Smaller Default Larger

"Uwe Timm hatte dem Zyklus den Titel >Von Anfang und Ende< gegeben und machte sich entlang aller wörtlichen wie metaphorischen Sinnebenen auf die Suche nach den schon in den Melodien der Anfangssätze zu verankernden "Urknall" literarischer Schöpfung, aus dem sprachliche Kunstwerke hervorquellen, die im gleichen Zug auch die Wirklichkeiten, unter denen Menschen leben, anschaulich erfassen. Zwischen den Anfängen und Enden spannte Timm einen Bogen vom biblischen Buch Genesis und der Offenbarung des Johannes über Goethe und Camus bis hin zu Adalbert Stifter, erörterte die Elemente poetischen Schreibens und begab sich auf einige atemberaubende Expeditionen ins eigene Romanwerk, das unter solchem Blick seine Offenheit bewies, auch für nachträgliche Konjekturen."

 

  Autor: Uwe Timm
Verlag: Kiepenheuer & Witsch, Köln
Erschienen: 2009
ISBN: 978-3-462-04184-2
Seitenzahl: 142 Seiten


Stil und Sprache
Uwe Timms Texte in dem vorliegenden Buch sind gekennzeichnet von einer aufwendigen Sprache und einem sehr komplexen Schreibstil. Betrachtet man zunächst die Sprache des Autors, so fällt auf, dass der Text angereichert ist mit Fremdwörtern, was eindeutig zu Lasten der Verständlichkeit geht. So hätte z.B. das Wort Kosmogonie, das mehrfach vorkommt, auch zuweilen als Lehre von der Entstehung der Welt bezeichnet werden können, ohne dass die sprachliche Umsetzung des Textes darunter gelitten hätte.
Auch Timms Schreibstil verlangt die volle Aufmerksamkeit des Lesers. Die Sätze sind überwiegend lang und verschachtelt, teils mit recht ungewöhnlicher Satzstellung, so dass es schwer fällt, seinem sprachlichen Rhythmus zu folgen. Damit stellt der Text eine überaus anspruchsvolle Lektüre dar, die einem als Leser einiges abverlangt. An manchen Stellen hätte ich mir als Leser etwas mehr Verständlichkeit und Klarheit gewünscht.


Umsetzung, Verständnis und Zielgruppe
Dieses Büchlein enthält einen Vorlesungszyklus von fünf poetologischen Vorlesungen, d.h. Vorlesungen über die Theorie des Schreibens und der Dichtkunst, die der Autor Uwe Timm im Sommersemester 2009 an der Frankfurter Goethe-Universität gehalten hat. Der Autor hatte dort in dieser Zeit die Gastdozentur Poetik übernommen, die seit 50 Jahren pro Semester vergeben wird. Uwe Timm hat unter Bezugnahme seines eigenen dichterischen Programms aber auch unter Berücksichtigung großer Werke anderer großer Dichter wie Camus "Die Pest" oder Goethes "Wahlverwandtschaften" die Prinzipien und Grundlagen dichterischen Schreibens behandelt.

Die erste Vorlesung "Über den Anfang" handelt von poetischen Anfängen, bezeichnenderweise startet Timm mit einem Zitat aus dem Anfang der Bibel "Am anfang schuf GOTT himmel und erde" und vergleicht das Schaffen von poetischen Anfängen eben mit jenem Schaffensprozess der Genesis. Ein "kühner Vergleich" wie er selbst sagt, aber ein ebenso kluger. Berühmte Erzählanfänge, wie der erste Satz aus Goethes "Wahlverwandtschaften" oder aus Camus "Die Pest" werden zerpflückt und mit kritischem Auge durchleuchtet. So hat der Autor für den alten Goethe nicht nur Lob übrig, sondern bemängelt, dass auf den durchaus guten ersten Satz eine Zusammenfassung der Personengeschichte folgt, die als "Konstruktionsrest" formal nicht recht in die Geschichte passt.

Die zweite Vorlesung widmet sich der Frage, was vor dem Anfang ist, also vor dem ersten Satz auf dem weißen Papier. Diesen Teil der Vortragsreihe über die Idee hat Timm "Anstöße" genannt. Darin erzählt er über die Entstehung eigener Texte, vor allem "Der Mann auf dem Hochrad" aber auch "Schlangenbaum" und "Rot". Der Autor erzählt, wie sich ihm plötzlich ein "Energiegebräu" an Überlegungen aufgedrängt und zur sprachlichen Umsetzung gezwungen hat, die zur Entstehung des erstgenannten Werkes führten, obwohl er gerade an etwas anderem gearbeitet hatte. Ganz im Gegenteil zu Timms "Johannisnacht", die mit dem Satz beginnt "Die Geschichte beginnt genau genommen damit, dass ich keinen Anfang finden konnte." Der Autor bekennt, dass dieser Satz kein rhetorischer Winkelzug ist, sondern genau der damaligen Situation entsprach.
Befremdlich oder verwirrend habe ich in dieser zweiten, aber auch in späteren Vorlesungen gefunden, dass Timm von sich selbst als "der Autor" spricht, ohne eine Begründung für dieses Sprachspiel zu geben.

Der Text "Fundsachen", das 3. Kapitel des Buches, handelt von eben solchen "Fundsachen" und davon, dass ein Erzählen ohne Erinnerung aber auch ohne Vergessen nicht möglich ist. Timms Erinnerungen haben vor allem zu den drei autobiographischen Texten "Römische Auszeichnungen", "Am Beispiel meines Bruders" und "Der Freund und der Fremde" geführt. Der Leser wird sich fragen, warum das Vergessen ebenso dem Schreibprozess vorausgehen muss wie das Erinnern. Das Vergessen oder, wie Timm es nennt, die "Erinnerungsleere", erzeugt den Raum für die Fiktion, also die Möglichkeit ganz eigene, individuelle Erinnerung mit fiktiver Erzählung zu kombinieren.

Dieser Themenkomplex ist auch Gegenstand des 4. Vorlesungsteils "Denkmalsturz", der von Uwe Timms Roman "Heißer Sommer" handelt. Dieser Roman wurde "ausgelöst" durch Timms Reflexionen über den Sturz des Wissmann Denkmals 1967. Wissmann war Afrikaforscher und Gouverneur von Deutsch-Afrika gewesen. Der Sturz des Denkmals brachte den Autor zum Nachdenken über die Kolonialzeit und weitere Kindheitserinnerungen, die ebenfalls in seinen späteren Roman "Morenga" eingeflossen sind.
Sobald Timm in die Sphären des eigenen Werkes eintaucht, von seinen Motiven, Denkanstößen, der Entstehung seiner Werke oder persönlichen Erinnerungen schreibt, merkt man ihm seine Erzählkunst an. Manchmal führt dieses Fabulieren etwas zum Verlust des roten Fadens und die Vorlesung gleicht dann mehr einem Sich-treiben-lassen, was der Qualität dieses Erzählens und Erinnerns aber keinen Abbruch tut.

Den Abschluss bildet die Vorlesung "Über das Ende", die ebenso pointiert wie die erste Vorlesung, das Ende der Bibel bemüht, Texte anderer Autoren auf deren Ende hin untersucht und uns mit den Worten tröstet: "Die Bücher, die Romane haben ihr Ende, aber sie sind nicht tot."

Die nachträglich nun als Buch veröffentlichten Vorlesungen sind meines Erachtens nur für Studierende, also für die originären Adressaten von poetologischen Vorlesungen geeignet. Dies ist vor allen Dingen durch die sehr komplexe Fachsprache bedingt, die sich für einen Laien nicht ohne weiteres erschließen lässt. In diesem Sinne sind die Texte Uwe Timms nicht mit den Plaudereien anderer Autoren über das Schreiben zu vergleichen, wie z.B. mit Stephen Kings "Das Leben und das Schreiben".


Aufmachung des Buches
Bei dem handlich gebundenen Buch hat der Umschlagsgestalter Rudolf Linn aus Köln Geschmack bewiesen. Auf dem gesamten weißen Cover ist ein Auszug aus Uwe Timms handgeschriebener Vorlesung in Form eines Wasserzeichens hinterlegt.


Fazit
Der Autor behandelt in seiner kleinen Vorlesungssammlung sehr interessante Aspekte des Schreibens. Aus meiner Sicht leidet die Umsetzung des Buches bzw. der Vorlesungen allerdings etwas unter der sehr kompakten Sprache, zumal ich mir vorstelle, dass diese Vorlesungen mündlich vorgetragen dem Publikum einiges abverlangt haben.
Die Gedanken wurden ästhetisch und anspruchsvoll umgesetzt, mancherorts zu Lasten der Allgemeinverständlichkeit. Als Fazit lässt sich urteilen, dass im Erzählen seine größere Stärke liegt, wohingegen der Autor als Essayist nicht immer vollends überzeugt.
Darüber hinaus enthält das Buch aber sehr pointierte Passagen, kluge Vergleiche und vielfältige Einblicke in das Werk und die Autobiographie des Autors Uwe Timm und wird daher allen Fans des Autors neue und interessante Details seiner Tätigkeit liefern.


3 5 Sterne


Hinweise

Dieses Buch kaufen bei: amazon.de

Facebook-Seite

FB

Partnerprogramm

amazon

Mit einem Einkauf bei amazon über diesen Banner und die Links in unseren Rezensionen unterstützt du unsere Arbeit an der Leser-Welt. Vielen Dank dafür!

Für deinen Blog:

BlogLogo