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Harper Lee beschwört den Zauber und die versponnene Poesie einer Kindheit im tiefen Süden der Vereinigten Staaten. Die Geschwister Scout und Jem wachsen in einer Welt von Konflikten zu tolerant denkenden Menschen heran. Menschliche Güte und stiller Humor zeichnen diesen Roman aus, der in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurde und die Herzen von Millionen Lesern im Sturm eroberte. Die Verfilmung mit Gregory Peck in der Hauptrolle wurde mit drei Oscars ausgezeichnet.

 

 

Originaltitel: To Kill a Mockingbird
Autor: Harper Lee
Übersetzer: Claire Malignon
Verlag: rowohlt
Erschienen: 06/2010 (Erstauflage 1962)
ISBN: 978-3499254185
Seitenzahl: 528 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Die Geschichte einer Kindheit im tiefsten Süden der USA zur Zeit der Depression der frühen 1930er Jahre, das ist vordergründig das Thema dieses einzigen Romans von Harper Lee. Dahinter steckt aber eine Menge mehr, wenn man genau hinsieht. Jean Louise, genannt Scout, und ihr älterer Bruder Jem wachsen in einer Kleinstadt auf, behütet nach dem frühen Tod ihrer Mutter nur vom Vater, dem Rechtsanwalt Atticus Fink sowie der schwarzen Haushälterin Calpurnia. Ein leiser Gruselfaktor in der Nachbarschaft ist Arthur "Boo" Radley, der mittlerweile erwachsene Sohn der Nachbarn, den keines der Kinder je gesehen hat. Nur Schauergeschichten und böse Gerüchte über ihn gibt es. Als Atticus mit der Pflichtverteidigung eines schwarzen Landarbeiters beauftragt wird, der eine weiße Frau vergewaltigt haben soll, ändert sich das beschauliche Leben der Familie dramatisch: Anfeindungen, Beschimpfungen und Drohungen der weißen Gesellschaft des Ortes sind an der Tagesordnung, die heile Welt der Kinder gerät ins Wanken und mühsam müssen sie lernen, was Toleranz, Aufrichtigkeit und Mut wirklich bedeuten.

Dieser Klassiker der Südstaatenliteratur ist völlig zu Unrecht etwas in Vergessenheit geraten, ein leiser Roman, der zu einem großen Plädoyer für Toleranz und Zivilcourage geworden ist und gleichzeitig eine Zeitreise in die bewegte Vergangenheit der USA darstellt.


Stil und Sprache
Harper Lee ist selbst in Alabama aufgewachsen und „Wer die Nachtigall stört“ hat einige autobiographische Züge. Da ist es nicht nur konsequent, Scout aus der Ich-Perspektive erzählen zu lassen, nein, es macht auch das Besondere der Geschichte aus. Scout ist zu Beginn der Handlung sechs Jahre alt und am Ende „fast zehn“ und hat einen einerseits sehr klugen, andererseits aber kindlich naiven Blick auf die Welt. So entlarvt sie mit ihren einfachen, aber ins Schwarze treffenden Fragen oft die Absurdität der Weltsicht der weißen Gesellschaft in Maycomb County, versucht mit ihren Mitteln die Dinge zu ordnen, die sie sieht. Wenn sie etwa zu Anfang erklärt, was einen Sonntag von einem gewöhnlichen Wochentag unterscheidet, so liest sich das so: „Der Sonntag war der Tag für formelle Nachmittagsbesuche: Die Damen trugen Korsetts, die Herren Jacketts, die Kinder Schuhe.“ (S. 25)
So charakterisiert Scout mit einfachen, aber keineswegs platten Worten ihre gesamte Umwelt, durch ihre lebendigen Beschreibungen ersteht ihre überschaubare Welt der Kleinstadt vor dem geistigen Auge des Lesers und wirkt so lebendig, dass man meint, Scout und ihren Bruder durch den Hof toben oder Atticus mit seiner Zeitung auf der Veranda sitzen zu sehen. Die Selbstverständlichkeit, mit der dabei die Unmenschlichkeit und Dummheit der weißen Gesellschaft, die auf Rassismus und Klassendenken basiert, dargestellt wird, schockiert noch heute, allein die Verwendung der heutzutage verpönten Worte „Neger“ oder auch „Nigger“ lässt einen immer wieder zusammenzucken.

Was die Geschichte selbst angeht, gibt es mehrere Handlungsstränge: Scouts Erlebnisse, die Gespräche mit ihrem großen Bruder und ihrem Vater, die Annäherung an Calpurnias Welt der Schwarzen, der Prozess, den Atticus führen muss, die bösartige Nachbarin, vor der Scout Angst hat und von der sie doch am Ende Wichtiges lernt, und nicht zuletzt Boo Radley, der von einer Phantasiegestalt zu einem lebendigen Menschen wird, all diese Handlungsstränge mäandern wie der - nicht allzu weit entfernte - Mississippi durch diesen Roman und machen ihn in ihrem Zusammenspiel zu einem Juwel der Literatur. Lehrreich, ohne auch nur die Spur belehrend zu sein, interessant und spannend ohne Schockeffekte, ist „Wer die Nachtigall stört“ zeitlos und ewig aktuell. Fast poetisch mutet dabei die Sprache der Autorin an, die mit zarten, kindlichen Worten und doch so treffend ihre Kindheit wieder aufleben lässt. Da spürt man die Hitze und die Farben des Sommers, die Enge der kleinen Welt Scouts und die Größe der Geschichte, die so leicht daherkommt wie ein laues Sommerlüftchen, aber alles andere als belanglos ist und am Ende in einem wahren Sturm gipfelt.


Figuren
Es heißt ja immer, ein guter Roman lebt von seinen Figuren und hier gilt dies ganz besonders. Scout ist ein manchmal erschreckend altkluges Mädchen, ohne Mutter aufgewachsen, sehr aufmerksam und interessiert an ihrer Umwelt. In ihrem kleinen Mikrokosmos versucht sie, die Welt zu verstehen und ihre Ordnung so weit wie möglich wieder herzustellen. Dabei lernt sie nach und nach, dass nicht alles so einfach ist wie gedacht und dass es manchmal ganz schön schwierig ist, ein guter Mensch zu sein. Sie wirkt in ihrer ganzen Kindlichkeit und mit dem verblüffenden Weitblick einer Sechsjährigen ausgestattet derart lebendig, dass man sie gern auch mal – wie ihr Vater Atticus es tut – abends zum Vorlesen auf den Schoß nehmen würde.

Ihr Bruder Jem ist vier Jahre älter und gegen Ende des Buches an der Schwelle zum Erwachsenwerden, was Scout überhaupt nicht versteht. Wo ist ihr Spielkamerad geblieben, der allen möglichen Unsinn mit ihr angestellt hat? Stattdessen sitzt jetzt ein grüblerischer Junge in seinem Zimmer, der mit der Welt nicht mehr klarkommt: „Aber wenn es nur eine Art von Menschen gibt, warum können sie dann nicht miteinander auskommen? Wenn sie alle gleich sind, warum haben sie dann nichts anderes im Kopf, als sich gegenseitig zu verabscheuen?“ (S. 488). Auch er ist unglaublich wahrhaftig und gegenwärtig dargestellt, eine echte Persönlichkeit eben.

Maycomb County ist bis zur kleinsten Nebenfigur mit interessanten Menschen ausgestattet, die alle ihre Eigenheiten haben und teilweise durchaus ein gewisses Maß an Toleranz aufweisen. Doch auch wenn sie eine leise Ahnung haben, dass vielleicht im Verhältnis von Schwarzen zu Weißen nicht alles gerecht ist, sind sie letztendlich doch in ihrer Erziehung und den ihnen vermittelten Traditionen gefangen, so dass auch bei den „Guten“ immer wieder rassistische Gesinnungen durchschimmern. Hier ist niemand fortschrittlicher, als er es in dieser Umgebung und zu dieser Zeit sein kann und gerade deshalb sind Harper Lees Figuren so uneingeschränkt glaubwürdig. So gibt es keinen einzigen klischeehaften oder schablonenartigen Charakter und die Ambivalenz der Südstaatengesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts wird authentisch und mit viel Feingefühl an den Leser gebracht.


Aufmachung des Buches
Die Neuauflage des Buches ist als kleinformatiges, fest gebundenes Buch entstanden, nur 15 Zentimeter hoch und mit einer Fotografie von Gregory Peck aus dem gleichnamigen Film auf der Vorderseite sehr ansprechend aufgemacht. Titel und Autorin sind in Silber in den violetten Einband eingeprägt, ein ebenfalls silbernes Lesebändchen komplettiert die Optik. Einfach wunderschön!


Fazit
„Dieses Buch hat es verdient, unsterblich zu werden“ soll Harry Rowohlt gesagt haben, und ich kann mich dieser Meinung nur anschließen. Eine wunderschöne, anrührende und aufrüttelnde Geschichte, die heute nicht weniger aktuell ist als bei ihrem Erscheinen vor 50 Jahren, begnadet erzählt und immer wieder uneingeschränkt lesenswert.


5 Sterne 


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