Macht, Größe und Körperkraft erfreut, statt seinem Volk ein guter Herrscher zu sein. Um ihn zu bändigen, senden ihm die Götter Enkidu, der für Gilgamesch wie ein Bruder wird. Zusammen vollbringen sie Heldentaten, doch ziehen sie damit den Zorn des Götterkönigs Enlil auf sich …

Burkhard Pfister hat diese faszinierende Sage mit insgesamt fast 400 Zeichnungen zu einer Graphic Novel umgesetzt, die im Projekte-Verlag in zwei Varianten erschienen ist: zum einen in der hier besprochenen, gekürzten Gesamtausgabe, und zum anderen in 12 einzeln erhältlichen „Tafeln“, den Kapiteln des Epos.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Zunächst fällt die Schrift auf, die ab den ersten Seiten immer wieder grafisch umgesetzt wird. Wuchtig, gewaltig eröffnet sie die Geschichte von Gilgamesch im Stil der Filme der 60er und 70er Jahre. Bevor die Handlungen jedoch starten, werden auf mehreren Doppelseiten, aufgeteilt in langgezogene Spalten, die jeweiligen Götter vorgestellt.

Die monochromen Bilder finden auf dem großen Seitenformat enorm viel Platz, um voll zur Geltung zu kommen. Die Zeichnungen offenbaren eine enorme Detailvielfalt, sind aber - besonders in Bereichen von Schattierungen, Körperbehaarungen, etc. – grob und haben einen stark künstlerischen Charakter. Je nach Stimmung greift Pfister auf Schraffuren, Aquarell-, Wischtechniken zurück, die er entsprechend kombiniert. Damit differenziert er zwischen Schwarz und Weiß sowie vielen grauen Zwischentönen. Daneben kommen noch andere Kunststilrichtungen zum Einsatz und geben der Graphic Novel ihre enorme Bandbreite, verleihen ihr mehr den Charakter eines Bildbandes mit Text anstelle eines Subgenres der Comicwelt. Die aquarellenen Flächen und Übergänge stehen im starken Kontrast zu den harten Schraffuren. Einige Arbeiten setzen ausschließlich auf Konturen und Schraffuren, andere beschränken sich ganz auf Aquarell. Die Gestaltung passt gut zu den altorientalischen Texten und der antiken Geschichte, und hat oftmals einen Look wie von alten Maler- und Bildhauermeistern.

Mit verschiedenen Stilmitteln – unterschiedlichem Lichtfall, Staffelungen, Schattenwurf oder Perspektive – gelingt es dem Künstler in praktisch allen Bildern, ihnen eine Tiefenwirkung zu verleihen und sie plastisch werden zu lassen. Während hier die Figuren im Vordergrund betont werden, sind die Statisten im Hintergrund bewusst schlicht oder gar nur grob umrissen. Viele der Portraits werden sauber bis in die feinen Einzelheiten gezeichnet, die Konturen des Körpers, der Rundungen der Brüste oder der Muskeln hervorgehoben. Wie detailliert der Zeichenstil ausfallen kann, zeigt sich beispielsweise auf der sich über zwei Seiten erstreckenden Abbildung auf Seite 90/91 – hier wird das Gewand und der Schmuck von Gilgameschs Mutter fein aufgelöst und in vielen Einzelheiten gezeigt, ähnlich die verzierten Säulen des Gebäudes im Hintergrund. Wäre dabei nicht diese skizzenhafte Schattensetzung, mit denen sich Pfister bewusst vom Massengeschmack abwendet, um die künstlerische Wirkung zu steigern, würden die Illustrationen restlos überzeugen.

Um der Graphic Novel etwas Zeitloses zu geben, kombiniert Pfister den antiken Look und den der Moderne. Die Stadt Uruk gleicht in manchen seiner Zeichnungen modernsten Großstädten, die Architektur – Brücken, Hochhäuser, etc. – entspricht der von Ballungsgebieten in den USA oder den asiatischen Metropolen. Auf Seite 316/317 findet sich gar eine große Illustration mit PKWs, Motorrädern, Ampeln und Verkehrsschildern, die Szene könnte jeder heutigen Großstadt entnommen sein. Ebenso modern wie die Art der Architektur ist teilweise die Bekleidung, die nicht immer den antiken Gepflogenheiten entspricht. Pfister nimmt sich hier die Freiheit, die Protagonisten stellenweise in Jeans, bequeme Hemden und Lederjacken mit modernem Schnitt zu kleiden, den Rat der Alten in Geschäftsanzüge, Krawatten und Hemden.
Auf diese Weise zieht er nicht nur Parallelen der Geschichte zur Moderne, sondern transportiert sie regelrecht in die Gegenwart. Bei anderen Gelegenheiten entsprechen die Szenen wieder in ihrer gesamten Darstellung der Antike.
Immer wieder trifft man auf Grafiken, die an die gemeißelten Figurendarstellungen der alten Völker – beispielsweise der Ägypter oder Babylonier – denken lassen. Hierbei ist unklar, ob es sich nur um ein weiteres Stilmittel des Künstlers handelt, oder ob diese Grafiken den tatsächlichen Darstellungen auf den mesopotamischen Tafeln entsprechen. Mystisch und vor allem surreal werden die Bilder bei der Darstellung von Träumen. Eine erste, sich über die volle Breite erstreckende Illustration kündigt grundsätzlich den nächsten Traum an, die zweite besteht i.d.R. aus dunklen Schemen, die aquarellistisch ineinander überlaufen, und die dritte zeigt zwei fremdartige Wesen, die sich auf einem karierten Feld auf die Gebirgskette am Horizont zubewegen. Fantasievoll und abstrakt schildert Pfister den Kampf Gilgameschs und Enkidus gegen den Dämon Humbaba.

Die Flächen, auf die der Künstler seine Bilder aufbringt, nutzt er den Begebenheiten entsprechend geschickt. Mal sind es mehrere Panels pro Seite, an anderen Stellen erstrecken sie sich über die ganze Seite oder gar über eine Doppelseite. Die Panels selbst sind in einigen Szenen förmlich aufgefächert, in anderen klassisch nebeneinander angeordnet, teilweise auch übereinander gelegt und sich mehr oder weniger stark überlappend. In der Krankheitsphase von Enkidu bringen sie durch ihre Form die Zerrissenheit und Angst des Helden deutlich zur Geltung.

Die Sprachgestaltung ist passend zu den alten Texten, poetisch und umständlich, mit Wiederholungen und heute nicht mehr gebräuchlichem Satzbau. Doch sie trägt viel zur Atmosphäre des altorientalischen Epos' bei. Den Umständen entsprechend steht der Text neben den Bildern oder wurde in Sprechblasen verpackt, die jederzeit einwandfrei zuzuordnen sind.


Aufmachung des Comics
Das Gesamtwerk zu Gilgamesch ist ein fest gebundenes, mit seinen knapp 400 Seiten entsprechend dickes Buch, welches fast das Format A4 erreicht. Auch wenn der Buchumschlag gelegentlich knackende Geräusche von sich gibt, ist die Verarbeitung tadellos und zeigt nach dem ersten Lesen keine Gebrauchsspuren. Das vollständig matt und monochrom gehaltene Cover zeigt neben dem dominanten Schriftzug „Gilgamesch“ das Portrait des Herrschers von Uruk.


Fazit
Gilgamesch ist das älteste Epos der Menschheitsgeschichte, dessen Aussagen aber auch auf die heutige Welt noch zutreffen. Grafisch umgesetzt von Burkhard Pfister, abseits vom Massengeschmack, mit einer stark künstlerisch geprägten Note. Weniger etwas für Comicfreunde, aber für Fans epischer Graphic Novels eine klare Empfehlung.


4 Sterne


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