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„Wasser, Hund, Pferd, Kopf“ sind keine Kurzgeschichten im herkömmlichen Sinne, und ich wusste nicht, wie ich sie nennen sollte. Irgendwann nannte ich sie ‚Lieder’, sagt Gonçalo M. Tavares in einem Interview und fährt fort: „Ich dachte dabei an Leonard Cohen. Es würde mich freuen, man lese das Buch, wie man Musik von Leonhard Cohen hört. Er legt viel Bedeutung in den Text, und manchmal bekommen wir erst beim ‚Lalala’ das Bedürfnis zu weinen.“

 

  Autor: Gonçalo M. Tavares
Verlag: Der Apfel
Erschienen: 11/2008
ISBN: 978-3-85450-277-7
Seitenzahl: 72 Seiten 


Die Idee, Stil und Sprache
Tavares’ Kurzgeschichten sind keine leichte Kost. Allesamt handeln sie in irgendeiner Form von den Abgründen der menschlichen Seele, von Tod und Gewalt. Oft verbleibt nach dem Lesen ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und auch des Schockiertseins angesichts von Tavares’ brutaler Ehrlichkeit, Dinge beim Namen zu nennen, bei denen wir gerne verschämt weggucken. Geschickt verwebt der Autor Realität und Fiktion, bindet Biografisches aus seinem eigenen Leben und Bruchstücke aus Nachrichten mit ein in seine Geschichten, die beim ersten Lesen oftmals wie mehr oder weniger sinnlose Notizen oder Tagebucheinträge wirken und gleichzeitig sehr nachdenklich machen.
Als irritierend empfand ich Tavares’ Neigung, zwei völlig unterschiedliche Handlungsstränge nebeneinander herlaufen zu lassen und völlig übergangslos von einem zum anderen zu wechseln. So geht es zum Beispiel in „Giftige Pflanzen“ einerseits um die Begegnung eines Soldaten und einer Prostituierten und andererseits um einen Geistesgestörten, der tagtäglich an einer Bushaltestelle auf seine Mutter wartet, die niemals kommt. Ebenso wie bei anderen, ähnlich aufgebauten Geschichten, hat sich mir da auch nach mehrmaligem Lesen kein Zusammenhang erschlossen. Rein sprachlich gesehen ist Tavares sehr gut zu lesen, da er zumeist kurze, jedoch äußerst prägnante Sätze schreibt. Da ich Portugiesisch verstehe und auf Tavares’ Homepage der Anfang von „Die Frau“ veröffentlicht ist, konnte ich Original und Übersetzung vergleichen und möchte an dieser Stelle dem Übersetzer Michael Kegler ein Lob aussprechen, der die dichte Atmosphäre der Geschichten auch im Deutschen sehr gut rüberbringt.


Aufmachung des Buches
Das düstere Coverbild des Hardcovers in schwarzweiß passt hervorragend zum Inhalt, wirkt auf den Betrachter jedoch ziemlich abschreckend. Das Buch enthält 25 Kurzgeschichten, von denen die längste 3,5 Seiten lang ist. Im Nachwort erfährt man einiges über den schriftstellerischen Werdegang des Autors und seine Intentionen, es ist daher empfehlenswert, das Nachwort entweder gleich zu Beginn oder nach zwei oder drei Kurzgeschichten zu lesen.


Fazit
Wer kurzweilige Unterhaltung sucht, sollte besser die Finger von diesem Buch lassen. Ebenso wenig ist es ein Buch, das man in einem Rutsch durchlesen sollte, wie ich es erst machen wollte, als ich die geringe Seitenzahl sah. Aber es ist ein Werk, das man immer wieder in die Hand nehmen kann, jede einzelne Geschichte hat eine solche literarische Dichte, dass der Leser stets neue Erfahrungen machen wird, wenn er es schafft, sich auf Tavares’ Denk- und Schreibweise einzulassen – was zugegebenermaßen nicht einfach ist.


3 5 Sterne


Hinweise
Dieses Buch ist nicht bei amazon erhältlich. Sie erhalten es direkt beim Verlag.

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