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Ein warmherziger Roman mit einer zauberhaften Heldin und ihrer klugen Schildkröte

Audrey Flowers sieht die Welt mit etwas anderen Augen als die meisten Menschen. Vielleicht, weil sie an einem 29. Februar geboren wurde und bislang nur sechsmal offiziell Geburtstag hatte. Jedenfalls kommt sie zu einigen seltsamen Schlussfolgerungen, als sie nach dem Tod ihres Vaters alten Familiengeheimnissen nachspüren muss. Zum Glück steht ihr bald ein Experte für Weihnachtsbeleuchtungen zur Seite, der wie Audrey die Welt als zauberhaften Ort begreift, wo Schildkröten Shakespeare lesen. Wo Piloten ihre Copiloten küssen. Und wo man womöglich ewig leben könnte, sofern man die üblichen Gefahren meidet: rasende Christbäume, fehlerhafte Lichterketten, Klippen (wenn man einsam ist) und Treppen (wenn man müde ist).

 

  Autor: Jessica Grant
Verlag: Manhattan
Erschienen: 19.04.2010
ISBN: 978-3-442-54666-4
Seitenzahl: 496 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Die Grundidee dieses Romans nachvollziehbar und kurz wiederzugeben, ist nicht leicht, denn auch wenn nicht viel passiert, ist die Geschichte doch sehr komplex.

Audrey ist auf dem Weg nach Hause, da ihr Vater im Komma, pardon, Koma liegt, nachdem er sehr unglücklich mit einem Weihnachtsbaum, der auf einem Pick-up transportiert wurde, kollidiert ist. Sie war lange nicht mehr dort, doch nun muss sie zurück, denn Regel Nummer Eins für Komapatienten besagt, dass diese die Augen öffnen, wenn die richtige Person am Krankenbett steht. Auf dem Flug nach Hause gibt es jedoch einige Komplikationen und so landet sie mit mehreren Stunden Verspätung am Zielflughafen. Onkel Thoby wartet dort noch immer auf sie und teilt ihr mit, dass es zu spät ist – ihr Vater ist tot. Gemeinsam fahren sie in das Haus am Wednesday Place 3 in St. Johns, wo Audrey mit ihrem Vater und später auch Onkel Thoby aufgewachsen ist. Außer dem Wohnzimmer und der Küche betritt sie zunächst keine weiteren Räume, schläft – wenn überhaupt – am Esstisch, da sie nicht in das obere Stockwerk, wo ihr Kinderzimmer ist, möchte. Sie will ihren Vater dort nicht auch tot machen, indem sie die Leere dort wahrnimmt. Dann kündigt Onkel Thoby plötzlich den Besuch von Toff an, der nicht nur der Bruder ihres Vaters ist, sondern auch der Testamentsvollstrecker. Audrey will Toff nicht sehen, sie kann ihn nicht leiden. Als eines Tages Onkel Thoby fort geht, ohne ihr etwas zu erklären, dann auch noch ihre unsterbliche Maus Wedge verschwunden worden ist, beginnt sie, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, die eine internationale Suche mit sich bringen. Derweil wartet ihre Schildkröte Winnifred, die sie bei Freunden untergebracht hat, geduldig auf Audreys Rückkehr.


Stil und Sprache
Der Roman wird größtenteils aus Audrey Flowers‘ Sicht in der ersten Person wiedergegeben. Dabei ist der Stil außergewöhnlich, denn Audrey ist außergewöhnlich. Die Geschichte wird nicht nur aus ihrer Sicht erzählt, sondern kommt aus ihr heraus, aus ihren Gedanken und Ansichten. Man hat das Gefühl, dass Audrey einfach drauflos plappert, ohne ihre Gedanken vorher zu ordnen, was dem Text einen unverwechselbaren Charme verleiht. Erstaunlich ist jedoch, dass all das, was sie im Verlauf der Geschichte zum Teil scheinbar völlig zusammenhanglos von sich gegeben hat, nach und nach einen Sinn ergibt. Stück für Stück fügen sich die einzelnen Puzzleteile zusammen und ergeben ein facettenreiches Bild. Dabei entlockt Jessica Grant dem Leser das eine oder andere Mal ein Lachen, ist der Text stellenweise doch sehr humorvoll. Vor allem aber ist er sehr gefühlvoll, ohne dass Audrey direkt über ihre Gefühle spricht. Vielmehr werden die Emotionen durch ihr Handeln deutlich, was die Geschichte unglaublich intensiv macht. Einige Passagen, werden – ebenfalls in der Ich-Form - aus der Sicht von Winnifred, Audreys Schildkröte, erzählt. Klug betrachtet sie ihre gegenwärtige Situation und blickt auf Vergangenes zurück. Dadurch lernt der Leser nicht nur Winnifred sehr gut kennen, sondern erfährt viel über Audrey.

Auch die Umsetzung ist atypisch und man muss sich erst daran gewöhnen, dass wörtliche Rede nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet wird und auch nur selten ein ‚sagte sie‘ oder etwas Ähnliches folgt. Ein weiteres Merkmal ist, dass Sätze nahezu immer mit einem Punkt enden, in der ganzen Geschichte gibt es höchstens eine Handvoll Ausrufezeichen und kein einziges Fragezeichen – was insofern verwunderlich ist, da im Verlauf der Handlung eine Menge Fragen gestellt werden. Anfangs war ich daher zugegebenermaßen skeptisch, doch erstaunlich schnell stellt man sich auf diesen Stil ein und verliert sich in der Geschichte.


Figuren
Audrey Flowers, auch Oddly genannt, ist die Hauptfigur in dieser Geschichte. Man kann ihr Wesen schlecht beschreiben, man muss sie erlebt haben und sich selbst ein Bild von ihr machen – genau wie von dem ganzen Roman. Auf Seite 369/370 heißt es sehr treffend:
Was bin ich denn für ein Mensch.
Ich weiß nicht. Aber ich wünschte, es gäbe mehr von deiner Sorte.

Audrey hat einen sehr eigenwilligen Blick auf die Welt und alles, was sich darin befindet – und zieht aus den verschiedenen Begebenheiten ihre ganz eigenen Schlüsse. Sehr schnell schließt man diese sympathische Figur ins Herz und möchte sie am Ende der Geschichte gar nicht mehr gehen lassen. Genau wie ihre Schildkröte Winnifred, die ihr Schloss liebt, es am liebsten muckelig warm hat und gerne auf dem Armaturenbrett eines Autos durch die Welt reist. Auch wenn Winnifred eine Schildkröte ist, kann man ihre Gedankengänge immer gut nachvollziehen.

Die Nebenfiguren sind nicht weniger liebevoll ausgearbeitet. Ob sie nun aus Audreys oder Winnifreds Sicht dem Leser vorgestellt werden, stets werden die Figuren dreidimensional und authentisch dargestellt, sie alle haben Konturen. Jessica Grant hat mit wenigen treffenden Eigenschaften liebenswerte Charaktere geschaffen, von denen man gar nicht mehr Abschied nehmen mag.


Aufmachung des Buches
Das Cover besticht durch seine Schlichtheit. In Weiß gehalten, sind die einzigen ‚Farbkleckse‘ der rote Rand und besonders das blaue Flugzeug, das rote Schloss und die grüne Schildkröte – diese drei Elemente haben in der Geschichte eine wesentliche Rolle inne, sodass ich die Aufmachung des Buches nur als rundum gelungen bezeichnen kann. Sehr schade ist jedoch, dass es nicht als Hardcover-Ausgabe erhältlich ist, die Geschichte hätte eine so hochwertige Aufmachung allemal verdient!

Das Buch selbst ist in vier Teile und einen Epilog unterteilt. Die einzelnen Abschnitte sind wiederum in Kapitel gegliedert, die jedoch weder nummeriert noch betitelt sind, sondern einfach auf einer neuen Seite anfangen, wobei der erste Buchstabe des ersten Wortes größer und fett abgedruckt ist.
Ab und an finden sich Skizzen im Buch, wie zum Beispiel von der „Orange im Schloss“ und der „Cluedo Fahndungsakte“. Diese recht groben Bilder sehen aus, wie von einem Kind gezeichnet und passen stets zur jeweiligen Szene in der Geschichte.


Fazit
Eine ungewöhnliche Hauptfigur. Eine ungewöhnliche Geschichte. Eine ungewöhnliche Umsetzung.
Lassen Sie sich auf Audrey Flowers und ihre Sicht der Dinge ein, Sie werden es nicht bereuen! Eine klare Leseempfehlung60!


5 Sterne


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