Smaller Default Larger

Tatort New York…

Wer hat die kleine Sara entführt? Und warum? Vor allem aber: Was verschweigt die Mutter?

 

 

Originaltitel: Maskarna på Carmine Street 
Autor: Håkan Nesser
Übersetzer: Christel Hildebrandt
Verlag: btb
Erschienen: 08/2010
ISBN: 978-3442751730
Seitenzahl: 320 Seiten

Hier geht's zur Leseprobe 


Die Grundidee der Handlung
Erik Steinbeck ist in zweiter Ehe mit Winnie Mason verheiratet. Als ihre vierjährige Tochter eines Tages direkt vor dem Haus verschleppt und entführt wird, bricht beider Leben zusammen. Nach eineinhalb Jahren ohne ein Zeichen, eine Lösegeldforderung oder einen Hoffnungsschimmer, Sara je wieder zu sehen, wollen Erik und Winnie in New York neu anfangen. Wenige Wochen nach dem Umzug dorthin stellt Erik fest, dass seine Frau offenbar Geheimnisse vor ihm hat: Er sieht sie in ein Restaurant gehen, sie leugnet aber, dort gewesen zu sein. Mit Hilfe eines pensionierten Privatdetektivs macht sich Erik auf die Suche nach der Wahrheit … Ohne zu viel zu verraten, kann ich an dieser Stelle nicht mehr erzählen, aber Håkan Nesser hat mit „Die Perspektive des Gärtners“ ein wahrhaft faszinierendes Buch geschrieben, das von der ersten Seite an zu begeistern weiß.


Stil und Sprache
Auch wenn dieser Roman nicht in Skandinavien spielt, findet sich viel Skandinavisches wieder: diese bildgewaltige, klare Sprache, die nichts beschönigt und trotzdem fast poetisch sein kann. Das beginnt schon mit dem ersten Satz, der den Leser in diese Geschichte hineinzieht: „Mit vier vollgepackten Koffern und zwei leeren Herzen kamen wir nach New York.“ Danach will man dieses Buch gar nicht mehr aus der Hand legen …

Erik Steinbeck erzählt ausschließlich in der Ich-Perspektive und so ist man ihm als Leser sehr nah. Er schreibt seine Geschichte in einer kleinen New Yorker Stadtteil-Bibliothek auf und er lässt nichts aus, weder seine eigenen Gefühle, seine tiefe Einsamkeit, noch die unbändige Wut, die er auf alles und jeden hat. Manchmal diskutiert er mit sich selbst, wägt Gedanken und Taten ab, fragt sich, was hätte anders laufen können. Dabei beschreibt er die aktuellen Ereignisse in der Gegenwart, was sie sehr wahrhaftig werden lässt. Ab und zu gibt es Rückblenden in die Zeit, in der er Winnie kennenlernte, diese Passagen sind in der Vergangenheitsform verfasst. Hier passt stilistisch alles zusammen, einfach großartig!
Und die Geschichte? Ja, die braucht ein bisschen, um in Fahrt zu kommen. Bis wirklich etwas passiert, muss man schon ein wenig Geduld haben, dennoch wird es niemals langweilig, Erik zu folgen. Und als er dann endlich aktiv ins Geschehen eingreift, da entwirrt sich eine beklemmende, fesselnde und absolut überraschende Wahrheit. Ganz langsam findet Erik – und mit ihm auch der Leser - heraus, was geschehen ist mit seiner Tochter, seiner Frau und letztlich auch mit ihm selbst … Hier lässt Håkan Nesser seine Leser mitfiebern, ahnen, rätseln, neugieriger werden nach jedem Kapitel, das die Wahrheit näher bringt. Ein fast schon zu starkes Finale passt nicht ganz in die ruhige Geschwindigkeit dieses Romans hinein, klärt aber zum Ende hin alles zufriedenstellend auf, so dass es diesem wunderbaren Buch nicht zum Nachteil gereicht.


Figuren

Es gibt nicht viele Handlungsträger in dieser Geschichte, was unter anderem daran liegt, dass Erik und Winnie erst vor kurzem nach New York gekommen sind. Wie drückt es Erik einmal treffend aus: „In der von Menschen wimmelnden Stadt New York, in der ich nun einmal wohne, kenne ich genau genommen drei Personen (…)“ (S. 204). Zu diesen dreien gehört auch Mr. Edwards, eine Zufallsbekanntschaft in der Bibliothek, Privatdetektiv im Ruhestand mit großem Ehrgeiz. Er hilft Erik bei der Suche nach der Wahrheit, aber ansonsten erfährt man nicht viel über ihn. Und doch meint man als Leser, genau diesen Mr. Edwards in der kleinen Bibliothek sitzen zu sehen, man weiß einfach, wie er aussieht und was seine Person ausmacht.
Am meisten erfährt man natürlich über Erik selbst, eben weil er seine innersten Gedanken bereitwillig mit seinen Lesern teilt. Er ist ein sehr ruhiger, durch den Verlust seiner Tochter geprägter Mensch, der viel nachdenkt, aber oft mit sich nichts anzufangen weiß. Als Schriftsteller bringt er seit Saras Entführung nichts mehr zustande, fürchtet irgendwann um seine Existenz und seine Ehe. Winnie dagegen bleibt dem Leser ebenso fremd, wie sie es für Erik geworden ist, sie zieht sich zurück, ist abwesend und grüblerisch, eine Randfigur, um die sich trotzdem alles dreht. Diese knappen, aber dennoch feinfühligen Figurenzeichnungen machen diesen Roman zu dem, was er letztendlich geworden ist: ganz großes Kino!


Aufmachung des Buches
Das gebundene Buch mit Schutzumschlag zeigt rundherum einen Blick auf die Skyline von New York. Durch trübes Wetter und den Blick durch ein Gitterfenster wirkt die Szenerie trostlos und verlassen, so dass die Hoffnungslosigkeit des Ich-Erzählers hier perfekt gespiegelt wird. Das Buch ist in drei Teile und insgesamt 43 Kapitel eingeteilt, am Schluss findet sich noch eine Karte von Manhattan mit einem vergrößerten Ausschnitt des Wohnviertels, in dem Erik und seine Frau leben.


Fazit
Definitiv kein klassischer Krimi, dafür ein wortgewaltiger, nachdenklich machender und doch von Anfang bis Ende spannender Roman um Verlust, Vertrauen, Liebe und Wahn. Eine eindeutige Leseempfehlung für alle, die skandinavische Literatur mögen und auf Effekthascherei und große Action verzichten können.


5 Sterne



Hinweise

Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo